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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eindeutige Zahlen Wie die Ungeimpften die Pandemie anheizen
Rund 57 Millionen Menschen in Deutschland sind vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Doch viele Millionen auch nicht. Sie füllen aktuell die Intensivstationen und lassen Inzidenzen rasant steigen.
Seit Millionen Menschen gegen das Coronavirus geimpft sind, gibt es zwar immer wieder auch Impfdurchbrüche – also Infektionen trotz Impfung – doch eine neue Studie zeigt jetzt: Ungeimpfte spielen die größte Rolle in der aktuellen Corona-Welle.
Während die Zahlen der Geimpften auf den Intensivstationen mittlerweile angestiegen sind, wird auch das Misstrauen vieler in die Impfung größer: Schützt sie doch gar nicht vor dem Virus? Doch, sie schützt sehr wohl. Das zeigt jetzt auch die Arbeitsgruppe um den Modellierer Dirk Brockmann von der Humboldt Universität Berlin. Die Experten haben berechnet, wie wichtig die Impfung für die Entwicklung der Pandemie ist.
Wie ist das Verhältnis von Geimpften zu Ungeimpften?
Bisher wurden (Stand: 1. Dezember 2021) mindestens 57 Millionen Menschen in Deutschland vollständig gegen Covid-19 geimpft. Das entspricht fast 69 Prozent der Gesamtbevölkerung. Etwa zwei Millionen Menschen haben zusätzlich immerhin eine Erstimpfung erhalten und warten auf den zweiten Piks. Die höchsten Impfquoten gibt es aktuell in Bremen (83 Prozent), dem Saarland (rund 78 Prozent) und in Hamburg mit fast 77 Prozent.
Allerdings ist auch die Gruppe der Ungeimpften noch groß in Deutschland. Bisher können sich allein 9,2 Millionen Kinder unter zwölf Jahren noch nicht impfen lassen. Von den Über-18-Jährigen sind bisher fast 80 Prozent geimpft, was aber auch bedeutet, dass es in dieser Altersgruppe noch rund 14,5 Millionen Ungeimpfte gibt. Hinzu kommen 2,4 Millionen ungeimpfte 12- bis 17-Jährige.
Welchen Einfluss haben Geimpfte auf die Pandemie?
Zum Zeitpunkt der Studie waren rund 65 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig gegen Covid-19 geimpft. Von diesen Millionen Geimpften gingen der Studie zufolge allerdings nur etwa 24 bis 33 Prozent der Neuinfektionen im untersuchten Zeitraum aus.
Das bestätigt auch das Robert Koch-Institut (RKI). Im Wochenbericht vom 25. November 2021 zeigt sich, dass die Inzidenzen bei den Ungeimpften in allen Bereichen deutlich höher sind als die der Geimpften. So entwickeln beispielsweise nur weniger als 50 von 100.000 12- bis 17-Jährigen binnen einer Woche symptomatische Infektionen, wenn sie geimpft sind. Die Hospitalisierungsinzidenz liegt in dieser Altersgruppe bei den Geimpften deutlich unter 1.
Und auch in den anderen Altersgruppen wird der Unterschied deutlich: Weniger als 100 von 100.000 Geimpften zwischen 18 und 59 Jahren entwickeln wöchentlich Symptome bei einer Infektion, im Krankenhaus landen in dieser Altersgruppe weniger als zwei von 100.000 Geimpften binnen einer Woche. Bei den Über-60-Jährigen liegt die Inzidenz mit Symptomen bei rund 50, hospitalisiert werden demnach etwa sechs bis sieben pro 100.000.
Und: Auch wenn sich Geimpfte durchaus trotzdem mit dem Virus infizieren können, tragen sie zwar kurzfristig eine hohe Viruslast in der Mund- und Rachenschleimhaut, wie eine Studie aus Großbritannien zeigt. Sie sind aber nur zwei bis drei Tage ansteckend, während infizierte Ungeimpfte das Virus sieben bis acht Tage weitergeben können.
Welche Rolle spielen Ungeimpfte?
Die Wissenschaftler stellten fest, dass zum Zeitpunkt ihrer Berechnungen im Oktober 2021 rund 67 bis 76 Prozent aller Neuinfektionen Ungeimpfte betrafen. Zudem schätzen sie, dass 38 bis 51 Prozent der infizierten Ungeimpften wiederum andere Ungeimpfte infizieren. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass Ungeimpfte demnach in acht bis neun von zehn Fällen an Neuinfektionen beteiligt sind.
Auch diese Daten werden vom Robert Koch-Institut bestätigt. Während die Inzidenzen bei den Geimpften in allen Bereichen ein- bis zweistellig waren, sind sie bei den Ungeimpften teilweise deutlich dreistellig. Die Inzidenz bei Jugendlichen, die nicht geimpft sind, liegt demnach bei mehr als 350, im Krankenhaus landen von den Ungeimpften zwischen 12 und 17 Jahren etwa zwei von 100.000 pro Woche.
In der Gruppe der 18- bis 59-Jährigen liegt die Inzidenz bei rund 250, die Hospitalisierungsinzidenz zwischen acht und neun. Und bei den Über-60-Jährigen ist die Inzidenz zwar noch leicht unter 150, die Hospitalisierungsinzidenz liegt allerdings bei fast 35.
Wie bedeutsam sind Impfdurchbrüche?
Da keiner der bisher zugelassenen Covid-Impfstoffe zu 100 Prozent vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützt, gibt es auch Infektionen bei vollständig Geimpften. Diese sogenannten Impfdurchbrüche steigen logischerweise proportional zur Zahl der vollständig Geimpften. "Auf die gesamte Bevölkerung bezogen werden jedoch bei einer hohen Impfquote weniger Personen erkranken als bei einer niedrigen Impfquote", erklärt das RKI dazu.
Im gesamten Zeitraum der Impfkampagne war laut RKI bei 83 Prozent der Fälle bekannt, ob sie geimpft oder ungeimpft waren. In diesem Zeitraum wurden demnach insgesamt 261.735 Impfdurchbrüche identifiziert: 3.349 bei 12- bis 17-Jährigen, 194.099 bei 18- bis 59-Jährigen und 64.287 bei Personen ab 60 Jahren.
In 98 Prozent der Fälle ist auch bekannt, welcher Impfstoff verwendet wurde. 176.758 Impfdurchbrüche traten demnach nach einer abgeschlossenen Impfserie mit Comirnaty (Biontech/Pfizer), 29.304 nach Impfung mit Janssen (Johnson & Johnson), 21.397 nach Impfung mit Vaxzevria (Astrazeneca), 13.401 nach Impfung mit Spikevax (Moderna), 13.117 nach Impfung mit einer Kombination Vaxzevria/Comirnaty und 2.383 nach Impfung mit einer Kombination Vaxzevria/Spikevax. Bei rund 5.300 Fällen gab es keine Zuordnung zu einem bestimmten Impfstoff.
Der Anteil der Impfdurchbrüche an der Gesamtzahl der Infektionen lag zum Zeitpunkt der Studie von Brockmann und seinem Team bei rund 41 Prozent, wie die "Süddeutsche" berichtet. Der R-Wert lag zudem bei 1,2 und es sei unklar gewesen, inwieweit Geimpfte und damit Impfdurchbrüche Einfluss auf die Pandemie nehmen.
Die Geimpften tragen der Analyse zufolge allerdings nur zu maximal einem Drittel zum R-Wert bei, zudem fanden nur etwa 9 bis 16 Prozent aller Neuinfektionen zwischen Geimpften statt. "Das bedeutet, dass die Mehrheit der Bevölkerung wenig an der Verstärkung der Krise beteiligt ist", werden die Studienautoren in der "Süddeutschen" zitiert, "während die Ungeimpften, obwohl sie in der Minderheit sind, zu 67 bis 76 Prozent am R-Wert beteiligt sind und damit zur weiteren Ansteckung beitragen".
Welche Maßnahmen sollten daraus folgen?
Die Studie kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass die Impfungen zwar nicht zu 100 Prozent schützen, die Ungeimpften aber diejenigen sind, die die Zahlen in die Höhe treiben. "Impfstoffe sind das wirksamste Arzneimittel zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Während die Mehrheit der deutschen Bevölkerung vollständig geimpft war, begann die Inzidenz exponentiell zu steigen", erklären die Studienautoren.
Durch gezielte Maßnahmen sollte daher die Übertragbarkeit bei den Ungeimpften verringert werden, empfehlen die Autoren. Das bewirke eine Abnahme des R-Werts. Dazu müssten die Kontakte zwischen geimpften sowie ungeimpften Personen reduziert und gleichzeitig die Impfquote erhöht werden.
Die Ergebnisse "unterstreichen die Bedeutung der kombinierten
Maßnahmen wie Impfkampagnen und Kontaktreduktion, um eine Seuchenbekämpfung zu erreichen und eine Überlastung der öffentlichen Gesundheitssysteme zu verhindern", fasst die Studie zusammen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Recherche
- Impfdashboard der Bundesregierung
- Robert Koch-Institut: Wochenbericht vom 25. November 2021.
- Studie: "Germany’s current COVID-19 crisis is mainly driven by the unvaccinated", 24. November 2021.
- sueddeutsche.de: "Pandemie der Ungeimpften", 29. November 2021.
- Studie: "Community transmission and viral load kinetics of the SARS-CoV-2 delta (B.1.617.2) variant in vaccinated and unvaccinated individuals in the UK: a prospective, longitudinal, cohort study", 29. Oktober 2021