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Haftung für Kinder nur bei verletzter Aufsichtspflicht der Eltern


Aufsichtspflicht und Haftpflicht
Eltern haften nicht immer für ihre Kinder

"Eltern haften für ihre Kinder!" Wirklich? Das Schild gehört zu den deutschen Rechtsirrtümern. Denn nicht immer ist ein Kind schuldfähig, und nicht immer haften die Eltern, wenn ihr Kind etwas beschädigt. Hier finden Sie eine Orientierungshilfe im unübersichtlichen Terrain von Aufsichtspflicht, Haftungsrecht und Haftpflichtversicherungen.

Aktualisiert am 14.07.2015|Lesedauer: 5 Min.
Von dpa, t-online
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Kinder, die das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gelten juristisch als nicht deliktsfähig. Erst danach können sie für ihr Tun herangezogen werden. "Da wird aber immer im Einzelfall entschieden", sagt Eva Becker, Berliner Rechtsanwältin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein. Denn es kommt auch auf die geistige Reife des Kindes an und ob ihm bewusst war, dass es einen Fehler begeht.

Aufsichtspflicht: Müssen Eltern immer für ihre Kinder haften und sie dauernd kontrollieren?Vergrößern des Bildes
Aufsichtspflicht: Müssen Eltern immer für ihre Kinder haften und sie dauernd kontrollieren? (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Wann Kinder im Straßenverkehr haftbar sind

Im Straßenverkehr gelten noch einmal andere Regeln. Hier ist ein Kind erst haftbar, wenn es das zehnte Lebensjahr vollendet hat. Wenn also ein 13 Jahre altes Kind regelmäßig im Straßenverkehr unterwegs ist, dennoch über eine rote Ampel geht und etwas passiert, dann ist es für den Schaden auch verantwortlich.

Aufsichtspflicht lässt sich nicht pauschal definieren

Bei Schäden, die von jüngeren Kindern angerichtet werden, ist es juristisch entscheidend, ob die Erziehungsberechtigten ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind. Deren Ziel ist es, Kinder vor Schaden zu bewahren und zu verhindern, dass sie anderen welchen zufügen. Haben Eltern die Aufsichtspflicht nicht verletzt, müssen sie auch nicht für Schäden haften. Was so einfach klingt, kann im Elternalltag und vor Gericht sehr kompliziert werden.

Aufsichtspflicht verletzt? Das kommt aufs Kind an!

Allgemein gilt: Eltern haben eine Aufsichtspflicht und müssen ihr Kind so betreuen, dass andere keinen Schaden erleiden. Aber es gibt keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wann Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzen. Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil erklärt, das gebotene Maß an Aufsicht richte sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes. Was bei einem Schaden bedeutet, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.

Wichtige Kriterien sind, inwieweit für Eltern ein Schaden vorhersehbar war, und ob sie ihr Kind unangemessen lange ohne Kontrolle gelassen haben. Dabei müssen sie bei jüngeren und unreiferen Kindern natürlich in kürzeren Abständen nach dem Rechten schauen als bei älteren.

Eltern können ihr Kind nicht rund um die Uhr kontrollieren

Das bedeutet auch, dass die Aufsichtspflicht je nach Alter des Kindes keine Rund-um-die-Uhr-Bewachung sein muss. Wenn die Mutter etwa auf dem Spielplatz etwas fallen lässt, sich kurz danach bückt und ihr Kind in diesem Moment einem anderen Kind mit einem Förmchen eine Platzwunde zufügt, dann hat die Mutter nicht ihre Aufsichtspflicht verletzt und ist auch nicht haftbar zu machen. "Sie können ein Kind im Sandkasten nicht an der Hand führen", erklärt Becker. Es reiche aus, wenn Eltern auf dem Spielplatz auf einer Bank sitzen.

Dass Eltern ein Kleinkind zwischen zwei und vier Jahren nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit beaufsichtigen müssen, befand auch das Landgericht Potsdam (Az.: 13 S 20/02). Eltern dürfen demnach noch schlafen, wenn ihre Kinder am Sonntag schon um sechs Uhr morgens spielen. Sie seien auch nicht haftbar, wenn die Kinder dann etwas anstellen. Konkret ging es um zwei Kinder, die am Sonntagmorgen Spielzeug aus dem Fenster geworfen und damit ein geparktes Auto beschädigt haben.

Wenn der Kleine mit dem Großen etwas anstellt

Wie kompliziert die Gemengelage von Aufsichtspflicht der Eltern sowie Alter und Charakter der Kinder sein kann, zeigt folgender Fall: Zwei Jungen hatten den Lack mehrerer parkender Autos zerkratzt. Einer war sieben Jahre und sieben Monate alt, der andere erst fünf Jahre und vier Monate. Den Schaden hatten sie in der Nähe eines Spielplatzes angerichtet. Dort hatten ihre Eltern die beiden Kinder, mit dem Verbot allein wegzugehen, 40 Minuten allein spielen lassen.

Eine Verletzung der Aufsichtspflicht sahen die Richter nur im Fall des Fünfjährigen. Ein Junge von sieben Jahren, dürfe, wenn er nicht schon mit Streichen oder aggressivem Verhalten auffällig geworden ist, bis zu zwei Stunden lang spielen, ohne dass eine Aufsichtsperson anwesend ist. Anders die Bewertung im Fall des Fünfjährigen: Hier hätten sich die Eltern höchstens für 15 bis 30 Minuten entfernen dürfen, wie die Bundesrichter klarstellten.

Wann die Aufsichtspflicht an den Kindergarten übergeht

Außerdem können die Eltern ihre Aufsichtspflicht auch zeitweise abgeben - zum Beispiel vertraglich an einen Kindergarten. Wenn dann etwas passiert, ist die Einrichtung verantwortlich. Anders sieht es aus, wenn man das Kind nur mal kurz in die Obhut eines Nachbarn gibt. Zerkratzt das Kind dann ein Auto, haftet die Nachbarin nicht. "Dann sind die Eltern schuld und müssen den Schaden zahlen", sagt Becker.

War ein Schaden für die Eltern absehbar?

Ob Eltern haften müssen, hängt in manchen Fällen davon ab, ob der Schaden für sie absehbar war. So wie in diesem Fall aus München: Ein neunjähriges Mädchen musste während einer Taxifahrt plötzlich brechen. Es war zuvor gesund, so dass die Eltern nicht damit rechnen konnten, dass es sich während der Fahrt erbricht. Trotzdem wollte das Taxiunternehmen Kosten für die Reinigung des Autos, sowie die Kosten für einen Mietwagen für die Dauer der Reinigung erstattet haben. Die Eltern weigerten sich zu zahlen und bekamen vor dem zuständigen Amtsgericht Recht. Da das Kind sich plötzlich und unerwartet erbrochen habe, treffe die Eltern keine Schuld. Ein möglicher Schaden war für sie nicht absehbar. Somit läge keine Verletzung der Aufsichtspflicht vor, und sie müssten auch nicht haften.

Kann das Kind die Folgen seiner Handlung einschätzen?

Richter beziehen auch die Reife des Kindes ins Urteil ein. Angenommener Fall: Die Eltern erklären ihrem elf Jahre alten Kind, es darf kein Feuer machen. Trotzdem kommt es an ein Feuerzeug heran und zündet ein Stück Papier an. "Dieses Kind hatte Einsichtsfähigkeit", sagt Becker. Und dann könne es auch sein, dass ein Kind für den vom ihm verursachten Schaden haftet. Meistens sei das aber eher nicht der Fall, weiß die Anwältin aus Erfahrung.

Ein anderes Beispiel: Für den illegalen Musiktausch ihres Kindes haften Eltern nicht automatisch. Haben Eltern ihr minderjähriges Kind ausreichend über das Verbot einer Teilnahme an Internettauschbörsen aufgeklärt, müssen sie nicht für den entstandenen Schaden aufkommen, entschied der Bundesgerichtshof (Az.: I ZR 74/21).

"Eltern haften für ihre Kinder" - der Mythos um das Baustellenschild

Nirgendwo sonst liest man die Warnung "Eltern haften für ihre Kinder" wie an Baustellen - so eindringlich in Schwarz auf Gelb. Aber: "Das Schild ist unsinnig", meint Rechtsanwältin Becker. Zwar müssen Eltern aufpassen, dass ihr Kind nicht die Baustelle betritt. Aber wenn sie alles dafür getan haben und es trotzdem auf die Baustelle entwischt, dann haften sie nicht für Schäden. Vielmehr ist es dann sogar so, dass der Unternehmer eine Mitschuld an dem vom Kind verursachten Schaden trägt, weil er die Baustelle nicht ordentlich abgesichert hat.

Die Tücken der Haftpflichtversicherung

Auch wenn sie es juristisch oft nicht müssten, treten viele Eltern aus freien Stücken für Schäden ein, die ihre tobenden Sprösslinge verursacht haben. Im Sinne einer weiterhin guten Nachbarschaft, erscheint es den meisten selbstverständlich, eine beim Ballspielen zu Bruch gegangene Scheibe zu ersetzen. Wofür ist man schließlich haftpflichtversichert?

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Doch Vorsicht: Da Kinder unter sieben Jahren juristisch als deliktunfähig gelten, sind sie in einer normalen Privathaftpflichtversicherung meist nicht eingeschlossen. Wenn aber keiner für den Schaden aufkommt, ist der Ärger bei den Geschädigten groß. Deshalb sollten Eltern genau darauf achten, dass ihre Versichrung ausdrücklich einen Versicherungsschutz für deliktunfähige Personen beinhaltet. Wichtig ist, dass die Schadenshöhe ausreichend hoch ist. Experten raten zu einer mindestens fünfstelligen Summe.

Jugendsünden können teuer werden

Wenn ein Kind einen Schaden verursacht hat und dies von einem Gericht festgestellt wurde, muss es unter Umständen für diesen Schaden auch Jahre später noch Schadenersatz zahlen. Zwar verfügt ein Kind noch nicht über ein Einkommen und muss daher nicht für einen Schaden aufkommen. Aber wenn es später Geld verdient, wendet sich das Blatt. "30 Jahre lang kann man einen Gerichtstitel vollstrecken", sagt Becker. Jugendsünden können dann später also noch teuer werden.

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