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Zum journalistischen Leitbild von t-online.NetzDG Warum die Regierung machtlos gegen Telegram ist
Hassbotschaften, Drogenhandel, sogar ein geplanter Mord an Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer: Der Messenger Telegram ist zum Darknet der sozialen Netzwerke mutiert – doch der Bund ist machtlos.
Weil die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung immer gewaltsamer werden, fordern Politiker ein schnelles Eingreifen bei Hassbotschaften im Netz – und meinen dabei vor allem den Messenger Telegram, über den sich die Demonstranten organisieren und austauschen.
Wie tief der Sumpf aus Hass und Hetze auf Telegram ist, machte am Mittwochmorgen ein Großeinsatz der Sicherheitskräfte in Dresden deutlich: Polizei und Spezialkräfte durchsuchten dort mehrere Objekte, nachdem verschiedene Personen sich auf Telegram offenbar zum Mord am sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer verabredet hatten.
Schon davor hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mitgeteilt, härter gegen das dahinter stehende Unternehmen vorgehen zu wollen. Auch der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht auf Anfrage eine "herausgehobene Bedeutung" von Telegram "bei der Verbreitung von extremistischen Inhalten". Allerdings dürfte auch nach zwei unbeantworteten Bußgeldbescheiden gegen Telegram in diesem Jahr klar sein: Telegram will sich mit der deutschen Rechtslage nicht befassen – und die Bundesregierung kann fast nichts dagegen tun.
Fällt Telegram unter das NetzDG?
Der Bund hat 2017 mit der Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) dafür gesorgt, dass soziale Netzwerke wie Facebook belangt werden können, wenn sie bei Hass und Hetze auf ihren Plattformen nicht einschreiten. So müssen sie unter anderem Optionen zum Melden von kriminellen, volksverhetzenden oder beleidigenden Inhalten anbieten und entsprechende Posts innerhalb bestimmter Fristen löschen. Bei Verstößen können Bußgelder in zweistelliger Millionenhöhe verhängt werden.
Eigentlich schließt das Gesetz Anbieter von Chatprogrammen wie Whatsapp und Signal aus. So heißt es auf den Seiten des Bundesamtes für Justiz (BfJ), das dem Bundesjustizministerium unterstellt ist: "Dienste der Individualkommunikation, insbesondere E-Mail- oder Messengerdienste wie zum Beispiel Whatsapp" fielen nicht darunter.
Doch laut Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gelte das nur bedingt für Telegram, da der Dienst "nicht ausschließlich zur Individualkommunikation bestimmt" sei, so ein Sprecher Buschmanns gegenüber t-online. "Telegram ist ein 'soziales Netzwerk' im Sinne des NetzDG. Telegram-Nutzer können öffentliche Kanäle und Gruppen einrichten. Diese öffentlichen Kanäle sind für jeden über die Telegram-interne Suche oder sonstige Suchmaschinen auffindbar und einsehbar. Und über solche Kanäle können innerhalb kürzester Zeit Zehntausende erreicht werden. Die Vorgaben des NetzDG sind daher auch für Telegram verbindlich."
Telegram sitzt in Dubai – und ist kaum greifbar
Das Bundesamt für Justiz hatte den Betreibern des Messengers Ende April bereits zwei Bußgeldbescheide geschickt – nach Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate, wie das Ministerium t-online bestätigte. Dort hat Telegram seinen Hauptsitz. Offenbar hat sich das Unternehmen bis heute nicht zurückgemeldet. Im Justizministerium übt man sich in Geduld: "Erfahrungsgemäß können Rechtshilfeverfahren mit den Vereinten Arabischen länger dauern", heißt es auf Anfrage. Das Bußgeldverfahren befinde sich "im Stadium der Anhörung."
Es scheint also an der politischen Umsetzung zu mangeln, weniger an der juristischen Feinheit, ob Telegram nun unter das NetzDG fällt oder nicht. Bei Unternehmen mit Sitz in Dubai oder in der Karibik, werde es schwierig, die Telegram-Verantwortlichen zu belangen, so der IT-Anwalt und NetzDG-Experte Michael Terhaag. Da nützten die besten Gesetze nichts.
Laut Terhaag sollte die Regierung darüber nachdenken, Anfragen an die Unternehmen Google und Apple zu stellen, den Messenger aus ihren App-Stores zu entfernen. Vor allem Apple habe strenge Richtlinien bei der Veröffentlichung von Anwendungen. Bei Zuwiderhandlung flögen auch Apps wieder aus dem Store.
Apps mit Aufrufen zur Gewalt sind nicht zulässig
Bei Apple heißt es in den Bestimmungen für App-Entwickler: "Apps müssen an dem Ort, an dem sie veröffentlich werden, die rechtlichen Anforderungen dort erfüllen". Anwendungen, die zu kriminellem oder eindeutig rücksichtslosem Verhalten auffordern, es fördern oder ermutigen, würden abgelehnt.
Und auch Google schreibt in seinen Richtlinien: "Apps, in denen zu Gewalt oder Hass gegen Einzelpersonen oder Gruppen [...] aufgerufen wird, sind nicht zulässig."
- Eigene Recherche