Schlafen Träum was Schönes! Was Kinder im Schlaf beschäftigt
Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir durchschnittlich im Schlaf. Bei Kindern ist der Schlummer-Anteil sogar noch höher. Auch ihr Traumpensum ist größer als das von Erwachsenen. Doch was geht in Kindern während der nächtlichen Ruhephase vor? Um diese Frage zu klären, sind Wissenschaftler in den letzten Jahren intensiv auf den Spuren des Sandmanns gewandelt und haben herausgefunden, dass es in Kinderköpfen im Schlaf turbulent zugeht und dass Träume die kindliche Entwicklung fördern.
Nächtlicher Schlaf ist nicht nur wichtig, weil sich der Körper entspannt, sondern auch, weil im Traum Informationen, die am Tag aufgenommen wurden, verarbeitet und vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übertragen werden. Dabei finden im Hirn neue Verknüpfungen von Nervenzellen statt. Dies funktioniert deshalb so gut, weil im Gegensatz zum Wachzustand nachts keine neuen Eindrücke mehr hinzukommen. Das Gehirn kann sich so beim Träumen auf eine "Tätigkeit konzentrieren".
Dieser Mechanismus läuft bei Kindern und Erwachsenen gleich ab. Doch Heranwachsende träumen wesentlich mehr, denn sie schlafen auch mehr. Die Traumdichte ist bei ihnen wie auch bei Erwachsenen in der zweiten Nachthälfte am höchsten, während der sogenannten REM-Schlafphase (Rapid-Eye-Movement), in der es häufig zu Zuckungen der Augenlider kommt. Für Forscher ist dies ein Indiz für besonders intensive Traumaktivitäten.
Auch in Mamas Bauch wird geträumt
Solche Augenbewegungen kommen auch schon bei Ungeborenen vor. Mediziner konnten die REM-Phasen mit Elektroenzephalogrammen (EEGs) durch die Bauchdecke der Mutter etwa bei Kindern ab der 24. Schwangerschaftswoche nachweisen. Der Offenbacher Psychologe und Autor des Buches “Was erlebt ein Kind im Mutterleib“, Werner Gross, vermutet allerdings, dass die Föten zwar träumen, aber noch keine fassbaren Inhalte vorhanden seien. Dennoch verarbeitet das Baby im Schlaf Erfahrungen im Mutterleib und bildet dabei schon neuronale Vernetzungen wie bei einer Art "Gehirngymnastik" aus. Werner Gross hält es sogar für möglich, dass Erwachsene später ihre pränatalen Träume und Erfahrungen weiter verarbeiten. So habe ihm bei seinen Recherchen ein Mann erzählt, dass im Mutterleib die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt war und er im Erwachsenenalter immer wieder Angstträume hatte, in denen er gewürgt wurde.
Motorische Fähigkeiten im Traum lernen
In dem REM-Schlafabschnitt werden in den ersten Lebensjahren auch erlernte Bewegungsabläufe mit den dazu gehörigen Gehirnregionen verknüpft und können so später automatisch abgespult werden. Dadurch erklärt sich auch, so die Studien von Traumforschern, warum Kinder gerade in Entwicklungsstadien, in denen sie neue motorische Fähigkeiten lernen, besonders viel und heftig träumen. Das wird durch Zahlen belegt: Traumphasen von Babys machen rund 50 Prozent aus. Mit zunehmendem Alter, wenn die Kinder die wichtigsten Bewegungen, wie etwa das Laufen, gelernt haben, sinkt der Anteil der REM-Phasen stetig ab. Mit drei Jahren beträgt er noch etwa 33 Prozent mit circa zehn Jahren ist der endgültige REM-Level wie bei Erwachsenen erreicht, nämlich etwa 25 Prozent.
Der Spiegel des Wachlebens
Wenn Kindergartenkinder träumen, können sie meist noch nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden. Erst mit fünf bis sechs Jahren wissen rund 90 Prozent der Kleinen, dass ein Traum kein reales Erleben ist und ausschließlich ihrem Denken "entspringt".
Träume sind bei Kindern mehr als bei Erwachsenen der Filter des aktiven Lebens. Denn in Träumen verarbeiten Kinder das, was sie täglich erleben und bewältigen so auch ihre Ängste und Sorgen. Diese Verarbeitung, so haben Traumforscher herausgefunden, geschieht sehr direkt, ohne dass eine lange Zeit zwischen Ereignis und Traum liegt. Der Traum ist also bei Kindern ein unmittelbarer Spiegel des Wachlebens und den damit verbundenen Gefühlen. Dafür spricht, dass im Traum dieselben Hirnareale wie im Wachzustand, wenn Kinder beispielsweise spielen, stimuliert werden.
Einen weiteren Beleg für diese These lieferte Michael Schredl, Traumforscher und Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Er stellte nach Befragungen von Kindern fest, dass in deren Träumen häufig Familienmitglieder oder bekannte Personen "auftraten". Auch der Befund, so der Experte, dass in zwanzig Prozent der Kinderträume Figuren aus dem Fernsehen auftauchen, spräche für diese Theorie. Dabei erfuhr Michael Schredl auch, dass es Mädchen viel leichter fiel, sich an das nächtliche Geschehen zu erinnern. Das läge, so vermutet Michael Schredl, "an einer geschlechtsspezifischen Traumsozialisierung". Mädchen würden eben eher ermuntert Träume zu erzählen.
Bruchstückhaft und statisch
Kinderträume sind sehr phantasievoll und bilden ebenso wie bei Erwachsenen Alltagserlebnisse in Symbolen und Bildern ab. Doch wie diese "Geschichten" erzählt werden, ändert sich mit zunehmenden Alter der Kinder: Träume von Drei- bis Fünfjährigen sind im Allgemeinen sehr bruchstückhaft und statisch, haben oft keine ausgedehnte Handlung und das Kind beobachtet das nächtliche "Geschehen" eher passiv. Dies fand der amerikanische Psychologe David Foulkes in einer mehrjährigen Studie heraus.
Im Unterschied zu Älteren treten Kinder in ihren Träumen noch nicht selbst auf, auch das zeigte eine Studie von David Foulkes, er hatte Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren sowie neun bis zwölf Jahren im Schlaflabor beobachtet und befragt.
Dass kleine Kinder im Traum keine bewegten Bilder sehen, hängt mit ihrem mangelnden räumlichen Vorstellungsvermögen zusammen. Dieses entwickele sich erst im Alter von fünf bis neun Jahren. Am häufigsten träumen kleine Mädchen und Jungen von Tierfiguren.
Im Unterschied zur Empfindung vieler Eltern trat Angst in den Träumen der Drei- bis Fünfjährigen nicht auf. Wovor Kinder sich fürchteten, sei die Situation des Aufwachens: Sie sind im Dunkeln, allein und alles ist ruhig. Das jagt ihnen Angst ein und sie beginnen, nach den Eltern zu rufen. Wenn die Erwachsenen sie dann fragen, ob sie einen schlechten Traum hatten, sagen die Kinder "Ja" - um den Eltern zuzustimmen und weil sie es nicht besser wissen.
Ältere Kinder sind im Traum aktiv
Erst ab einem Alter von circa zehn Jahren werden Kinder in ihren Träumen aktiver und die Geschichten bekommen Strukturen und Spannungsbögen. Das Kind beziehungsweise sein "Traum-Ich", wie es der US-Wissenschaftler nennt, ist nun Protagonist oder zumindest Teil der Handlung. In einem Alter von etwa 14 Jahren verschwimmen dann die Unterschiede zwischen den Träumen von Jugendlichen und Erwachsenen. Jedoch gibt es einige Besonderheiten, wenn Pubertierende träumen: Jungen, so erfuhr die Züricher Psychologin Inge Strauch bei ihren wissenschaftlichen Erhebungen, träumten überwiegend von Jungen, wahrscheinlich weil sie sich öfter in Konkurrenzsituationen mit Geschlechtsgenossen sähen und diesen Konflikt dann mit in den Schlaf nähmen. Ganz anders sei dies bei jugendlichen Mädchen: Bei ihnen kämen beide Geschlechter gleich häufig vor. Diese Ausgewogenheit bliebe auch bei den Träumen erwachsener Frauen erhalten.
Die Psychologin hat bei ihren Beobachtungen außerdem festgestellt, dass man sich in keinem Alter so gut an seine Träume erinnert, wie in der Pubertät. Dies sei wahrscheinlich so, weil Jugendliche sich extrem stark mit sich selbst beschäftigten. Der Traum sei eine Art der Selbstfindung, weil man in ihm die Rollen für das wirkliche Leben ausprobieren könne, so die These von Inge Strauch.
Von Helden, Monstern und Babys
Die häufigsten Motive in Kinderträumen hat der Diplompsychologe Klausbernd Vollmar aus England untersucht. Träumt der Nachwuchs etwa von starken, unbesiegbaren Helden, so stünde dies für "ein Sehnen nach Anerkennung und Bestätigung". Grundsätzlich verrieten fantastische und abenteuerliche Träume viel über die Sehnsüchte und Wünsche eines Kindes.
Wenn sich aber gefährliche Monster in Träumen tummeln, ist dies für den Psychologen ein Hinweis darauf, dass sich das Kind mit Seiten seiner Persönlichkeit auseinandersetzt, die es selbst nicht an sich mag. Gelegentlich würden so auch Erlebnisse mit Menschen verarbeitet, die auf das Kind im Alltag furchterregend wirken.
Wenn ein Kind davon träumt, wieder ein Baby zu sein, zeige dies, laut der Studien von Klausbernd Vollmar, dass es mehr Zuwendung brauche und sich nach mehr Geborgenheit sehne. Und das Motiv des "endlosen Falls", das es auch oft bei Erwachsenen gibt, drückt nach Ansicht vieler Experten "Zweifel und Unsicherheit" aus und kommt vor allem bei Übergängen zu neuen Lebensabschnitten, wie etwa einem Umzug oder einem Schulwechsel vor.
Tiere als "Hauptdarsteller"
In der Häufigkeit der kindlichen Traumbilder rangieren Tiere ganz oben. Am meisten kommen Hauskatzen, Löwen, Affen und Tiger vor. Für den Mannheimer Traumforscher Michael Schredl weisen die haarigen Traumgestalten auf bestimmte verborgene Bedürfnisse hin. So stünde eine verschmuste Katze vielleicht für den Wunsch nach mehr Kuscheleinheiten oder ein Löwe nach dem Bedürfnis stärker zu sein. Auffällig sei, dass Mädchen häufiger von kleinen, Jungen aber von großen Tieren träumten.
Schule ist kein Thema
Obwohl die Schule einen großen Teil des kindlichen Alltags ausmacht, kommt der "Ernst des Lebens" erstaunlicherweise nur sehr selten in Träumen vor. Dies konnte die Psychologin Inge Strauch nachweisen. Danach träumten nur zehn Prozent der Kinder von der Schule und es waren fast immer positive Szenerien im Schulhof und in den Pausen. Träume von Prüfungen gab es dabei kaum - und wenn, dann wurden sie von den Kindern in den Interviews mit der Psychologin als gefühlsneutral empfunden oder waren mit Unlust verbunden. Kaum jemand wurde aber von den schulischen Träumen in Angst und Schrecken versetzt, so die Erkenntnisse der Schweizer Traumforscherin.
Alpträume haften im Gedächtnis
Wenn sich Kinder an Träume erinnern, dann vor allem an die negativen. Angstträume scheinen sich offenbar am besten ins Gedächtnis einzuprägen, häufig sogar über viele Jahre. 70 bis 90 Prozent der Erwachsenen hätten nämlich bei Befragungen angegeben, in ihrer Kindheit Alpträume erlebt zu haben, weiß Michael Schredl vom Mannheimer Schlaflabor. Statistiken internationaler Schlafforscher besagen, dass schlechte Träume bei Kindern doppelt so häufig vorkommen wie bei Erwachsenen. Danach haben etwa fünf Prozent aller Kinder einmal wöchentlich die quälenden nächtlichen Erlebnisse. Die Sechs- bis Zehnjährigen sind davon besonders betroffen. Michael Schredl hat bei seinen Studien außerdem festgestellt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede bei Alpträumen gibt: So würden Mädchen eher von bedrohlichen Menschen heimgesucht und Jungen träfen im Traum häufiger auf Fantasiewesen und Ungeheuer.
Filter zur Angstbewältigung
Solange solche furchterregenden Bilder nicht jede Nacht kommen und der Schrecken nicht bis in den Tag hinein nachwirkt, bewerten Psychologen Albträume ebenso wie die "normalen" Träume als positiv für die Entwicklung. Der Traum hilft dem Kind dabei mit der Realität besser zurechtzukommen und ist auch ein Filter für angstbesetzte Situation und Gefahren. Bei extremen "Alpträumern" machte Psychologe Michael Schredl die Erfahrung, dass eine einfache Konfrontationstherapie half.
Einen Fünfjährigen ließ er die schrecklichen Gespenster, die ihn im Dunkeln verfolgten, aufzeichnen. Auf dem Papier ans Licht gebracht, konnte sich der Junge erstmals mit den fiesen Biestern auseinandersetzen, war ihnen nicht mehr hilflos ausgeliefert. Der Kleine hatte sogar selbst eine Idee, wie er sich wehren konnte: Er malte eine Spinne, die den Schläfer mit einem großen Netz schützt. Das hatte Erfolg. Nach der Therapie waren die nächtlichen Ungeheuer verjagt.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.