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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sprachliche Unterschiede Reden Ost und West aneinander vorbei?
Bis heute trennen die Deutschen in Ost und West eine Reihe von Wörtern. Sprachexperten bezweifeln aber, dass es eine eigene Sprache in der DDR gab.
"Einen Broiler, bitte!" – 1990 wussten gerade mal 21 Prozent der Westdeutschen, was sich dahinter verbirgt: ein knuspriges Brathähnchen. Und das, obwohl der Broiler schon vor dem Mauerfall – wie eine ganze Reihe DDR-spezifischer Wörter – im Westduden stand. Allerdings mit dem Zusatz: besonders DDR.
Im ersten gesamtdeutschen Duden von 1991 nahm die Dudenredaktion noch mehr DDR-typische Wörter auf. "Der Einheitsduden baute auf dem umfangreicheren Mannheimer Westduden von 1986 auf", sagt Melanie Kunkel, Redakteurin aus der heutigen Dudenredaktion, t-online. "In Zusammenarbeit zwischen der Mannheimer und der Leipziger Redaktion wurden Stichwörter aus dem Ostduden ausgewählt wie erweiterte Oberschule oder Delikatladen."
Wie die Dudenredaktion es damals im Vorwort formulierte, wollte sie in der DDR gebräuchliche Wörter bewahren, "die für das Verständnis der jüngeren Vergangenheit von Bedeutung sind".
Plante die DDR eine "nationalsprachliche Variante" des Deutschen?
Dabei ist der Broiler für viele ein Beispiel dafür, dass die Mauer vier Jahrzehnte lang nicht nur die Ost- und Westdeutschen geografisch und politisch voneinander trennte – sondern eben auch sprachlich. Doch gab es wirklich eine wie auch immer geartete DDR-Sprache? Und wird diese heute noch bewusst und unbewusst von den Ostdeutschen gesprochen?
Auch wenn einige im Arbeiter-und-Bauern-Staat eine "nationalsprachliche Variante" bzw. "Varietät" wie etwa in Österreich planten oder sich entwickeln sahen – als Pendant zur westdeutschen Sprache des Klassenfeindes –, die Realität sah letztlich anders aus. Denn trotz vierzigjähriger Teilung entwickelte sich die Sprache in der Bundesrepublik und in der DDR nicht nennenswert auseinander, findet Albrecht Plewnia vom Institut für deutsche Sprache (IDS).
Keine "echte Sprachspaltung" zwischen Ost und West
"Die meisten und auffälligsten sprachlichen Unterschiede zwischen Ost und West gehen auf die verschiedenen Regionalsprachen zurück und sind insofern eigentlich nicht DDR-spezifisch", sagt der Sprachexperte t-online. Auch Melanie Kunkel sieht keine "echte Sprachspaltung".
Wie Plewnia wertet sie Begriffe wie Broiler oder Zweiraumwohnung für eine Zweizimmerwohnung als sogenannte "regionale Varietäten, die es sowohl in Ostdeutschland als auch in anderen Gegenden des deutschsprachigen Raums gab und gibt."
"Neben diesen regionalen Unterschieden, die im deutschen Sprachgebiet historisch gewachsen sind, gibt es jedoch eine ganze Reihe von sprachlichen Merkmalen, die tatsächlich DDR-spezifisch sind", so Plewnia.
Zwei unterschiedliche Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme
Der Wissenschaftler denkt hier vor allem an den DDR-typischen Wortschatz, zum Beispiel in der staatlichen Verwaltung: "Wo DDR-spezifische Sachverhalte benannt wurden, mussten zwangsläufig auch DDR-spezifische Benennungen entstehen."
Viele DDR-Bürger erinnern sich zum Beispiel an die schier endlos aneinandergereihten Titel, die Politikern und Funktionären vorangestellt wurden. Nicht nur im staatlich gelenkten DDR-Hörfunk, wie in der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera", auch in den Zeitungen und Zeitschriften des Arbeiter-und-Bauernstaats gehörte dieses Deutsch zur Normalität.
Ein Beispiel aus der "Ostseezeitung" vom 20. April 1976:
"Hannelore P. ... Elektrikerin in der Volkswerft Stralsund, Mitglied der Kreisleitung Stralsund der SED, Mitglied der Zentralen FDJ-Leitung der Werft, Bezirkstagsabgeordnete, Trägerin der Artur-Becker-Medaille in Bronze und Gold, Mitglied eines Kollektivs der DSF."
Dieser sperrige Stil ging auf das Russische zurück und zeigte den sprachlichen Einfluss des "großen Bruders" – denn so hieß die Sowjetunion in der Propagandasprache der DDR. Ebenso prägte das Russische den Wortschatz der Ostdeutschen. Und das nicht ohne Grund: Seit 1951 war der Russischunterricht für alle DDR-Schüler ab der 5. Klasse verpflichtend als erste Fremdsprache.
Da verwunderte es nicht, dass auch russische Wörter ins DDR-Deutsch übernommen wurden. Die bekanntesten sind Sputnik (cпутник), der Name eines sowjetischen Satelliten, und Subbotnik (суббота), ein freiwilliger unbezahlter Arbeitseinsatz am Sonnabend. Auch Wandzeitung (стенгазе́та) gehört dazu. Diese und andere Bezeichnungen zählten dabei zum offiziellen Wortschatz, also eine von Partei- und Staatsmedien propagierte Sprache:
Begriff | Abkürzung | Bedeutung |
---|---|---|
Delikatladen | | Geschäft mit Lebensmitteln des "gehobenen Bedarfs" |
Dreiraumwohnung | | 2 ½-Zimmer-Wohnung |
erweiterte Oberschule | EOS | Gymnasium (ab 1984: 11./12. Klasse) |
Feierabendheim | | Alten- oder Seniorenheim |
Kaderleiter | | Personalleiter |
Kaufhalle | | Selbstbedienungsladen |
Kosmonaut | | Astronaut |
Plaste | | thermoplastischer Kunststoff |
Polylux | | Overheadprojektor |
polytechnische Oberschule | POS | zehnklassige Oberschule |
Schallplattenunterhalter | SPU | DJ (staatlich geprüft) |
Sekundärrohstoffe | SERO | wiederverwertbare Abfälle (Altpapier, Flaschen, Gläser) |
Staatsrat | | kollektives Staatsoberhaupt |
Plewnia schränkt allerdings ein, dass Wörter wie Staatsrat oder Polytechnische Oberschule "typisch für alle Staatswesen sind. Entsprechende Unterschiede finden sich in gleicher Weise in Österreich oder in der Schweiz wie Abitur und Matura – aber auch schon innerhalb der deutschen Bundesländer, zum Beispiel Minister, Staatsminister, Senator."
Von Erichs Krönung bis zum Tal der Ahnungslosen
Neben dem offiziellen DDR-Vokabular gab es einen Wortschatz, mit dem sich die DDR-Bürger im Alltag von denen 'da oben' abgrenzen wollten: kritisch, witzig und manchmal sarkastisch. So nannte man eine DDR-Kaffeesorte – in Abwandlung einer aus dem Westen bekannten Marke – Erichs Krönung. Ob SED-Chef Erich Honecker darüber erfreut war, ist nicht überliefert.
Hintergrund
Ende der 1970er-Jahre explodierten die Preise für Kaffeebohnen auf dem Weltmarkt. Die devisenklamme DDR musste aber sparen. Also galt die Losung: wenige Bohnen für möglichst viel Kaffee. So kam die Sorte Kaffee-Mix in die DDR-Läden, die nur zur Hälfte aus Kaffeebohnen bestand. Der Rest waren gemahlene und geröstete Getreidekörner sowie Hülsenfrüchte. Doch es hagelte Kritik, weil der Mischkaffee nicht schmeckte. Nach zwei Jahren verschwand die Sorte wieder aus den Regalen.
Ein anderes Beispiel: Als Tal der Ahnungslosen wurden im Volksmund die DDR-Gebiete bezeichnet, in denen kein Westfernsehen via Antenne empfangen werden konnte. Das betraf vor allem den damaligen Bezirk Dresden. Grund war die geografisch ungünstige Lage: hohe Berge, tiefe Täler. Mehr als dreißig Jahre später hält der Historiker Heinrich August Winkler den fehlenden Zugang zum Westfernsehen bis 1989 sogar für eine Ursache der islamfeindlichen Pegida-Proteste in Dresden.
Inoffizielle Bezeichnung | Offizielle Bezeichnung |
---|---|
Firma, Horch und Guck, Langer Arm, Stasi | Ministerium für Staatssicherheit (MfS) |
Mauer | antifaschistischer Schutzwall |
Arbeiter- und Bauernschließfach | Neubauwohnung |
rabotten | arbeiten |
Trabi, Rennpappe, Asphaltblase | Trabant (Automarke) |
umrubeln | Geld umtauschen |
Plewnia glaubt, dass im Gegensatz zum offiziellen DDR-Wortschatz – von SERO über Staatsrat bis polytechnische Oberschule – Wörter wie Broiler auch in Zukunft alltagssprachlich verwendet werden: "Denn bei ihnen handelt es sich in Wirklichkeit eben nicht um DDR-Deutsch, sondern um ostmitteldeutsche Regionalismen."
Dass diese regionalen Prägungen völlig verschwinden werden, ist im föderal geprägten Deutschland mit starken regionalen kulturellen Traditionen nicht zu erwarten, so Plewnia. Der Sprachexperte findet ohnehin, "dass die Unterschiede zwischen ehemals West und ehemals Ost kleiner sind als diejenigen zwischen Nord und Süd." Darauf eine Breze mit ordentlich Bodder.
*Anmerkung der Redaktion:
In der ursprünglichen Version des Artikels stand unter der Zwischenüberschrift "DDR plante eine 'sozialistische Nationalsprache'": "Auch wenn man im Arbeiter-und-Bauern-Staat eine "sozialistische Nationalsprache" plante ...".
Nach einem Hinweis des Sprachwissenschaftlers Manfred W. Hellmann wurde diese Version geändert auf: "Plante die DDR eine 'nationalsprachliche Variante' des Deutschen?": "Auch wenn einige im Arbeiter-und-Bauern-Staat eine "nationalsprachliche Variante" bzw. "Varietät" wie etwa in Österreich planten oder sich entwickeln sahen ...". Wir danken für den Hinweis.
- Eigene Recherchen
- Bundeszentrale für politische Bildung: Sprache und Sprachgebrauch in der DDR
- Monika Sigmund: Genuss als Politikum – Kaffeekonsum in beiden deutschen Staaten
- IDS Sprachreport 1/2015: Deutsch in Ost und West
- Wirtschaftswoche: "Fehlendes Westfernsehen schuld an Pegida in Dresden"