"37 Grad"-Reportage "Wir sind doch keine Rabeneltern, nur weil wir arbeiten gehen wollen"
Der Balanceakt zwischen Familie und Beruf stellt viele junge Familien vor eine Zerreißprobe.
In Deutschland wird fast jedes dritte Kind unter drei Jahren in einer Kita oder von Tageseltern betreut. Derzeit sind das fast 700.000 Kleinkinder. Doch der Betreuungsbedarf ist damit lange nicht gedeckt. Wenn beide Elternteile wieder arbeiten wollen – oder müssen – wird das zur einer nervenaufreibenden organisatorischen Herausforderung.
Kein Kita-Platz auf dem Land
Yvonne und Christian haben sich in Wangen im Allgäu angesiedelt. Der Papa hat sich in seiner Elternzeit um die kleine Anna gekümmert, die jetzt 14 Monate alt ist. In der Zeit konnte Yvonne als Lehrerin weiterarbeiten. Nun will Christian auch wieder arbeiten. Aber dann gab es unerwartete Schwierigkeiten: "Gar kein Problem mit Kita-Plätzen hier bei uns, dachten wir. Wir werden hier bei uns im Allgäu einen bekommen. Da sind uns aber die Augen auf gegangen. Denn Yvonne ist gekommen und hat gesagt, wir bekommen keinen Kita-Platz, es gibt nirgends einen Platz, gar nichts."
Die Großeltern müssen einspringen
Wer keinen Kindergartenplatz ergattern kann, dem bringt auch der Rechtsanspruch nicht viel, denn die Betreuung muss umgehend gefunden werden. Einige Telefonate später finden die beiden ab September eine Tagesmutter. Doch bis dahin springen ihre Eltern ein. Yvonnes Vater hat seinen Jahresurlaub genommen und die Mutter, eine selbstständige Geschäftsfrau, hat eine zusätzliche Arbeitskraft eingestellt.
"Hier auf dem Land schwirrt in den Köpfen, dass die Mutter mindestens drei Jahre zu Hause bleiben soll", sagt die 35-jährige Yvonne. "Die haben oft noch die Ansicht: Ich heirate einen Mann, der muss einigermaßen gut verdienen, und ich bin Mutter und bleibe zu Hause."
"Mein Studium soll doch nicht umsonst gewesen sein"
Auch Kerstin (32) und Adam (39) sind diesen Stress gewohnt. In den letzten vier Jahren mussten sie dreimal umziehen, denn Adam ist Berufssoldat. Nun steht wieder ein Umzug an, von Rodgau in Hessen nach Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen.
Die vierjährige Sophie braucht einen Kitaplatz, auch der zweijährige Jasper. Doch die Architektin will auch zurück in ihren Beruf. "Ich habe wirklich lange für die Kinder zurückgesteckt", sagt sie. "Und ich finde das Studium und die Zeit, die man investiert hat in seine Ausbildung, soll auch nicht umsonst gewesen sein."
Auch der Beruf gehört zu einem erfüllten Leben
Beispiel Nummer drei: Tosca und Timo, die an der Grenze zur Schweiz wohnen. Er arbeitet als Fliesenleger im Nachbarland, die 27-jährige Tosca, Maler- und Tapezierergesellin, hat einen Halbtagsjob bei einem Bauunternehmen ergattert. Für die beiden Kinder hat sie vier Jahre zu Hause verbracht.
Jetzt ist Schluss. "Wir möchten einfach versuchen, unser Arbeitsleben zu haben, denn ohne Arbeit, ganz ehrlich, ist das Leben nicht ausgefüllt", sagt Timo. Und Tosca fügt hinzu: "Wir sind doch keine Rabeneltern, nur weil auch ich wieder arbeiten gehen möchte." Tosca absolviert täglich extrem viele Kilometer zwischen Beruf, Kita und Tagesmutter - eine Menge Stress und eine hohe Belastung für die kleine Familie.