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Die Stiefmutter - Böse Hexe oder armes Aschenputtel?


Patchworkfamilien
Die Stiefmutter - böse Hexe oder armes Aschenputtel?

Die Stief- oder Patchworkfamilie ist der dritthäufigste Familientyp in Deutschland. Darin kommen Menschen zusammen, die gravierende Veränderungen und Verluste erlebt haben. Das ist für alle Beteiligten nicht einfach. Vor allem die Stiefmütter haben nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen.

05.10.2015|Lesedauer: 4 Min.
t-online, Simone Blaß
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Wir alle kennen sie aus Märchen: Die bösen Stiefmütter sind grässliche, hässliche Frauen, die kleine Kinder allein in den dunklen Wald schicken oder vergiftete Äpfel verteilen. 13 Stiefmütter gibt es allein in Grimms Märchen – keine davon ist gut. Tatsächlich belegen Studien, dass in früheren Zeiten die Sterblichkeitsrate vor allem für Mädchen deutlich höher war, sobald eine Stiefmutter ins Spiel kam. Und auch heute noch ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu trennen, für Paare in einer Patchworkfamilie doppelt so hoch wie in einer klassischen Familie.

Stiefeltern müssen in ihre Rolle als Nebenmutter oder -vater oft erst hineinfinden. Das geht nicht ohne Diskussionen und Konflikte.Vergrößern des Bildes
Stiefeltern müssen in ihre Rolle als Nebenmutter oder -vater oft erst hineinfinden. Das geht nicht ohne Diskussionen und Konflikte. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Bewusst mit der Situation auseinandersetzen

Psychologisch gesehen ist jeder, der einen Partner mit Kindern hat, Stiefmutter beziehungsweise Stiefvater. Mit dieser Rolle muss man sich auseinandersetzen. In den meisten Fällen wirken Stiefelternteile erst einmal wie ein Störenfried, sind ein Symbol für das Scheitern der Kernfamilie.

Es gibt immer wieder Versuche, die Stiefmutter wenigstens sprachlich positiv zu besetzen. Der bekannte Familientherapeut Jesper Juul spricht in diesem Zusammenhang zum Beispiel von der "Bonusmutter". Wirklich durchgesetzt hat sich das nicht.

Die Diplompsychologin Katharina Grünewald hat ein Beratungskonzept für Patchworkfamilien entwickelt. Sie rät, gemeinsam zu überlegen, welche Bezeichnung treffend wäre, sich zu fragen: Welche Art von Beziehung haben wir? Was bedeuten wir füreinander? Durch diesen Denkprozess kommt ins Bewusstsein, dass man füreinander nicht Mutter und Kind ist und auch nie sein wird, sondern andere Rollen einnimmt. Man kann den Begriff Stiefmutter dadurch neu definieren und damit seine Perspektive ändern.

Von der Stiefmutter zum Aschenputtel

Leibliche Eltern haben eine eigene Geschichte mit ihren Kindern. Die Stiefeltern allerdings sind erst einmal Fremde, werden oft als Eindringlinge erlebt. Eine Beziehung aufzubauen, kann Jahre dauern. Das birgt viel Zündstoff, aber auch Chancen.

Immer wieder hat man das "arme Stiefkind" im Kopf, das stiefmütterlich behandelt wird. Dabei ist es oft die Stiefmutter, die sich fühlt wie Aschenputtel. Die alles tut und nichts zurückbekommt. "Diese Frauen haben hohe Ansprüche an sich selbst, möchten alles richtig machen, oft auch den Kindern nach der schweren Zeit der Trennung helfen." Sie glauben, als eine Art Übermutter die Familie glücklich machen zu können.

"Das ist ein Perfektionsanspruch, dem niemand gerecht werden kann und bei dem die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt werden. Dadurch ist die Gefahr groß, tatsächlich zur bösen Stiefmutter zu mutieren", weiß Psychologin Grünewald. "Das mit dem Aschenputtel ist naheliegend. Sie und die Stiefmutter sind Teile einer Persönlichkeit: In jeder bösen Stiefmutter steckt ein zu kurz gekommenes Kind."

Die Kinder stehen an erster Stelle

Stiefmütter haben oft das Gefühl, die eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund rücken zu müssen, wenn die Kinder des Partners da sind. "Viele Frauen berichten mir, dass alles rosarot ist, bis die Kinder auftauchen, dann mutieren sie zu einer Art Möbelstück", so Grünewald. "Der Mann sieht sie nicht mehr, die Kinder stehen an erster Stelle." Hier seien die Männer gefordert, Stellung zu beziehen. Das sei nicht nur wichtig für die Beziehung der beiden. Es sei auch gut für die Kinder, wenn sie sehen, dass es noch andere Liebesbeziehungen gibt als die, die Mama und Papa früher hatten.

Mütter können den Weg zu den Stiefmüttern ebnen

Klassisch ist die Situation, dass alles in Ordnung zu sein scheint, das Wochenende mit den Kindern harmonisch verlief, es aber am Schluss zu Streit kommt. "Dieses Problem beruht auf einem Loyalitätskonflikt. Ein Kind kann sich nur dann auf die Beziehung zur Stiefmutter einlassen und sie genießen, wenn es sicher ist, dass es die Mutter nicht verrät. Gerade dann, wenn das Wochenende besonders schön war, hat das Kind aber genau diese Sorge und tritt der Stiefmutter symbolisch gesehen vors Schienbein. Stellt damit die Ordnung wieder her."

Hier sind die leiblichen Mütter gefordert. "Wichtig wäre, die eigenen Gefühle zu trennen vom Gefühlsleben der Kinder. Ihnen eine eigene Gefühlswelt zuzugestehen und ihnen damit auch zu erlauben, eine Beziehung zu der neuen Frau des Vaters aufzubauen."

Stiefmütter haben auch Rechte – das zur Erziehung gehört nicht dazu

Oft entstehen Konflikte durch verschiedene Vorstellungen von Erziehung und durch das Gefühl, nur Pflichten, aber keine Rechte zu haben. Denn eine Erziehungsberechtigung hat man als Stiefelternteil nicht. Das betrifft vor allem Regeln und Verbote. Andererseits müssen Stiefmutter oder Stiefvater auch nur so viel Verantwortung übernehmen, wie es der Beziehung zum Kind entspricht.

Wichtig ist, sich mit dem Partner auszutauschen. Was erwartet er? Soll man sich an der Erziehung beteiligen oder zurückhalten? Decken sich die Vorstellungen?

Das eigene Kind darf einem näher stehen

Grünewald, Autorin des Buches "Glückliche Stiefmutter", bezeichnet sich selbst als Mutter von zwei bis vier Kindern. Aus Erfahrung weiß sie, dass es noch mehr Konflikte gibt, wenn zu den Kindern aus früheren Beziehungen noch gemeinsame kommen. Die Konflikte sehen aber anders aus. Hier jedem das Gefühl zu geben, gerecht behandelt zu werden, ist ein Balanceakt.

"Man hat den Anspruch alle Kinder gleich lieben zu müssen – aber den kann man gar nicht erfüllen. Davon sollte man sich befreien, sich auch zugestehen, dass man natürlicherweise die eigenen Kinder mehr liebt als die Stiefkinder. Bei diesen stehen ja auch die leiblichen Eltern an erster Stelle." Im Umkehrschluss bedeutet das, dass man sich auch tolerant zeigen sollte, wenn der Partner seinen eigenen Kindern mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt. "Die Schwierigkeit ist, dass die leiblichen Väter eine Scharnierfunktion haben. Auf der einen Seite steht die Verantwortung für die alte Familie inklusive dem Fortbestehen von Ritualen, auf der anderen Seite die neue Liebesbeziehung."

Der "böse Stiefvater" holt auf

Die Stiefväter waren dabei bisher fein raus, denn das Bild des Stiefvaters lässt mehr Gestaltungsspielraum zu. Während das der Stiefmutter überlastet ist mit Ansprüchen und Anforderungen, hat der Stiefvater seine Rolle bisher gut erfüllt, wenn er sich weitestgehend herausgehalten hat. "Das ändert sich aber im Moment, weil sich das Männerbild ändert. Weil Stiefväter mehr in den Familien aktiv sind." Sie werden zu "sozialen Vätern", begleiten die Kinder zum Training, machen mit ihnen Hausaufgaben, reparieren Spielzeug und möchten Vertrauter sein.

Immer häufiger werden sie dadurch mit den gleichen Problemen konfrontiert, mit denen auch Stiefmütter zu kämpfen haben. Sie laufen Gefahr, in die gleichen Fallen zu tappen und so zum "bösen Stiefvater" zu mutieren.

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