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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erziehung Gibt es schwierige Kinder - oder werden sie schwierig gemacht?
In vielen Familien, in Kindergärten und Schulen gibt es Kinder mit dem Ruf schwierig, verhaltensauffällig oder gar „gestört“ zu sein. Immer mehr Kinder werden wegen ihres Verhaltens therapiert, werden Kinderpsychologen vorgestellt und/oder bekommen Medikamente wie Ritalin (gegen ADHS) verschrieben. Eine Studie des Robert Koch-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als 20 Prozent aller Kinder als verhaltensauffällig gelten. Sind diese Kinder einfach schwierig oder werden sie von Erwachsenen dazu gemacht? Welche Ursachen für auffälliges Verhalten gibt es und was kann man dagegen tun?
Jedes Kind bringt sein Temperament mit
Zunächst bringt jedes Kind ein gewisses Temperament beziehungsweise bestimmte Charaktereigenschaften mit. So hat jedes Baby beispielsweise von Anfang an seine eigene Form, Missfallen zu äußern. Manche Babys meckern sehr vehement, andere eher zurückhaltend, wenn sie noch hungrig sind. Während das eine Kind offen auf andere Menschen zugeht, beobachtet das andere gerne Fremde zunächst aus der Distanz. Manche Kinder schlucken ihren Frust einfach herunter, andere greifen gleich zu den Fäusten. Als „schwierig“ wahrgenommen werden vor allem die trotzigen, aggressiven oder unruhigen Kinder. Zurückgezogene, beobachtende und passive Kinder, die vielleicht ebenfalls Probleme haben, werden dagegen selten als „schwierig“ empfunden. Wer ein „schwieriges“ Temperament mitbringt, muss aber noch lange nicht zum Problemkind werden. Eine adäquate Reaktion, eine gelungene Erziehungsleistung allerdings gewinnt hier an Bedeutung. Auch kann mit Temperamentsunterschieden nicht die Zunahme an verhaltensauffälligen Kindern erklärt werden.
Ein Symptom kranker Beziehungen
Fehlende Grenzen, ein zu hoher Medienkonsum und verwöhnte Einzelkinder, es gibt viele Erklärungsansätze für die wachsende Zahl an „Problemkindern“. Viele neue Ansätze gehen davon aus, dass ein „schwieriges Kind“ in erster Linie ein Symptom einer gestörten Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen ist. Eine solche Beziehungsstörung liegt dem Jugendpsychiater Michael Winterhoff zufolge vor, wenn das Kind wie ein Partner behandelt wird und in alle Entscheidungen eingebunden wird oder wenn ein Erwachsener immer und zu jedem Zeitpunkt von seinem Kind geliebt werden will. Andere Eltern betrachten das Kind als Teil ihrer selbst, der funktionieren muss. Funktioniert das Kind nicht, wird nicht nach den wahren Gründen gesucht, sondern zum Beispiel die Ursache beim Lehrer oder einer Krankheit gesucht (zum Beispiel ADHS, Hyperaktivität). Wichtig dabei ist dem Psychiater zufolge zu wissen, dass Kinder ab fünf Jahren alles für ihre Eltern tun. So geht ein gesund gebundenes Kind nur für seine Eltern zur Schule, und nicht weil es dies als wichtig für sein Leben erkennt. Ist diese Beziehung aber gestört, leidet auch das Sozial- und Leistungsverhalten des Kindes außerhalb des Elternhauses.
Kleine Jungen, große Not
Jungen gelten besonders häufig als schwierig. Der Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann nennt als einen wesentlichen Grund die Dominanz der Mütter und die „Vaterlosigkeit“, die er weniger auf deren zu lange Abwesenheit, sondern mehr auf deren Verhalten als „mutlose, emotionale Randfiguren“ bezieht. Häufig werde der Vater zur Randfigur, weil er für die Mutter kaum noch vorkommt. Für sie steht der Sohn im Mittelpunkt, dem Vater traut sie den Umgang letztlich nicht zu. Der Vater zieht sich weiter zurück, dafür erntet er wiederum Kritik. Ein Teufelskreislauf, in dem sich die Mutter weiter auf den Sohn fixiert und ihn verwöhnt. Diese Erwartungshaltung, dass sich alles um ihn und seine Bedürfnisse drehen muss, überträgt der Junge auf die Außenwelt – und wird wütend, wenn die Außenwelt nicht entsprechend reagiert. Dabei liegt laut Bergmann in einer Vaterfigur, die Stärke und Zuneigung verbindet, eine große Chance, das Kind für die Außenwelt zu stärken. Auch für den Schulerfolg - vor allem von Jungen - ist diese Mischung aus Zugewandtheit und Strenge („Dem kann man nicht auf der Nase rumtanzen!“) im Lehrerverhalten zentral, so Bergman - wichtiger als jedes Konzept.
Die Ursachen herausfinden?
Um die Ursachen für das Verhalten der Kinder herauszufinden, sollten sich Eltern unter anderem folgende Fragen zu stellen:
- Bekommt das Kind genug Liebe, Anerkennung und Förderung?
- Stimmt der „Stresspegel“? Sind die Bezugspersonen unglücklich?
- Stimmen die Erwartungen? Bei zu genauen Vorstellungen, wie ein Kind sein soll, sind Enttäuschungen vorprogrammiert
- In welcher Beziehung stehen Sie zum Kind? Betrachten Sie es zum Beispiel als Partner?
- Welche Rolle nimmt der Vater in der Familie ein? Wie kommt es dazu?
Was Eltern tun können
Eltern wollen wissen, was sie tun können, um die Situation zu verbessern. Einige Tipps von Experten zusammengefasst:
- Zeit nehmen, im Sinne von unverplanter Zeit, ohne Programmpunkte und Hektik
- ein hohes Maß positiver Zuwendung; Stärken betonen
- aggressives oder anderes „negatives“ Verhalten niemals ignorieren, sein Missfallen - auch mit der Mimik - deutlich äußern ohne in endloses Schimpfen und Meckern zu verfallen
- Mitgefühl zeigen ("Puh, das sind wirklich viel Hausaufgaben!")
- Machen Sie sich klar, dass ein Kind die Folgen seines Handelns nicht abschätzen kann. Deshalb treffen Eltern die Entscheidungen (zum Beispiel dünne oder dicke Kleidung), Kinder treffen höchstens „Unterentscheidungen“ (zum Beispiel die Farbe der Hose)
- Eltern geben den Zeitrahmen vor, zum Beispiel für Hausaufgaben oder Flöte üben. Macht ein Kind nicht mit oder verfällt ins Schimpfen, nicht ins „Zurück-Meckern“ verfallen. Gehen Sie aus der Situation (Raum verlassen) und sagen Sie dem Kind, dass der geplante Tagesablauf erst weitergehen kann, wenn es die Aufgabe erfüllt hat
- „Sternchen“ oder „Smileys“ für erwünschtes Verhalten vergeben: Kleinkinder erhalten nach dem vierten Sternchen ein kleines Geschenk, das als Überraschung an der Küchenlampe hängt