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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erziehung Schon Dreijährige können sich verlieben
Basti und Valeska waren unzertrennlich. Ihre Mütter haben sich im Schwangerschaftskurs kennengelernt, trafen sich von Anfang an häufig und die Kinder besuchten die gleiche Kindergartengruppe. Für die beiden war ganz klar: Wenn sie groß sind, werden sie mal heiraten. Es wirkte tatsächlich, als seien sie ineinander verliebt. Doch können sich Kindergartenkinder wirklich schon verlieben oder handelt es sich dabei um etwas, das wir Erwachsenen in die Gefühle der Kinder hineininterpretieren? Die Elternredaktion von t-online.de hat bei Andreas Engel nachgefragt. Er ist Diplompsychologe und stellvertretender Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung.
"Kinder können sich tatsächlich richtig verlieben, denn das Verlieben ist an kein Alter gebunden. Das geht ja auch bis zum Lebensende und bleibt bis ins hohe Alter ein wunderbares Gefühl. Für Kinder ist das aber natürlich emotional besonders überwältigend."
Geht man von der Theorie Freuds aus, dann ist das erste Liebesobjekt im Leben die Mutter beziehungsweise eine andere wichtige Bezugsperson. Verliebt sich ein Kind also das erste Mal in ein anderes Kind, dann ist das Teil seiner Entwicklung: Die ursprünglichen Gefühle werden vom mütterlichen Liebesobjekt abgelöst und die Fähigkeit entwickelt, sich in jemand anderen zu verlieben. In der Regel handelt es sich dabei bei einem Mädchen um einen Jungen und andersherum. "Viele Kinder orientieren sich hier am Bild der Eltern. Und sind immer sehr interessiert daran, wie sich ihre Eltern kennengelernt haben und wie sie sich verliebt haben. Vater, Mutter, Kind oder eben auch die Hochzeit mit einer Braut und einem Bräutigam sind ja gerade im Kindergartenalter äußerst beliebte Spiele", erklärt Engel.
Die Gefühle des Kindes sollte man ernst nehmen
Dass Kinder sich verlieben ist also völlig normal. Doch die Art der Liebe - nicht deren Qualität - unterscheidet sich enorm von der, die Jugendliche oder Erwachsene empfinden und das hat einen ganz klaren Grund: Der Faktor Sexualität spielt im eigentlichen Sinne keine Rolle. Kinder lieben bedingungslos. Ohne Wenn und Aber. Dabei treffen sie nicht immer die Wahl, die wir möglicherweise für sie getroffen hätten. Doch die ersten Bindungen dieser Art sind wichtig für die Kleinen und sie sollten selbst entscheiden dürfen, wem sie ihr Herz schenken. Wobei man sie unbedingt ernst nehmen sollte. Natürlich ist es niedlich, wenn sich zwei Vierjährige den Bund fürs Leben versprechen, aber es ist besser, sich das Schmunzeln für den Abend aufzuheben, denn den beiden ist es ernst. "Das sollte man unbedingt akzeptieren. Leider passiert es viel zu häufig, dass Erwachsene sich lustig machen über die Gefühle der Kinder und diese damit verletzen."
Im Grundschulalter hat es die Liebe schwer
Basti und Valeskas Liebe fror im Grundschulalter erst einmal ein. Man grüßte sich freundlich, schaute auch mal etwas länger in die Richtung des anderen, blieb aber ansonsten lieber bei seinesgleichen. Auch das ist ganz normal, denn nun gilt es in erster Linie, sich seiner eigenen Geschlechtsidentität bewusst zu werden. Was nicht heißt, dass man sich in diesem Alter nicht auch verlieben kann. Nur nicht mehr so offensichtlich, denn Händchenhalten oder ein Küsschen wie es bei den Kleinen oft vorkommt, wären jetzt absolut tabu.
Heute sind Basti und Valeska im Gymnasium, gehören zur gleichen Clique und wenn der eine vom anderen spricht, zieht sich eine zarte Röte über die Gesichter. Aus der Kindergartenliebe könnte - theoretisch zumindest - mehr werden.
Eltern als Stimme der Vernunft - nicht mehr, aber auch nicht weniger
Die beiden sind nun in einem Alter, in dem nach dem Anschwärmen von Unerreichbaren wie Popstars oder Schauspielern erste sexuelle Gefühle für andere eine Rolle spielen. Die Eltern haben auf diese Entwicklung nun keinen Einfluss mehr, sollten aber auch nicht versuchen, sie zu verhindern. Selbst, wenn sie die Wahl ihres Kindes nicht gutheißen oder den Zeitpunkt als viel zu früh empfinden. Offene Gespräche, auch über Verhütung, sind jetzt viel wichtiger.
Teenager, die zum ersten Mal verliebt sind, vergessen darüber alles andere. Das ist normal. "Daran wird man vermutlich auch nicht viel ändern können, aber Eltern sind hier ein bisschen wie die Stimme der Vernunft. Verliebtsein hat, so sagt man, die größte Nähe zum Verrücktsein. Auch hier ist die Realitätswahrnehmung gestört. Natürlich freut man sich mit dem eigenen Kind. Aber es schadet sicher nicht, ihm aufzuzeigen, dass auch die Freunde, die Familie, der Sport und natürlich die Schule ihre Rollen im Leben behalten sollten."
Eine zerbrochene Liebe ist in jedem Alter schwer zu verkraften
Kindern, die verliebt sind, ist die Nähe des anderen wichtig - und gemeinsame Interessen. Damit geht es ihnen nicht anders als uns. Übrigens auch, wenn eine Liebe kaputtgeht oder die Person ihres Herzens wegzieht: Sie leiden, egal ob sie drei oder 13 sind. Das sollte man nicht herunterspielen, sondern das Kind trösten und in seinem Kummer für es da sein. Verlieben sich Sohn oder Tochter unglücklich, dann wird es auch für die Eltern schwer. Denn nun kommt das Mitleid ins Spiel. "Immer kann man sicher nicht helfen. Wichtig ist aber, das Kind zu verstehen, seine Gefühle zu akzeptieren, nachzuvollziehen und das auch mitzuteilen. Natürlich versucht man, ein bisschen Trost zu spenden. Mit Worten, einer Umarmung oder indem man demjenigen einfach etwas Gutes tut und damit sein Kind unterstützt in seinem Unglück und Schmerz."
Abnabeln durch die Liebe
Allerdings darf man auch nicht gekränkt sein, wenn der Nachwuchs seinen Kummer lieber mit der besten Freundin bespricht beziehungsweise mit sich selbst ausmacht. Tagebuch zu lesen oder in anderer Hinsicht hinterherzuspionieren sollten absolut tabu sein. Auch wenn man noch so gerne wissen möchte, was in dem Teenager vorgeht. Sich zu verlieben ist schließlich - egal in welchem Alter - immer auch ein Zeichen für Selbstständigkeit und Abnabelung. Ein Zeichen, das man respektieren sollte.
Für Eltern bedeutet ein Verliebtsein des eigenen Kindes ein Loslösen, bei dem einem im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt wird, dass nun die nächste Generation an der Reihe ist. Das kann Gefühle der Eifersucht hervorrufen, aber auch mit einem Gefühl der Wehmut verbunden sein, das umso einfacher zu verkraften ist, je besser die Paarbeziehung der Eltern ist. Denn für sie bedeutet es nun die Chance, sich langsam aber sicher wieder immer mehr auf sich selbst konzentrieren zu können. "Mal sehen", meint Kerstin, Bastis Mutter, schmunzelnd. "Vielleicht wird’s ja später doch noch was mit der Hochzeit!"