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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Phänomen Pferdemädchen Warum viele Mädchen Pferde so faszinierend finden
Auf viele Mädchen üben Pferde eine unwiderstehliche Faszination aus. Das steckt hinter dem Phänomen.
Erwachsene Frauen kann man in zwei Kategorien unterscheiden: Waren sie früher ein Pferdemädchen? Oder war ihnen der Unterschied zwischen Dressur und Voltigieren, Trab und Galopp und der zwischen Friesen, Haflingern und Arabern schnuppe?
Queen Elisabeth – das berühmteste Pferdemädchen
Für viele ist das Reiten eine Phase vor dem ersten Freund, ein nicht gerade billiges Hobby, geduldig getragen von Eltern, die den Nachwuchs zum Reiten kutschieren.
Einige bleiben ihr Leben lang ein Pferdemädchen. So wie Queen Elizabeth II., die zum 90. Geburtstag eine Reiterparade geschenkt bekam und immer noch im Sattel sitzen soll. Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist eine passionierte Reiterin.
Reiten ist ein weiblicher Sport
In Deutschland gibt es rund 1,3 Millionen Pferde. Die Population habe sich in den vergangenen 40 Jahren etwa vervierfacht und auf konstantem Niveau eingependelt, bilanziert die Deutsche Reiterliche Vereinigung, der Dachverband des Pferdesports. Der Sport ist eine Frauendomäne. Etwa jedes dritte Mitglied der Deutschen Reiterlichen Vereinigung ist weiblich.
"Zwischen Puppe und dem ersten Freund"
"Müsste man es einordnen, läge das Pferd – überspitzt gesagt – wahrscheinlich irgendwo zwischen Puppe, dem ersten Freund und dem ersten Kind", so die Sozialpädagogin Gisela Luntz, selbst Leiterin eines Reitstalls.
"Begeisterung fürs Pferd ungebrochen"
Uta Helkenberg von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung stellt fest: "Die Begeisterung der Mädchen fürs Pferd scheint ungebrochen. Das sieht man ja alleine, wenn man sich mal anschaut, worauf überall Pferde und Ponys abgebildet und abgedruckt sind."
Ihr Eindruck ist aber auch, dass die Jugendlichen heute oft nicht mehr so viel Zeit haben, um neben der Schule nachmittags stundenlang im Stall zu sein. Die Zahl der registrierten reitenden Mädchen ist in den vergangenen fünf Jahren deutlich gesunken - von 159.000 auf 138.000.
Die Zahlen im organisierten Pferdesport gehen generell zurück. Das hängt laut Helkenberg wie in anderen Sportarten mit dem gesellschaftlichen Wandel zusammen. Deutschland wird älter. Innerhalb des Gesamtverbandes werde der Frauenanteil aber immer größer, sagt die Fachredakteurin.
Das Pferd als Übergangsobjekt
Warum Mädchen auf Pferde stehen, war schon viel Stoff für Wissenschaftler bis hin zur Psychoanalytikerin Anna Freud. Helkenberg erklärt es einfach: "Man kann immer wieder beobachten, dass das Pferd in der Übergangsphase zwischen Kind und junger Frau eine wichtige Rolle spielt, dass gerade Mädchen zum Pferd eine besondere, emotionale Bindung aufbauen."
Der Umgang mit dem Pferd stärkt das Selbstvertrauen
Wenn man die Liebe zum Pferd erklären möchte, dann muss man neben dem sportlichen Aspekt auch die soziologischen und psychologischen Aspekte betrachten, die mit hineinspielen.
"Obwohl ein Pferd kein Tier ist, das gerne kuschelt, so ist es doch das Tier selbst, das die Faszination auslöst. Der große, warme Körper, der Körperkontakt beim Putzen und die Harmonie, die man in der Arbeit mit dem Pferd herstellt." Luntz, die über eine Zusatzausbildung in tiergestützter Therapie verfügt und auf ihrem Hof auch heilpädagogisches und integratives Reiten anbietet, arbeitet bewusst gruppenpädagogisch.
Auf der einen Seite wird so das Zugehörigkeitsgefühl bei den Kindern und Jugendlichen gestärkt, auf der anderen Seite werden auch die Kinder besser erreicht, die sehr auf sich bezogen sind und die von der Arbeit mit dem Pferd stark profitieren können.
Abnabelung von den Eltern
Die Liebe zum Pferd fällt bei vielen Mädchen in eine Phase, in der sie beginnen, sich von den Eltern abzunabeln. Das Pferd vermittelt Sicherheit, Geborgenheit und manchmal auch Trost.
Wenn man sich in der Wissenschaft umsieht, dann werden das Reiten und die Vorliebe zum Pferd immer wieder mit einer sexuellen Motivation in Verbindung gebracht. Gisela Luntz sieht das nicht so.
"Meistens sind die Mädchen davon doch noch ein ziemliches Stück entfernt. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass durch den Umgang mit dem Pferd die Entwicklung hin zu Jungs sogar noch ein wenig weiter hinausgeschoben werden kann."
Geruch der Pferde
Umsorgen, verhätscheln, streicheln und die Wärme des Tieres spüren, den speziellen Geruch einsaugen - die Pflege eines Pferdes ist richtige Arbeit, bei der man auch mal schmutzig wird, weil sie bei jedem Wetter gemacht werden muss und die viel Zeit in Anspruch nimmt. Aber das alles ist eine Zärtlichkeit, die von der Gesellschaft akzeptiert wird - im Gegensatz zu einem sehr frühen Hinwenden zum anderen Geschlecht.
"Das Pferd will nichts von dem Mädchen, was es selbst vielleicht nicht will. Aber irgendwann erwischt es alle und sie verlieben sich das erste Mal. Das Pferd wird diese Bindungslösung widerspruchslos hinnehmen und wenn es gut versorgt ist, prima verkraften und mit Sicherheit auch keine Eifersuchtsszene machen."
Und was sagt ein Pferdemädchen dazu? Die Nachwuchsreiterin Lilli (5) aus Schleswig-Holstein findet die Tiere einfach lieb. "Am tollsten ist, wenn Berti galoppiert, wenn man so fast schwebt im Himmel."
"Pferdevirus" bleibt meist lebenslänglich
Nicht alle bleiben dem Sport aus der Kindheit treu. Etwa, wenn der Freund keine Pferde mag oder der Beruf nicht zum Reiten passt. Das "Pferdevirus" haftet aber meist lebenslänglich, sagt Helkenberg. Viele kehren später als Wieder-Aufsteiger zurück. Oder sie schauen als Eltern hinterm Zaun zu, wie das Kind auf dem Pony reitet - und manchmal eine lebenslange Liebe beginnt.