Reportagebücher Die Menschen und ihre Geschichten: Landolf Scherzer wird 80
Suhl (dpa) - Er hat den Knochenjob der DDR-Hochseefischer ungeschminkt beschrieben, den ersten linken Ministerpräsidenten der Bundesrepublik porträtiert und geschildert, wie die Finanzkrise den Menschen in Griechenland zugesetzt hat.
Für seine Reportagebücher ist der ostdeutsche Autor Landolf Scherzer bekannt - die Menschen und ihre Geschichten sind der Stoff dafür. Mit rund 25 Büchern hat er in knapp vier Jahrzehnten eine treue Leserschar gefunden - nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland. Am 14. April wird der 1941 in Dresden geborene und in Dietzhausen bei Suhl im Thüringer Wald lebende Journalist und Schrifsteller 80 Jahre alt.
"Ich schreibe Alltagsaufklärungsgeschichten", beschreibt der Autor sein Schaffen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Der "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch (1885-1848) und dessen literarische Reportagen sind ihm Vorbild. Themen erfinden muss Scherzer nicht, er findet sie. Er kommt spontan mit Menschen ins Gespräch, lässt sie ihre persönlichen Geschichten erzählen, die am Ende ein Stück Gesellschaft spiegeln.
Um ihr Vertrauen zu gewinnen, müsse man sich den Menschen auch ein Stück selbst öffnen, schildert er seine Vorgehensweise. "Du musst auch ein bisschen von dir preisgeben."
Nicht nur sein 2005 erschienenes Buch "Der Grenz-Gänger" über eine 400-Kilometer-Wanderung am ehemaligen innerdeutschen Todesstreifen ist so entstanden. Auch in Thessaloniki, wo er für sein Buch über die Griechenland-Krise ("Stürzt die Götter vom Olymp", 2014) recherchierte oder auf einem Fußmarsch durch Osteuropa ("Immer geradeaus", 2010, jeweils Aufbau-Verlag) fand er so im Kleinen Geschichten, die das große Ganze erzählen. Er schreibe nur das, worauf er selbst neugierig sei und womit er den Leser mitnehmen könne, so Scherzers Motto. Und das so, dass er "einen anderen Blick als im Mainstream" vermitteln könne.
Mit dem "Grenz-Gänger" als einzigem seiner Bücher hat es Scherzer kurzzeitig auch auf die "Spiegel"-Bestsellerliste geschafft. Viel wichtiger aber sei ihm die persönliche Wertschätzung seiner Leser in Lesungen oder in Leserbriefen, sagt er. Letztere häufen sich derzeit wieder - ein Echo auf das neue Buch "Weltraum der Provinzen" über sein Reporterleben, das gemeinsam mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt entstanden ist.
Entwickelt hat Scherzer seinen typischen Stil in der DDR, wo er 1965 wegen kritischer Reportagen in Leipzig von der Uni flog - die Diplomarbeit in Journalistik war da schon geschrieben. Zur "Bewährung" wurde er nach Suhl an die damalige SED-Bezirkszeitung "Freies Wort" geschickt. Seit den 1970er Jahren ist er freier Schriftsteller.
Für Furore sorgte 1988 sein Buch "Der Erste" - eine kritische Innenansicht aus dem SED-Parteiapparat, wofür er den 1. SED-Kreissekretär aus Bad Salzungen vier Wochen lang begleitet hatte. Politikerbeobachtungen setzte er nach der Wiedervereinigung fort, zunächst mit einem Südthüringer Landrat ("Der Zweite"), bevor er den Politikbetrieb im Thüringer Landtag ("Der Letzte") schilderte und über die ersten 100 Tage von Thüringens linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in der Staatskanzlei schrieb ("Der Rote").
Als sein persönliches Lieblingsbuch aus eigener Feder bezeichnet Scherzer allerdings "Fänger und Gefangene" über die DDR-Hochseefischer, für das er eigens auf einem Fischtrawler anheuerte und dort unter Deck Fische zu schlachten hatte.
In seinem Gartenhäuschen in Dietzhausen arbeitet der Autor derzeit an einem Buch über die von Russland annektierte Krim, die er noch vor der Corona-Pandemie bereist hat. Noch ist unklar, wann es erscheint. Das habe auch mit der Pandemie zu tun, so Scherzer. "Die Buchmessen fehlen, die Verlage halten sich zurück mit neuen Titeln." Die Pandemie selbst als Buchstoff - das ist für Scherzer allerdings kein Thema, wie er vehement klarmacht.