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Coronavirus – Neurologe erklärt: "Schlaganfall kann als Erstsymptom auftreten"


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Neurologe zu Corona-Infektion
"Auch ein Schlaganfall kann als Erstsymptom bei Covid-19 auftreten"


Aktualisiert am 02.08.2020Lesedauer: 4 Min.
Covid-19: Bei intensivpflichtigen Patienten konnten Schädigungen am Gehirn festgestellt werden (Symbolbild).Vergrößern des Bildes
Covid-19: Bei intensivpflichtigen Patienten konnten Schädigungen am Gehirn festgestellt werden (Symbolbild). (Quelle: Tempura/getty-images-bilder)
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Das Coronavirus verursacht nicht nur Atemwegsbeschwerden – auch neurologische Symptome bis hin zu schweren Schlaganfällen häufen sich. Ein Neurologe klärt über mögliche Folgen auf.

Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann sämtliche Organe schädigen: Lunge, Herz, Nieren – und auch das Gehirn. Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), erklärt im Interview mit t-online.de, was bisher über die Schädigungen am Gehirn bekannt ist und welche neurologischen Störungen Covid-19-Patienten am häufigsten zeigen.

Berlit warnt auch, dass die Zahl von Schlaganfällen ansteigen könnte, weil Patienten wegen der Corona-Pandemie die Vorsorge vernachlässigen. Schon jetzt würden deutlich weniger Patienten mit leichten Schlaganfällen in die Kliniken kommen.

t-online.de: Herr Professor Dr. Berlit, was ist bisher über mögliche Schädigungen an Gehirn, Rückenmark und Nerven durch das Coronavirus bekannt?

Professor Dr. Peter Berlit: Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach. Wir wissen, dass alle Bereiche des Nervensystems – das heißt Gehirn, Rückenmark und auch periphere Nerven – durch das Coronavirus betroffen sein können. Die Frage lautet: Ist das ein direkter Effekt der viralen Infektion, der zur Schädigung führt oder – das scheint überwiegend der Fall zu sein – ist es eine indirekte Auswirkung der Infektion mit dem Coronavirus? Am Gehirn sehen wir am häufigsten eine diffuse Schädigung bei intensivpflichtigen Patienten, die zu Verwirrtheit, Gedächtnisproblemen, Halluzinationen, epileptischen Anfällen und weiteren Symptomen führen kann. In der Kernspintomografie erkennt man bei Betroffenen eine Schädigung der sogenannten weißen Substanz im Gehirn mit kleinen punktförmigen Einblutungen. Hier spielt zum einen der Sauerstoffmangel bei der schweren Lungenentzündung eine Rolle. Zum anderen kann es durch eine übersteigerte Immunantwort auf das Virus zur Gehirnschädigung kommen. Sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark können aber auch durch eine Enzephalomyelitis – eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems – geschädigt werden, wie wir das bei der Multiplen Sklerose kennen. Wahrscheinlich ist diese Schädigung immunologisch bedingt.

Welche neurologischen Erkrankungen wurden noch festgestellt?

In seltenen Fällen wurde bei Covid-19-Patienten eine Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute (Meningoenzephalitis) diagnostiziert. Das Coronavirus konnte dabei im Nervenwasser nachgewiesen werden. Bei Intensivpatienten können auch die peripheren Nerven – also Nerven, die außerhalb des Gehirns und Rückenmarks liegen und den gesamten Körper durchziehen – geschädigt werden. Das hängt oft mit der Beatmung und dem schweren Krankheitsverlauf der Patienten zusammen. Schließlich kann es in Folge der Virusinfektion über eine gesteigerte Immunantwort auch zum sogenannten Guillain-Barré-Syndrom kommen. Diese entzündliche Erkrankung der peripheren Nerven führt wiederum zu Lähmungen und auch zu Atemproblemen. Typischerweise tritt das Syndrom fünf bis zehn Tage nach der Lungeninfektion auf. Das bedeutet, dass die Patienten zuerst die Lungeninfektion durchmachen, und nachdem diese abgeklungen ist, treten aufsteigende Lähmungen auf. Auch hier wird als Ursache eine gesteigerte Immunreaktion auf das Virus angenommen.

(Quelle: Jens Komossa, Berlin)


Prof. Dr. Peter Berlit ist Neurologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Welche neurologischen Auffälligkeiten treten am häufigsten bei Covid-19-Patienten auf?

Die häufigsten neurologischen Symptome, die bei Covid-19 auftreten, sind Riech- und Geschmacksstörungen. Das Virus führt zu einer Infektion der oberen Atemwege und die Riechnervenbahn endet genau im oberen Bereich der Nase. Die bisherigen Befunde sprechen dafür, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 den Riechnerv schädigen kann und auch über den Riechnerv ins Gehirn gelangen kann. Bei bis zu 80 Prozent der europäischen Patienten wurden Riech- und Geschmacksstörungen berichtet.

Wie lange können Riech- und Geschmacksstörungen andauern?

Bei über 90 Prozent bilden sich die Symptome innerhalb von vier bis fünf Wochen wieder zurück. Was mit den restlichen zehn Prozent passiert, ist noch unklar. Wir wissen aber, dass die Störungen über ein paar Monate anhalten können. Ob sie auch zu Dauerschädigungen führen können, kann man auch noch nicht beantworten. Bei der Influenza – also der normalen Grippe – ist es so, dass sich die Geruchsstörungen noch bis zu einem Jahr nach der Infektion zurückbilden können. Wir werden also erst im Frühjahr 2021 definitiv sagen können, wie häufig es zu einem bleibenden Geruchs- und Geschmacksverlust bei Covid-19 kommt.

Können neurologische Symptome auf eine Corona-Infektion hinweisen, noch bevor Atemwegsprobleme auftreten?

Ja, das ist leider so. Das gilt vor allem für die Riech- und Geschmacksstörungen. Diese können erste Symptome der Corona-Infektion sein. Das Interessante dabei: Bei der Grippe ist es meist so, dass, wenn die Patienten nicht mehr riechen und schmecken können, sie meist auch eine verstopfte Nase haben. Aber bei Covid-19 ist die Nasenatmung frei und trotzdem können Betroffene nicht mehr riechen und schmecken. Wenn solche Symptome auftreten, ist dringend eine Covid-19-Testung erforderlich. Es gibt zudem leider erste Fallberichte, dass auch ein Schlaganfall als Erstsymptom einer Covid-19-Infektion auftreten kann.

Warum können auch gesunde Menschen bei einer Corona-Infektion einen Schlaganfall erleiden?

Berichte aus den USA und Europa zeigen, dass Schlaganfälle auch bei jungen gesunden Menschen auftreten können. Als Auslöser wird eine Hochregulation des Gerinnungssystems angenommen. Denn bei Covid-19 kommt es zu einer massiven Steigerung der Thromboseneigung. Viele Patienten erleiden Thrombosen in den Beinvenen, Lungenembolien können auftreten – und auch unabhängig davon Schlaganfälle.

Stellen Sie fest, dass die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Versorgung von Schlaganfall-Patienten hat?

In den USA gab es mehrere Untersuchungen dazu und auch in europäischen Ländern wie Italien, Spanien und Deutschland beobachten wir es mit Sorge: Deutlich weniger Patienten mit leichten Schlaganfällen kommen in die Kliniken und lassen sich dort auf den Stroke Units – auf Schlaganfall-Patienten spezialisierte Abteilungen im Krankenhaus – behandeln. Wir fürchten, dass das eine indirekte Auswirkung der Pandemie ist, weil die Menschen Angst haben, sich im Krankenhaus anzustecken und deswegen die Schlaganfall-Warnsymptome nicht so ernst nehmen, wie sie es sollten. Bei jedem zweiten Schlaganfall treten flüchtige Symptome auf, die man auch als transitorische ischämische Attacke (TIA) oder leichten Schlaganfall bezeichnet. Und diese gehen schweren Schlaganfällen voraus. Momentan können wir die Auswirkungen der Pandemie noch gar nicht richtig abschätzen, aber wir fürchten, dass schwere Schlaganfälle am Ende häufiger sind als zuvor. Und das nicht nur durch das Virus, sondern hauptsächlich, weil die Betroffenen bei Warnzeichen nicht in die Klinik gehen.

Die transitorische ischämische Attacke – kurz TIA – gilt als Vorbote eines Schlaganfalls. Sie setzt plötzlich ein und ruft die gleichen Symptome wie ein Schlaganfall hervor.

Sind Symptome wie eine Entzündung des Gehirns auch von anderen Infektionskrankheiten bekannt?

Ja, bei den früheren Coronavirus-Epidemien war es auch so, dass beide Erreger – SARS noch etwas mehr als MERS – eine Neurotropie aufwiesen. Das bedeutet, dass sie das Nervensystem angreifen können und sich dort auch manifestieren. Wir kennen das auch von anderen Viren. Der häufigste Erreger für eine Hirnentzündung etwa ist das Herpes-simplex-Virus. Es ist bekannt dafür, Lippenbläschen auszulösen. Auch das Windpocken- oder Gürtelrosenvirus kann Gehirnentzündungen hervorrufen.

Gibt es spezielle Reha-Programme für Covid-19-Patienten mit neurologischen Folgeerkrankungen?

In Deutschland gibt es spezielle Neuro-Rehabilitationsprogramme, die gezielt Schädigungen, die infolge einer Corona-Infektion neurologisch auftreten, behandeln. Vor allem neuropsychologische Therapien sind wichtig. Denn Covid-19-Patienten haben häufig Gedächtnisprobleme, Konzentrationsprobleme und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten. Spezielle Reha-Kliniken, die sich ausschließlich um Covid-19-Patienten kümmern, gibt es aber nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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