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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lärm Spielende Kinder - genervte Nachbarn
Kinder machen Krach, das ist normal - sollte es zumindest. Dieser alltägliche Kinderlärm soll nun nach dem Willen der Berliner SPD-Fraktion künftig in Wohngegenden toleriert werden. Dazu will die SPD das Immissionsschutzgesetz so ändern, dass Kinderlärm "als sozial adäquate Lebensäußerung von Kindern" grundsätzlich akzeptiert wird, erläuterte die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sandra Scheeres. Sie bestätigte entsprechende Berichte der "Berliner Morgenpost" und der "Bild". Gerichtsurteile zuungunsten von Kindern sollen so deutlich erschwert werden. Die CDU- und die FDP-Fraktion begrüßen den Vorstoß. Allerdings gibt es immer wieder konkrete Fälle, in denen gegen das Recht der freien Entfaltung von Kindern entschieden wird, so auch erst vor kurzem im Schleswig-Holsteinischen Reinbek. Dort muss aus Gründen des Lärmschutzes der kleine ortseigene Bolzplatz eingezäunt und mit einer Schließanlage versehen werden. Fußballgespielt werden darf dann dort nur noch an Werktagen in der Zeit von 9 bis 12 Uhr und von 15 bis 20 Uhr.
Die rechtliche Lage
An die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten - 13 bis 15 Uhr und 22 bis 7 Uhr - sollten sich generell auch Kinder halten, im Zweifelsfall müssen die Eltern dafür Sorge tragen, dass die Kinder niemanden stören. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes muss jedoch Lärm "als Begleiterscheinung kindlichen und jugendlichen Freizeitverhaltens" in "höherem Maße" durch Nachbarn hingenommen werden (Az: V ZR 62/91). Wenn Kleinkinder in der Wohnung schreien, ist das von den Nachbarn auch nachts als "natürliches Verhalten des Kindes" hinzunehmen (AG Bergisch Gladbach, Az: 26 C 14/82 sowie ähnlich OLG Düsseldorf (Az.: 9 U 218/96). Werden Nachbarn allerdings unzumutbar gestört, können sie bei den Eltern oder dem Vermieter eine Unterlassung verlangen. In schweren Fällen kann der Vermieter die Ruhestörer sogar wegen Verletzung vertraglicher Pflichten abmahnen beziehungsweise kündigen.
Konkreter Fall
Familie L. wohnt mit ihren zwei Kinder - drei und sechs Jahre alt - in einem Zwei-Familien-Haus im Erdgeschoss. In der Wohnung über ihnen lebt das kinderlose Ehepaar Schmidt. Immer wieder kommt es zu Ärger - zuletzt als der dreijährige Leon krank ist und laut weinend die Einnahme seines Medikamentes verweigert. Herr Schmidt schellt an der Tür und beschwert sich bei der Familie über den Lärm. Ein anderes Mal ärgert er sich darüber, dass die Kinder laut rufend im Garten Fußball spielen oder ausgelassen mit Wasser herumspritzen. Die Mutter der beiden Kinder ist ihrerseits genervt und bittet den Nachbarn um Verständnis.
Spielbedürfnis von Kindern hat Vorrang
Solche Vorkommnisse sind keine Einzelfälle. Immer wieder prallen die Tobebedürfnisse mit den Ruhebedürfnissen der Nachbarn aufeinander. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber in der neuen Rechtssprechung entschieden, dass das Spielbedürfnis von Kindern Vorrang hat. Das Bedürfnis von Kinder ungestört zu toben, schreien, lachen oder weinen steht also über dem Ruhebedürfnis von Nachbarn. Von Mitbewohnern wird eine erhöhte Toleranzgrenze gegenüber Kinderlärm erwartet. Dieser wird damit ganz anders bewertet als zum Beispiel der Lärm durch das Abspielen von Tonwiedergabegeräten, weil "Kinderlärm eine notwendige Ausdrucksform und Begleiterscheinung des kindlichen Spielens darstellt, die nicht generell unterdrückt oder auch nur beschränkt werden kann" (Entscheidung des Oberlandgerichts Düsseldorf).
Ruhe in der Mittagspause?
Immer wieder fordern Nachbarn eine ungestörte Mittagsruhe ein. Gesetzlich geschützt ist aber nur die Nachtzeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr, gleiches gilt für Sonn- und Feiertage. Dementsprechend ist es Kindern unter zwölf Jahren auch erlaubt, in der Mittagszeit oder sonntags auf dem Spielplatz zu spielen, wenngleich sie sich möglichst leise verhalten sollten. Die meisten Gerichte haben befunden, dass es eine „unbilligende Einschränkung“, insbesondere im Winter, sei, die Mittagszeit und den Sonntag vom Spielen auszuschließen. Aber auch in der Zeit, kann niemand erwarten, dass Babys nicht schreien, während von Schulkindern erwartet wird, dass sie sich an die gültigen Zeiten halten.
Mittagsregelung in der Gemeinde oder im Vertrag?
In den meisten Bundesländern gibt es keine allgemeine Mittagsruhe mehr. Die Gemeinden haben aber die Möglichkeit, selbst entsprechende Regeln zu beschließen. Auch privatrechtliche Regelungen in Form von Hausordnungen oder Mietverträgen können wirksam sein. Diese können auch das Spielen auf Außenanlagen verbieten, so dass den Eltern nichts anderes übrigbleibt, als den nächstgelegenen Park oder Spielplatz aufzusuchen. Nach den neuen Gesetzesvorschlägen der SPD könnte sich das nun in Zukunft ändern.
Trotzdem: Es gibt auch Grenzen
Auch wenn es für Kinder wichtig ist, zu toben, draußen zu spielen und auch mal laut sein zu dürfen, sollten selbstverständlich auch Eltern und Kinder Rücksicht auf die Bedürfnisse Anderer nehmen. Eltern sollten ihren Kindern ganz klar Grenzen aufzeigen. So ist es sicher gerechtfertigt, wenn sich Nachbarn darüber ärgern, dass Kinder sonntags morgen um halb acht zum Bobby-Car-Fahren nach draußen geschickt werden. Auch wenn das Schlagen gegen das Kellergeländer im Garten für das Kind wundervoll klingt - aus Rücksicht auf die Nachbarn sollten solch unnötigen Lärmquellen verboten werden. Kindern sollten, besonders wenn sie älter werden, lernen, dass ein harmonisches Zusammenleben nur möglich ist, wenn jeder nicht nur auf seine eigenen Bedürfnisse schaut, sondern zumindest auch ein Stück weit die anderen im Blick hat. Sich nur auf Gesetze zu berufen, wird da sicher nicht immer der richtige Weg sein.
Mehr im Ratgeber: Familie & Kind