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Zum journalistischen Leitbild von t-online.IfW-Ökonom Herr Kooths, wann hören die Preise auf zu steigen?
Hohe Energiekosten, angespannte Lieferketten, billiges Geld: Die Inflation ist wieder da. Der Ökonom Stefan Kooths erklärt, warum die Preise weiter anziehen – und was sich dagegen tun lässt.
Steigende Preise? Fast zehn Jahre war das in Deutschland kaum ein Thema. Die Inflationsrate bewegte sich zwischen null und weniger als zwei Prozent, viele Verbraucher hatten sich längst daran gewöhnt, dass die Preise bei gleichzeitigen Nullzinsen stabil bleiben.
Damit ist es seit knapp einem halben Jahr vorbei. Im Interview erläutert der bekannte Ökonom Stefan Kooths, woran das liegt, wie es in den kommenden Monaten weitergeht mit der Inflation und warum die Deutschen schon jetzt ihren Herbsturlaub buchen sollten.
t-online: Herr Kooths, die Preise steigen seit Monaten im rasanten Tempo. Wann hört das wieder auf?
Stefan Kooths: Allzu bald leider gar nicht. Zwar wird der Inflationsdruck allmählich etwas nachlassen. Doch das passiert nicht schlagartig. Die Teuerung dürfte über das gesamte Jahr 2022 nur langsam nachgeben. Im Jahresschnitt werden wir nach unserer aktuellen Prognose eine Inflationsrate um die 4 Prozent sehen.
Das ist noch einmal mehr als unlängst von der Bundesregierung geschätzt.
Das stimmt. Grund dafür ist, dass die Preise auf breiter Front anziehen – und nicht nur bei der Energie, wie manch einer gerade meint. Das liegt daran, dass durch die Lieferengpässe ein gehemmtes Warenangebot auf eine hohe Nachfrage stößt: Allein die Rückkehr zu gewohnten Konsummustern würde eine kräftige Belebung bedeuten, zudem haben die Deutschen – wie anderswo auch – in der Pandemie viel Geld gespart, das nun ihre Kaufkraft stärkt. Das treibt die Preise hoch. Das ist die Kehrseite der weltweit monetär alimentierten Wumms-Politik.
Inwiefern?
Ein großer Teil des vielen Geldes, das die Menschen weltweit ausgeben wollen, stammt aus Phantomeinkommen. Damit meine ich die umfangreichen finanzielle Hilfen, die die Staaten an Bürger und Firmen ausgezahlt haben. Denen stehen Defizite in den Staatshaushalten gegenüber, die im Wesentlichen von den Notenbanken ausgeglichen wurden. Das ähnelt der Lage nach der Wiedervereinigung. Damals ist mit dem D-Mark-Umtausch und erheblichen Transfers von West nach Ost in den neuen Bundesländern ebenfalls viel Kaufkraft entstanden, der keine Produktion gegenüber stand, woraufhin die Preise in Deutschland kräftig angezogen haben. Eine ähnliche Situation haben wir jetzt auch, nur dass – anders als damals – die Notenbanken bislang kaum oder gar nicht gegensteuern.
Die Bundesregierung hat gerade erst weitere Hilfen beschlossen, ärmere Haushalte sollen einen Heizkostenzuschuss bekommen. War das also eine schlechte Idee?
Nein, das halte ich für vertretbar. Denn dieses Instrument richtet sich zielgerichtet an jene Menschen, die sonst sehr hart getroffen würden. Alle anderen bekommen nichts – und das ist leider auch richtig.
Das dürften Menschen aus der Mittelschicht nicht gerne hören.
Klar, das ist keine angenehme Botschaft. Dennoch: Wir haben es mit einer echten Energieknappheit zu tun. Das heißt, es muss insgesamt weniger Energie verbraucht werden. Und das gelingt am besten, wenn es ein Großteil der Bevölkerung im Geldbeutel spürt. Andernfalls würde die breite Masse Energiesubventionen an sich selbst zahlen, was kein Problem löst, sondern nur neue schafft.
Stefan Kooths, Jahrgang 1969, ist Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und Experte für Konjunkturprognosen und Geldpolitik. Seit 2019 ist der Volkswirt Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft, regelmäßig spricht er sich für den freien Markt und gegen zu starke Eingriffe des Staates in die Wirtschaft aus. Vor seiner Tätigkeit am IfW war Kooths unter anderem am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) angestellt.
Grundsätzlich lässt sich die Inflation bekämpfen, indem die Notenbank die Zinsen anhebt. Die Europäische Zentralbank (EZB) jedoch zögert noch mit diesem Schritt. Hinkt sie bereits hinterher?
Ja, das muss man so sagen. Die Phase sehr niedriger Zinsen bei gleichzeitiger Preisstabilität liegt hinter uns. Damit scheint sich die EZB sehr schwer zu tun.
Und warum?
Das ist die entscheidende Frage. Zu vermuten ist: Die EZB sorgt sich um die Finanzmarktstabilität wegen der hohen Verschuldung der Euro-Staaten. Die Finanzminister der Euroländer haben sich zu sehr an Zinsen auf Nullniveau gewöhnt – und entsprechend viele Schulden gemacht, in der Hoffnung, die Zinsen würden auf lange Sicht niedrig bleiben. Sollten die Zinsen jetzt wieder steigen, ist es mit der Leichtigkeit der Staatsfinanzierung vorbei. Im schlimmsten Fall droht die nächste Schuldenkrise.
Ist diese Sorge berechtigt?
Das ist eine Frage des Timings und der Glaubwürdigkeit. Eine allmähliche Zinswende drückt für sich genommen keinen Staatshaushalt unter Wasser. Problematisch wäre ein sprunghafter Anstieg der Risikoprämien, wenn die Anleger den Staaten nicht zutrauen, nun von ihren hohen Schulden wieder herunterkommen zu wollen. Zugleich wird es für die Notenbank nun ungemütlich: Sie muss ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellen und zeigen, dass sie allein der Preisstabilität verpflichtet ist. Das ist ihr Mandat und nichts anderes sonst.
Sie unterstellen der EZB also, sie habe ihre Unabhängigkeit aufgegeben.
Nein, das tue ich nicht. Ich versuche nur Erläuterungen für ihr Zögern zu finden. Denn die andere Erklärung, man dürfe die Wirtschaft nicht mit steigenden Zinsen abwürgen, ist nicht stichhaltig. Schließlich stockt die Konjunktur wegen der aktuellen Liefer- und Energieengpässe – und nicht weil es zu wenig billiges Geld gibt, im Gegenteil: Die Auftriebskräfte im Euroraum sind intakt und selbsttragend, es bedarf dafür keines weiteren Anfeuerns durch die Notenbank.
Was genau sollte Christine Lagarde denn jetzt Ihrer Meinung nach tun?
Frau Lagarde muss deutlich machen, dass die Krise nun konjunkturell überwunden ist, und klar sagen, dass die EZB jetzt Zug um Zug aus ihrer ultraexpansiven Geldpolitik aussteigt. Andernfalls läuft die EZB Gefahr, dass sich die Inflationserwartungen entankern. Nur wenn die Menschen weiterhin darauf vertrauen können, dass sie das Preisstabilitätsziel nicht aufgibt, wird die Inflation wieder sinken.
Glauben Sie das wirklich? Viele Experten gehen davon aus, dass wir dauerhaft mit einer höheren Inflation leben müssen, weil durch den demografischen Wandel die Zahl der Arbeitnehmer sinkt und die Arbeitgeber höhere Löhne zahlen müssen – was wiederum zu höheren Preisen führt.
Diese Logik stimmt so nicht. Die Demografie ist für sich genommen kein Inflationstreiber. Das wird sie erst dann, wenn die Notenbank es zulässt.
Wie genau meinen Sie das?
Da muss ich etwas ausholen.
Gerne.
Die Alterung der Gesellschaft bedeutet, wie Sie es gerade beschrieben haben, dass die Zahl der Arbeitnehmer zurückgeht. Gleichzeitig folgt aus ihr aber auch, dass das Kapitalangebot zurückgeht, weil eine ältere Gesellschaft im Durchschnitt weniger spart …
… da die vielen Rentner eher von ihren Ersparnissen leben, ihr Geld auf dem Konto ausgeben.
Nicht unbedingt, aber gesamtwirtschaftlich tragen die meisten Rentner kaum noch zur Ersparnis bei. Stattdessen entsparen sie, weil sie von Rentenbezügen leben, denen keine Produktion gegenüber steht. Anders gesagt: Als Erwerbstätige scheiden sie aus dem Wirtschaftsgeschehen aus, als Konsumenten leben sie aber gottlob noch längere Zeit weiter. Damit wird weniger Kapital gebildet, das in Investitionen fließen kann.
In welche?
Zum Beispiel in den Bau einer neuen Fabrik. Damit wird Kapital knapper – also auch teurer. Der Preis des Kapitals wiederum, der Zins, wird vom Markt bestimmt. In einer alternden Gesellschaft müssen die Zinsen folglich steigen, wenn nicht die Investitionen entsprechend eingeschränkt werden sollen – und für die Energiewende muss sogar noch mehr als weniger investiert werden. Erst wenn dieser nötige Zinsanstieg von den Notenbanken nicht nachvollzogen wird, führt der demografische Wandel zur Inflation.
Was heißt das konkret für die EZB?
Dass sich Frau Lagarde und ihre Kollegen nicht hinter der Demografie verstecken können, wenn es um Preisstabilität geht, ebenso wenig wie hinter der Energiewende – Stichwort "Greenflation". Inflation ist und bleibt mittelfristig ein von den Notenbanken zu verantwortendes Phänomen.
Lassen Sie uns noch über die Konjunktur in Deutschland sprechen. Die deutsche Wirtschaft befindet sich auf dem Weg in eine Rezession. Liegt das allein an der Lieferkrise, die Sie bereits ansprachen?
Eine Rezession im eigentlichen Sinne ist das nicht. Wir erleben jetzt ein schwaches Winterhalbjahr, aber es fehlt nicht an Nachfrage: Weltweit würden viele Unternehmen gern unsere Maschinen kaufen, viele Privatleute sich ein Auto "Made in Germany" zulegen. Doch die Industrie in Deutschland kann diese Nachfrage gar nicht bedienen, weil sie unter Lieferengpässen leidet.
Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?
Nach unserer Schätzung hat die Industrie im vergangenen Jahr Aufträge in Höhe von 70 Milliarden Euro nicht abarbeiten können. Das ist eine gewaltige Summe. Damit gibt es viel nachzuholen und mit dem Überwinden der Engpässe kann die deutsche Industrie wieder durchstarten. Das wird nicht schlagartig geschehen, aber bis Ende des Jahres dürften die größten Hemmnisse überwunden sein.
Und wie sieht es in anderen Wirtschaftszweigen aus?
Da ist die Situation etwas anders. Im Dienstleistungssektor rechnen wir damit, dass es nach dem Wegfall der pandemiebedingten Einschränkungen rasch wieder aufwärts geht. Dort droht dann eher eine Überhitzung. Das gilt insbesondere für Branchen wie das Gastgewerbe, für Hotels, Restaurants, aber auch für das Veranstaltungswesen, also Konzerte, Festivals und so weiter.
Was heißt das für mich als Verbraucher?
Das bedeutet vor allem, dass die Preise in diesen Branchen weiter steigen werden, auch weil das Geld bei den Verbrauchern im Durchschnitt eher locker sitzen dürfte.
Woran liegt das?
Das kommt daher, dass die Kapazitäten in den entsprechenden Dienstleistungsbranchen kurzfristig kaum ausgeweitet werden können. Und wenn dann nach Corona alle Menschen gleichzeitig ihren Urlaub nachholen wollen und ein Teil des vielen Geldes, das sie während der ereignisarmen Pandemiejahre gespart haben, ausgeben, ist es wie immer im freien Markt: Ist die Nachfrage größer als das Angebot, steigen die Preise.
Das heißt, am besten buche ich schon jetzt meinen Strandkorb auf Hiddensee – sonst im Herbst alles weg oder viel zu teuer.
Also ich würde das jetzt machen, ja. Nur leider werde ich keine Zeit für Urlaub auf Hiddensee haben.
Herr Kooths, ich danke Ihnen für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Stefan Kooths