Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tobende Kinder Wenn Kinder wild toben - wann ist der Spaß vorbei?
Wohl kaum ein Spiel ist für Kinder so vergnüglich wie wildes Herumtoben - sei es im Kinderzimmer, auf dem großen elterlichen Bett, auf dem Wohnzimmerteppich oder auf dem heimischen Rasen. Dabei geht es oftmals nicht nur ziemlich laut und ausgelassen zu: So mancher große und kleine Racker holt sich bei den ungebändigten Rangeleien auch mal eine kleine Blessur. Eine Expertin erklärt, wie Eltern dann am besten mit den aufgekratzten Gemütern umgehen sollen und ob ein Limit für die kindliche Ausgelassenheit in bestimmten Situationen sinnvoll ist.
Wenn Ben mit seinen Kumpels oder seinen Geschwistern herumtollt und zum Beispiel eine Kissenschlacht veranstaltet, sind danach meist alle aus der Puste und erschöpft. Die Kinder lieben aber diese Art des ungezügelten Spiels und können meist nicht genug davon bekommen - gleichgültig wie anstrengend es ist.
Kindliche Energie braucht ein Ventil
"Toben ist ausgesprochen wichtig für Kinder, insbesondere im Kindergarten- und Grundschulalter", erklärt die Berliner Diplompsychologin und Erziehungsberaterin Anisa Saed-Yonan gegenüber der Elternredaktion von t-online, "Denn sie haben jede Menge Energie und die müssen sie wie bei einem Ventil unbedingt rauslassen. Dadurch bewegen sie sich nicht nur viel, sondern sie messen beim Rangeln auch ihre Kräfte mit anderen, trainieren dabei aber zugleich Rücksichtnahme und erfahren, wie weit sie gehen können."
Kinder lernen die eigenen Grenzen auszuloten
Außerdem setzen sich Kinder mit Gefühlen wie Angst und Ohnmacht auseinander: "So lernen sie ihre Grenzen kennen und entdecken, was sie selbst körperlich und psychisch können und was nicht. Das ist wichtig für die kindliche Entwicklung", weiß die Psychologin. "Denn Kinder können so Schritt für Schritt über sich hinauswachsen und entwickeln Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, gewinnen mehr Sicherheit fürs Leben."
"Eltern behüten heute zu viel"
Diese Erfahrung, das eigene Limit beim wilden Spielen - und sei es nur bei einer Kissenschlacht - auszuloten, ist heute aber nicht mehr selbstverständlich. Seit langem beklagen Experten nämlich die Tendenz, dass Kinder durch die verbreitete Überängstlichkeit von Eltern und ihrem Bemühen, ihre Sprösslinge um jeden Preis vor "Gefahren" und Schäden jeglicher Art zu bewahren, kaum noch die Gelegenheit haben, sich im wahrsten Sinne des Wortes auszutoben: "Früher waren die Kinder robuster und belastbarer, konnten sich selbstbestimmter ausprobieren", kommentiert die Erziehungsexpertin. "Eltern behüten heute zu viel und sind zu vorsichtig. Sie sollten lernen, loszulassen und ihren Kindern mehr zuzutrauen, auch auf das Risiko hin, dass sich der Nachwuchs Blessuren holt."
Tränen und kleine Verletzungen gehören dazu
Kleine Wehwehchen bleiben natürlich auch bei Rangelspielen nicht aus, gerade wenn diese mal aus dem Ruder laufen und möglicherweise mit Tränen enden. "Die Erfahrung, dass es auch mal weh tun kann", so Anisa Saed-Yonan, "müssen Kinder machen können. Dann merken sie selbst, ohne Regulierung durch Erwachsene, wann es zu viel des Guten ist, lernen ihre Kräfte einzuschätzen und sind vielleicht das nächste Mal vorsichtiger."
Spielregeln unterstützen ein faires Miteinander
Doch spätestens wenn die Toberei mit groben Handgreiflichkeiten oder mit Hilfsmitteln wie etwa Stöcken oder Holzschwertern ausgetragen werden, sind Regeln als nützlicher Wegweiser für ein faires Miteinander unverzichtbar. Solche Abmachungen sollten Väter und Mütter aber idealerwiese vor dem Spiel mit allen Beteiligten absprechen: Zum Beispiel, dass Waffen nicht erlaubt sind und dass Beißen, Schlagen, Kratzen oder wüste Beschimpfungen auf jeden Fall zum Tabu erklärt werden und dass das Spielen bei "Regelverletzung" sofort beendet wird.
Ebenfalls hilfreich ist dabei, dass die Kinder sich bei den Raufereien gegenseitig "in Schach" halten können: "Hier sollte jeder Mitspieler verinnerlichen, dass ein deutliches Nein oder Stopp unbedingt respektiert werden muss und dass niemandem absichtlich wehgetan werden darf", erklärt die Diplompsychologin. Auch die Eltern müssen ein Veto einlegen dürfen, wenn sie sich selbst wegen eines zu lauten und ausufernden Spiels in den eigenen vier Wänden genervt fühlen oder der Meinung sind, dass auch für die Nachbarn der Geräuschpegel nicht mehr zumutbar ist.
Mit Papa ist es etwas Besonderes
Tobe-Spiele finden aber nicht nur unter Ausschluss der Erwachsenenwelt statt. Gerade Väter nutzen nur allzu gern die Gelegenheit, sich ins Getümmel zu werfen und sich gemeinsam mit dem ihrem Nachwuchs auszupowern. "Solche ausgiebigen Rangeleien genießen vor allem Jungs", weiß Saed-Yonan. "Für sie ist es besonders wichtig, sich mit ihrer männlichen Identifikationsfigur ab und an ein Kräftemessen zu liefern und dabei zugleich die körperliche Nähe des Vaters zu spüren."
Das Toben mit Papa hat also eine ganz spezielle Qualität: Der Vater fordert sein Kind zwar heraus, ermutigt es und mutet ihm beim Kämpfen und Rangeln etwas zu. Doch zugleich fühlt sich sein Sprössling durch die väterliche Präsenz behütet, weiß, dass ihm eigentlich nichts passieren kann.