Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Auf die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen macht der heutige Equal Pay Day aufmerksam. Ein solcher Aktionstag reicht nicht, meinen zwei Redakteure – kein Grund zur Aufregung, sagt ein anderer.
Viele wünschen sich eine gleichberechtigte Arbeitswelt. Die Realität sieht oft anders aus. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist nach wie vor groß. In der gleichen Position und mit gleicher Erfahrung sowie Qualifikation beträgt der Unterschied zwischen dem Gehalt von Frauen und Männern etwa 6 Prozent (bereinigter Gender-Pay-Gap). Unbereinigt – also ohne Berücksichtigung struktureller Faktoren wie Bildungsgrad oder Beschäftigungsumfang – liegt der Gender-Pay-Gap in Deutschland bei 18 Prozent.
Das sollte sich dringend ändern, schreiben unsere Redakteure Laura Helbig und Steve Haak. Mario Thieme sieht darin hingegen kein Problem.
Laura Helbig
Dass der Equal Pay Day und der Internationale Frauentag fast auf denselben Tag fallen, ist Zufall. Aber vielleicht sollten wir Frauen genau das zum Anlass nehmen, um zu den Ursprüngen des Weltfrauentags zurückzukehren – nämlich den als feministischer Kampftag. In den Anfängen der Bewegung, deren Initialzündung mehr als 100 Jahre zurückliegt, ging es nicht um Blumen oder bestärkende Worte in Form von Statusbildern bei WhatsApp. Frauen gingen auf die Straße und forderten ihre Rechte ein. Streiks und Demonstrationen sind ein fundamentaler Bestandteil der Geschichte der Emanzipation.
Und vielleicht wird es für Frauen wieder Zeit, radikaler zu werden. In Zeiten, in denen Menschen wieder mehr demonstrieren und streiken, sollten auch wir wieder mehr auf die Straße gehen. Wegen der Gehaltslücke arbeiten wir bis zum Equal Pay Day theoretisch umsonst. Das ist eine große Ungerechtigkeit, die weder Worte noch die Politik bislang lösen konnten. Frauen, lasst euch nicht mit Blumen und netten Worten abspeisen. Schaut euch die kalten, harten Fakten an. Zieht eure Schlüsse. Legt die Arbeit nieder – und steht wieder für eure Rechte ein!
Mario Thieme
Dass der Gender-Pay-Gap seit vier Jahren bei 18 Prozent stagniert, ist für viele ein Skandal. Doch die vermeintliche Ungerechtigkeit entpuppt sich bei näherer Betrachtung als skandalfreie Ungleichheit. Aufgebrochene Rollenklischees und unbegrenzte berufliche Entfaltungsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass junge Frauen und junge Männer annähernd gleich viel verdienen.
Dass die Gehälter ab dem Alter von 30 Jahren merklich auseinandergehen, liegt zum einen daran, dass die Statistik Millionen ältere Arbeitnehmer einbezieht, die schon vor Jahrzehnten ihre Berufe ergriffen und sich dabei an früher vorherrschenden Geschlechterstereotypen orientierten – also, überspitzt gesagt, Frauen schlecht bezahlte Erzieherinnen wurden und Männer gut bezahlte Bankangestellte. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis junge, die Gleichberechtigung verinnerlicht habende Menschen den Arbeitsmarkt der Zukunft dominieren und sich somit die Lohnschere automatisch verringert. Dafür braucht es nur Geduld, keine politischen Instrumente wie die Frauenquote.
Familienplanung ist ein weiterer Grund für differierende Entgelte ab 30. Viele Mütter entziehen sich jahrelang dem Arbeitsmarkt, wohingegen Väter in der Regel ihre Karrieren weiterverfolgen. Wenn Familien sich dafür entscheiden, dass die Frau die Sorgearbeit übernimmt und ihr Partner die Brötchen verdient, dann ist das deren freie Entscheidung und kein Ausdruck von tradierten Rollenbildern.
Ebenso wenig zu beanstanden ist, wenn Frauen weniger gut bezahlte Berufe ausüben und das in Teilzeit tun. In einer mittlerweile gleichberechtigten Gesellschaft werden sie nicht aufgehalten, das Gegenteil zu tun. Der Gender-Pay-Gap wird niemals komplett verschwinden. Das Kriterium Geschlecht ist so willkürlich, dass ein Vergleich vollkommen nichtssagend ist.
Je kleinteiliger die Betrachtung, desto weniger skandalös ist die Lohnlücke. In Ostdeutschland liegt sie zum Beispiel nur bei sieben Prozent, in Cottbus verdienen Frauen sogar ein Prozent mehr. Bei gleicher Qualifikation und gleichem Job verdienen Frauen deutschlandweit rund sechs Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Doch dieser sogenannte bereinigte Gender-Pay-Gap ist Augenwischerei, weil Faktoren wie Erwerbsunterbrechungen dann doch nicht einkalkuliert sind. Somit ist es nur logisch, dass der Gehaltsunterschied statistisch gar nicht bei null liegen kann und die sechs Prozent eher Zufall als strukturelle Benachteiligung sind.
Wer das Schließen von Lohnlücken verlangt, offenbart ein mangelndes statistisches Verständnis und fordert indirekt Lebensentwürfe von Menschen ein, die bloß zu irgendwelchen ideologischen Wunschvorstellungen passen sollen, individuelle Lebensentscheidungen aber nicht respektieren.
Steve Haak
Dass wir 2024 noch über Gehaltslücken zwischen Männern und Frauen diskutieren, ist grotesk, nicht nachvollziehbar und macht vor allem eine schreiende Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt sichtbar. Nicht nur, dass Frauen bei vergleichbaren Tätigkeiten und gleicher Qualifikation immer noch weniger verdienen als Männer – was allein genommen schon schlimm genug ist. Zusätzlich leisten Frauen hierzulande zu ihrem normalen Job auch deutlich mehr und vor allem unbezahlte Arbeit als Männer. Das Statistische Bundesamt hat kürzlich errechnet, dass Frauen rund 44 Prozent mehr Zeit mit sogenannter Sorgearbeit verbringen. Diese Zusatzarbeit findet aber nicht im Büro statt, sondern im Haushalt, bei der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen. Vom schlecht bezahlten Job nach Feierabend zum unbezahlten. Schichtwechsel statt Freizeit.
Dass es anders gehen kann, zeigt der Geschlechterangleich in einem anderen Bereich: der Sprache. In zahlreichen Reden, Ansprachen und Schreiben ist längst von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Kolleginnen und Kollegen die Rede. Sicher, das war und ist in einigen Bereichen immer noch ein mühsamer Prozess mit immergleichen Diskussionen über Sinn und Unsinn von Gendersternchen, Doppelpunkten und Binnenversalien. Aber laut Befragungen stört sich mittlerweile eine Mehrheit nicht mehr an den Doppelnennungen. Warum? Weil es bei allem Festhalten an Altem und der Angst vor Veränderung um etwas ganz anderes geht: nicht um die längst überfällige Änderung der Sprache, sondern um Wertschätzung. Und da Gleichstellung nicht bei der Sprache aufhört, sollte es endlich an der Zeit sein, dass Frauen auch in anderen Bereichen die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben, nämlich beim Gehalt.
Am Wochenende sprechen wir im "Tagesanbruch"-Podcast mit Familienministerin Lisa Paus anlässlich des Equal Pay Days über die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen und wie diese kleiner werden kann. Die Folge finden Sie am Samstagmorgen hier auf t-online oder auf allen Podcastplattformen wie Spotify oder Apple Podcasts.
- Eigene Recherche und Meinung