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Thomas Gottschalk: Seine Kritiker machen sein Buch zum Bestseller


Meinung
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Aufregung um Gottschalk
Wer solche Feinde hat, braucht keine Freunde

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

16.10.2024Lesedauer: 3 Min.
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Tingelt durch Talkshows: Thomas Gottschalk hat gerade ein Buch geschrieben, das verkauft werden will. (Quelle: IMAGO/Ervin Monn/imago)
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Thomas Gottschalk kämpft vor allem darum, im Gespräch zu bleiben und sein neues Buch zu verkaufen. Dabei unterstützen ihn ausgerechnet seine größten Kritiker.

Falls Sie gerade planen, ein Buch zu schreiben, und wollen, dass es sich sehr gut verkauft (eine Selbstverständlichkeit, ich weiß, aber hier wird es heute noch öfter um vermeintliche Selbstverständlichkeiten gehen), dann ein Tipp: Gehen Sie ins Fernsehen und sagen Sie Dinge, die vor 20 oder 30 Jahren noch salonfähig waren und es heute nicht mehr sind. Sätze, die Sie selbst vor 20 oder 30 Jahren schon gesagt haben. Seien Sie Sie selbst. Sie können sich darauf verlassen: In den folgenden Tagen sind Sie Gesprächsthema. Und bizarrerweise werden ausgerechnet diejenigen Ihnen enorme Aufmerksamkeit verschaffen, die finden, dass sie Ihnen nicht mehr gebührt.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".

Thomas Gottschalk ist eine Legende. Jahrzehntelang war er mit "Wetten, dass..?" der Quotengott. Es grenzte an Blasphemie, ihn über das übliche Maß hinaus zu kritisieren.

Inzwischen sind Gottschalks Jahre als Moderator vorbei. Hin und wieder moderiert er zum nun aber wirklich letzten Mal "Wetten, dass..?". Die Sendung war früher ein Ritual, und sie ist heute ein Ritual. Es handelt sich aber um zwei völlig unterschiedliche Rituale.

Ablehnung ist zum Ritual geworden

Früher versammelte sich die Familie am Samstagabend um 20.15 Uhr auf dem Sofa vor dem Fernseher. Es gab nur lineares Fernsehen. Es gab kein Internet, es gab keine sozialen Netzwerke. Es gab Quoten, von denen sowohl Sendungen als auch ehemalige Volksparteien heutzutage nur noch träumen können. Zu sehen war Gottschalk, der mit losem Mundwerk moderierte – und mit lockerer Hand. Die er gern auf Oberschenkel oder um Taillen von prominenten Frauen legte, die neben ihm auf dem Sofa im Studio saßen. Dass das schon damals nicht überall gut ankam, lässt sich übrigens hervorragend an einer Szene mit der Schauspielerin Corinna Harfouch nachweisen. Ihr Gesichtsausdruck ob der Gottschalkschen Tatschereien spricht Bände. Dabei aber blieb es. Es waren, wie man sagt, andere Zeiten. Wem Gottschalk zu doof war, der guckte nicht. Fertig.

Heute geht das Ritual so: Das ZDF verkündet, dass Tommy es noch mal mache, und nennt den Termin des Nostalgie-Hochamtes. Schon in den Wochen vor der Ausstrahlung wärmt sich Deutschland kollektiv an den wohligen Erinnerungen an die gute alte Zeit, als alles angeblich noch einfacher war. Dann ist der große Abend da, Gottschalk tut Gottschalk-Dinge, passt damit irgendwie nicht mehr in die Zeit, und die Leute sind enttäuscht. Enttäuscht bis auf der Zinne. X und andere Plattformen sind schon während der Sendung voll. Voller Ablehnung. Auch das ist Teil des Rituals.

Da kämpft jemand um das Kind seiner Zeit

Um das ganz deutlich zu machen: Ich bin Mitte 40 und in einer Zeit sozialisiert worden, in der wir als junge Frauen über die Hand eines mittelalten Freundes unseres Vaters auf unserem nackten Oberarm durchaus redeten. Oder über übergriffige Fahrlehrer. Oder über die ein wenig zu intensiv geleistete Hilfestellung des Sportlehrers am Barren. Wir sahen aber danach wieder darüber hinweg. War ja nicht so schlimm, war ja nichts passiert.

Dass das heute anders ist, finde ich sehr, sehr gut und richtig. Genauso, dass Grapschen nicht mehr einfach so hingenommen wird als leicht nervige Angewohnheit eines Moderators. Und ich verstehe auch, dass Gottschalk Leute irritiert: Nicht nur, weil er einfach so weitermacht wie vorher. Sondern vor allem, weil er aktiv gegen die heutige Sicht darauf kämpft. Er will nicht unterscheiden zwischen dem jungen Gottschalk, also dem Kind seiner Zeit, und dem Gottschalk im Jahr 2024, der durchaus am laufenden Diskurs teilnehmen und seine Reichweite nutzen könnte. Das ist derzeit gut zu beobachten, weil Gottschalk ein Buch geschrieben hat und nun wieder mehr in der Öffentlichkeit steht.

Er will doch nur verkaufen

Gottschalk könnte sich hinterfragen, könnte dadurch zeigen, wie weit wir schon gekommen sind und wo die Reise hingehen könnte und sollte. Kann er vielleicht nicht, will er vielleicht nicht – tut er jedenfalls nicht. Das machen seine Werbeauftritte momentan sehr deutlich. Und natürlich tut er das nicht: Das ist Kern der Marke, die er mittlerweile ist. Davon handelt sein Buch.

Insofern macht Gottschalk alles richtig. Die Leute regen sich auf, posten fleißig, wie unwichtig Thomas Gottschalk doch ist – und verschaffen ihm dadurch noch mehr Reichweite. Oder anders: Sie spielen das Spiel mit.

Und verschießen damit ihr Pulver. Gottschalk ist ein toller Unterhalter; er kann moderieren. Er ist aber weder eine Instanz des Feminismus, noch fordert er das Kalifat. Er will weiter in der Öffentlichkeit vorkommen, und er will sein Buch verkaufen. Dabei helfen ihm ausgerechnet diejenigen, die beides verhindern wollen. Schön doof.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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