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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erziehung Müssen Eltern immer einer Meinung sein?
Müssen sich Eltern in allen Erziehungsfragen einig sein und "an einem Strang ziehen"? Und wie umgehen sie Konflikte, die aus unterschiedlichen Erziehungsstilen wachsen?
Jeden Morgen gibt es Streit zwischen Jana und ihrer Mutter - die Mutter möchte, dass ihr Kind mit gekämmten Haaren in die Schule geht, Jana ist das egal. Schließlich kämmt Papa sie auch nie. Eine klassische Konfliktsituation entsteht, leider auch häufig zwischen Mutter und Vater. Sie fühlt sich in ihrer Autorität untergraben, er fühlt sich bevormundet, wenn sie ihm sagt, dass er doch das Kind morgens kämmen solle. Jana sitzt zwischen den Stühlen und tut ihren Unmut kund, indem sie sich verweigert. Und sich das heraussucht, was ihr in dem Moment besser passt - eben nicht die Haare zu kämmen.
Unterschiedliche Erziehungsansätze gehören zum Alltag
Pädagogen und Erziehungswissenschaftler sind sich einig: Unterschiede in der Erziehung gehören in der Familie dazu, und das ist für Kinder eher förderlich als schädlich. In alltäglichen Situationen dürfen Eltern unterschiedlich entscheiden und sich in der jeweiligen Situation so verhalten, wie sie es für sinnvoll erachten. Denn durch die voneinander abweichenden Erziehungsansätze von Mama und Papa lernt das Kind zu vergleichen und zu akzeptieren, dass nicht nur eine Meinung zählt (und die richtige ist). Zusätzlich merkt es, dass Fehler korrigiert und Probleme miteinander gelöst werden können. Für die spätere Konfliktfähigkeit ist dies eine Grundvoraussetzung. Außerdem erleben Kinder nicht nur in der Familie unterschiedliche Erziehungsstile. Auch im Kindergarten, bei Freunden, im Hort oder in der Schule müssen sie sich den jeweiligen Gegebenheiten anpassen und damit klar kommen, dass andere Regeln gelten. Durch diese Unterschiede lernen sie, mit neuen Situationen umzugehen und wachsen daran. Sie werden dadurch selbstbewusster, bekommen Selbstvertrauen und können sich so im Alltag besser behaupten.
Die Basis muss stimmen
Auch wenn es für die Kinder vorteilhaft ist zu sehen, dass es unterschiedliche Herangehensweisen im Alltag gibt: In Grundsatzfragen sollten sich Eltern einig sein. So erklärt der Familientherapeut Jesper Juul in seinem Buch "Was Familien trägt" zwar, dass es eine veraltete Wertvorstellung sei, dass sich Eltern über die Erziehung ihrer Kinder einig sein müssten. Er sagt aber auch, dass es "vor allem für das Verhältnis der Erwachsenen untereinander" wichtig sei, dass "hinsichtlich der übergeordneten Werte eine gewisse Übereinstimmung" bestehe. Ist das der Fall könne die Umsetzung in die Praxis durchaus unterschiedlich ausfallen.
Juul bestärkt Eltern darin, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten und sich ihrem Temperament entsprechend zu verhalten. Seiner Meinung nach können wir unsere Kinder damit inspirieren, ein eigenständiges Individuum zu werden und stärken so den Charakter unserer Kinder. Kurz gesagt, Eltern müssen nicht in allem einer Meinung sein, sie müssen aber einen gemeinsamen Weg finden, die Unstimmigkeiten zu umgehen und sich über die Richtung, in die es gehen soll, einig sein. Dafür muss ihnen beiden klar sein, dass der Erziehungsstil des Partners nicht falsch, sondern anders ist.
Gemeinsame Linie, statt absoluter Gleichheit
Wichtig ist außerdem, dass sich Eltern über Grenzen, Rituale und Familientraditionen einig sind. Das müssen nicht die kleinen Rituale zwischen Elternteil und Kind sein, wie beispielsweise die Art und Weise, wie man das Kind morgens zur Schule oder abends ins Bett bringt. Hier geht es um größere Dinge wie Familienfeste, Umgang mit der Natur, Essgewohnheiten, aber auch zum Beispiel der Gesprächskultur bei Tisch. Zudem muss für das Kind klar sein, an wen und woran es sich in der jeweiligen Situation halten soll. Sind sich Eltern in diesem Punkt nicht einig, wird es ziemlich sicher irgendwann darauf hinauslaufen, dass das Kind die Eltern gegeneinander ausspielt und sich - wie Jana - die Rosinen heraus pickt. Das ist langfristig sehr ungesund für Kinder, da sie dadurch verunsichert werden. Ihnen fehlt der feste Rahmen in ihrer kleinen Welt.
Außerdem dürfen unterschiedliche Erziehungsmaßnahmen nicht dazu missbraucht werden, sich beim Kind einzuschmeicheln oder Familienmitglieder gegeneinander auszuspielen, denn das bringt sie in Loyalitätskonflikte. Sätze wie, "Okay, du darfst noch etwas fernsehen, aber nicht der Mama sagen!" sollten deshalb unbedingt vermieden werden. Besser ist es, klar zu machen, warum das Kind noch fernsehen darf, obwohl es dies vielleicht beim anderen Elternteil nicht dürfte.
Und was heißt das für den Alltag?
Das ist leicht geschrieben, denken Sie sich? Sie streiten sich regelmäßig mit Ihrem Mann, weil er Ihren Sohn kurz vor dem Schlafengehen noch einmal ordentlich aufzwirbelt und Ihr Kleiner danach nicht zur Ruhe kommt? Oder Sie verzweifeln an Ihrer Frau, weil sie übervorsichtig ist und Ihr Kind nicht alleine auf Bäume klettern lässt? Dies sind natürlich nur Beispiele, aber der Konflikt ist klar: Hier treffen Meinungen und Verhaltensweisen aufeinander, die auch nicht mit langem Reden und Diskutieren aus der Welt zu schaffen sind. Der Papa möchte auch noch etwas von seinem Sohn haben, wenn er abends nach Hause kommt. Und der Mutter ist es einfach zu unsicher, ihr Kind auf den Baum steigen zu lassen.
Doch die Lösung für diese Konflikte liegt nahe: Wer sich gerade um das Kind kümmert, ist verantwortlich. Das führt allerdings auch dazu, dass derjenige, der sich deutlich mehr um die Kinder kümmert, in alltäglichen Dingen entscheidet. Er muss schließlich auch mit den Konsequenzen leben und mit dem Kind im Alltag "klar kommen".
Das heißt für den Vater in unserem Beispiel, er kann mit seinem Kind toben, muss es aber dann auch ins Bett bringen. Wenn die Mutter mit ihrer Tochter unterwegs ist, darf das Kind nicht auf den Baum klettern. Dafür freut es sich vielleicht umso mehr, mit dem Papa einen Spaziergang zu machen.