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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Urinstinkt oder Rollenklischee? Was hinter dem Rosa-Tick kleiner Mädchen steckt
Ein Mädchen trägt Rosa, der Junge Hellblau. Da können sich Schwangere noch so sehr dagegen wehren und neutrale Kleidungsstücke, Schnuller oder Bettwäsche ausfindig machen - in der Geburtsklinik werden sie wieder von den Farbklischees eingeholt. Ist es ein Mädchen, bekommt es ein rosa Armbändchen verpasst. Und später kommen fast alle Mädchen in ein Alter, in dem sie selbst auf Rosa stehen. Nicht immer zur Freude der Eltern, die sich fragen: Was war zuerst da? Die Lieblingsfarbe oder die die Farbwelten der Kinderartikel-Hersteller?
Rosa ist die Prinzessinnenfarbe und als solche wird sie von kleinen Mädchen geliebt: "Die Mädchen drücken mit der Farbwahl nonverbal etwas aus. Rosa spricht das Gute im Menschen an, erinnert an junge Tiere, macht sanft und zärtlich", erklärt Professor Axel Buether, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Farbenzentrums in Wuppertal. "Genau diese Reaktion wollen die kleinen Mädchen, ohne es zu wissen, auch hervorrufen." Sie fühlen sich also in gewisser Weise schutzbedürftig. "Und das Rosa ist auch nicht das Problem. Das geht vorbei. Problematisch wird es erst, wenn die kleine Prinzessin auch dauernd als solche behandelt wird."
Nicht immer war die Welt für Mädchen rosarot
Die Farbforscher der Universität Wuppertal haben herausgefunden, dass Probanden und zwar egal, ob männlich oder weiblich, als weicher wahrgenommen werden, wenn sie sich in Rosa kleiden. "Man hat sogar festgestellt, dass sich aggressive Gefängnisinsassen in rosa Zellen eher beruhigen."
Farben haben eine Signalwirkung, der wir uns nicht entziehen können, da sie unbewusst abläuft. Weil Rot Stärke signalisiert, kleidete man früher vor allem männliche Babys in dieser Farbe, die ausgewaschen zu Rosa wurde. Erst Anfang des letzten Jahrhunderts wurde Blau zur Farbe der Jungs. Dazu dürften Blaumänner und Blue Jeans beigetragen haben, damals noch typisch männliche Attribute. Es folgte der Matrosenanzug für den Jungen und das rosa Kleidchen für die Mädchen. Und dabei blieb es bis heute.
Ein Schritt zurück zu den Urinstinkten der Menschheit: "Eine Farbe ist wie eine Geste und Rot ist die wichtigste Farbe, die wir Menschen kennen. Und sie ist erst einmal geschlechtsneutral zu betrachten. Der Mensch reagiert auf eine Rötung der Körperhaut. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur unbewussten Kommunikation, zum Beispiel auch zwischen Mutter und Kind, egal, welche Hautfarbe wir haben. Ein Erröten signalisiert immer eine Wichtigkeit, der wir uns nicht entziehen können", erklärt Buether.
"Pinkstinks" - die Kampagne gegen Pink
Auch die Farbtherapeutin Christa Muths, die Farben als Schlüssel zur Seele sieht und ihnen sogar Heilungskräfte zuweist, beschreibt das Rosa in ihrem Buch "Farbtherapie" als ein Symbol der Liebe und der Zuneigung.
Niedlich, süß, schutzbedürftig, lieb und ein bisschen hilflos - mit diesen Attributen, die wir automatisch mit Mädchen in Rosa verbinden, sind nicht alle einverstanden - vor allem dann nicht, wenn die Spielzeugindustrie das Klischee verstärkt und kommerzialisiert. So wurde beispielsweise das rosa Mädchen-Überraschungsei mit superschlanken Feen-Figuren zu einem Stein des Anstoßes für "Pinkstinks Germany", einer Kampagne gegen Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien, die Mädchen eine bestimmte Rolle zuweisen. Stevie Schmiedel, Genderforscherin aus Hamburg und Gründerin des Vereins, sagte der Pinkifizierung den Kampf an.
Es ist unübersehbar, dass die heutige Marketing- und Medienwelt weiterhin die angeblich längst überholten Rollenbilder von starken Jungs und süßen Mädchen vermittelt. "Die Vorliebe für Rosa war zuerst da, aber die Industrie ist auf diesen Zug aufgesprungen und übertreibt es bisweilen", sagt der Farbforscher Buether.
Rosa aus dem Kinderzimmer verbannen? Keine Chance!
Viele Eltern glauben, den Rosa-Wahn verhindern zu können. Aber erstens haben sie kaum eine Chance und zweitens ist das gar nicht sinnvoll, meint Buether, der zugibt, beim eigenen Nachwuchs damit gescheitert zu sein. Und eingesehen hat, warum: "Unsere Töchter werden durch das Rosa in ihrer Rolle als Mädchen bestätigt. Und das ist ja erst mal auch gut so, es sind Mädchen und sie wollen auch Mädchen sein und dazugehören."
Doch das gilt nicht für alle: "Bei unseren Zwillingen war nur eine von beiden dem Rosa verfallen. Die andere hat sich auf die 'Wilden Kerle' konzentriert und sich damit regelrecht abgegrenzt. Nichts durfte auch nur annähernd nach typischem Mädchen aussehen“, erzählt Birgit, Mutter von Anna und Lea.
Die Rosaphase geht vorbei
Ein Trost zum Schluss: Die Rosaphase geht vorbei. Spätestens im Teenager-Alter "entfärben" sich die Kinder wieder. Oft wenn ein Schulwechsel ansteht. Und sie färben sich dann zügig, entsprechend ihrer neuen Umgebung, wieder ein. Denn Farbe ist eben auch Orientierung. Sie zeigt, welcher Kategorie man angehört. Nur selten dauert die extreme Rosaphase bis ins Jugend- oder gar Erwachsenenalter an. Dann allerdings, so der Farbforscher, ist die Girlie-Rolle - und damit das Schutzbedürftige - ein Teil der Persönlichkeit geworden.