Segen oder Fluch Ist die Geburtszange museumsreif?
Jahrelang sah es so aus, als hätte die Geburtszange ausgedient. Deutschlandweit wird sie nur noch bei 0,5 Prozent der Geburten eingesetzt. Doch jetzt scheint die Zange, in der Fachsprache auch Forceps genannt, in manchen Ländern ein Revival zu erleben. Zum Nachteil nicht nur für den Beckenboden der Gebärenden.
"Die Zange ist der wichtigste Risikofaktor für schwere, irreversible Verletzungen der Beckenboden-Muskulatur", warnt Hans-Peter Dietz, Professor an der Universität Sydney. Der Urogynäkologe erforscht seit vielen Jahren die Geburtsschäden am Beckenboden mit einer speziell entwickelten Ultraschallmethode.
Er hat festgestellt, dass es bei der Zangengeburt unter anderem zu einem Riss beziehungsweise Abriss des Beckenbodenmuskels kommen kann: "Die Hauptfolge eines solchen Levatorrisses ist ein Prolaps, also ein Tiefertreten von Blase, Uterus und/oder Enddarm", erklärt Dietz im Gespräch mit t-online.de. "Diese Risse sind bisher in keinem geburtshilflichen oder Hebammen-Lehrbuch zu finden, weil uns bis vor kurzem noch die Technologie gefehlt hat, um sie zu diagnostizieren."
Früher konnte die Zange viele Leben retten
Auch ohne Zange leiden rund 25 Prozent der Mütter, die spontan entbunden haben, unter Problemen, manchmal auch erst Jahre später. Harn- und Stuhlinkontinenz werden hier besonders häufig genannt. Nach einer Zangengeburt aber sind es bis zu 65 Prozent.
Laut Dietz ist es wichtig, bei Problemen nach einer Geburt, auch Monate und Jahre später, gezielt nach Beckenbodenverletzungen zu suchen. Seiner Meinung nach gehört die Zange ins Museum. Denn ihre Blütezeit, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert anzusiedeln ist, ist längst vorbei. Damals endeten viele Geburten tödlich und die Methode war ein lebensrettender Segen für Mutter und Kind.
Der Wunschkaiserschnitt als moderne Form der Entbindung?
Segensreich war auch die Einführung des Kaiserschnitts. In Deutschland werden bereits mehr als ein Drittel aller Kinder per Kaiserschnitt entbunden, Tendenz steigend. In Ländern wie Brasilien sind es - aus Schönheitsidealen heraus - schon deutlich mehr. In anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel England, versucht man, dem Trend zum Kaiserschnitt entgegenzuwirken. Laut Dietz geht man dort allerdings zu weit, denn es werde auch Frauen davon abgeraten, bei denen man schon im Vorfeld von Komplikationen ausgehen muss. Solche Geburten führten dann häufiger zum Einsatz der Zange. Spätfolgen für die Frau werden ignoriert.
Probleme "da unten" sind ein Tabu-Thema
Diese Spätfolgen sind nicht nur körperlicher Natur. Betroffene Frauen schildern anhaltende Ängste, sexuelle Probleme und ein zum Negativen verändertes Selbstbild und sogar ein erschwertes Bindungsvermögen zum Kind in den ersten Monaten nach der Geburt. "Die Verbindung zwischen den körperlichen und den seelischen Verletzungen ist bisher kaum verstanden", heißt es dazu in der australischen Studie.
"Ich musste mir fast schon in die Hand beißen, um anderen Frauen nicht zu erzählen, wie schrecklich die Geburt sein wird", schildert eine der Frauen ihre Erfahrung. Einige der Befragten gaben sogar an, ihre Beziehung sei an diesen Problemen gescheitert. Und alle waren sich einig: "Es sind Verletzungen, über die man mit niemandem sprechen kann". Die Frauen fühlen sich alleingelassen.
Die Zange verletzt auch die Seele
"Während es bei den körperlichen Verletzungen Jahrzehnte dauern kann, bis sie sich manifestieren, treten die psychischen Folgen sehr viel schneller auf", so Dietz. Doch nicht nur für die Mutter, auch für das Kind ist eine Zangengeburt belastend. Das beste Beispiel ist der Schauspieler Sylvester Stallone, der aufgrund seiner Zangengeburt eine Muskellähmung im Gesicht hat, unter der er vor allem als Kind sehr gelitten haben soll. Allerdings treten solche Muskellähmungen genau wie Nervenlähmungen nur sehr selten auf. Die Verletzungen, die beim Kind entstehen, sind meist oberflächlicher und verheilen in ein paar Tagen. Zumindest äußerlich. Welche seelischen Folgen eine Zangengeburt bei ihnen hat, kann man nur vermuten.
Jede Frau sollte sich frei entscheiden - aber gut informiert sein
Will man Beckenbodenschäden vermeiden, müsste man bei bestimmten Risikofaktoren sofort einen Kaiserschnitt in Betracht ziehen. Zum Beispiel, wenn das Kind sehr groß und schwer ist oder wenn das Gewebe der Mutter sich als nicht dehnbar genug erweist.
"Es sollte aber eine Entscheidung der Frau sein, nicht die des Geburtshelfers oder der Hebamme", so Dietz. Auch er ist der Ansicht, dass manche Faktoren alleine eine Frau nicht davon abhalten müssen, eine natürliche Geburt anzustreben. "Unser Job ist es aber, jede Schwangere anständig zu informieren. Das ist nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern unsere Pflicht vor dem Gesetz."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.