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Xavier Naidoo: Verschwörungen und Nazi-Thesen – eine Chronik


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Verschwörungen und rechte Thesen
Xavier Naidoo – der Wolf im Schafspelz

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 03.04.2020Lesedauer: 7 Min.
Im Dunst rechter Verschwörungstheorien: Xavier Naidoo betritt seit 1999 immer wieder krude Pfade – von Verschwörungstheorien bis hin zu rechten Gewaltfantasien.Vergrößern des Bildes
Im Dunst rechter Verschwörungstheorien: Xavier Naidoo betritt seit 1999 immer wieder krude Pfade – von Verschwörungstheorien bis hin zu rechten Gewaltfantasien. (Quelle: imago-images-bilder)
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Seit 22 Jahren verbreitet Xavier Naidoo rechte Aussagen und Verschwörungstheorien. Aktuell ist der Reichsbürger-Sänger wieder besonders aktiv. Allerdings wurde ihm die große Bühne genommen.

Sich mit Xavier Naidoo und seinen neuesten irrlichternden Gedanken zu einem globalen Pädophilen-Ring, den mehrfach verbreiteten Thesen zur angeblich nicht vorhanden Souveränität Deutschlands und seinen gefährlichen Zuwanderer-Vorwürfen zu beschäftigen, heißt: neu-rechte Blogs durchforsten, Reichsbürger-Gesinnungen unter die Lupe nehmen, wirre Interviews von Ken Jebsen begutachten und weit in die Vergangenheit zurückblicken. Es heißt auch, dass man seine jüngsten Äußerungen im oben stehenden Video nur in Ausschnitten wiedergeben will, während man seine Gedankenwelt im folgenden Text ergründet.

Es ist erstaunlich, wie die deutsche Kultur- und Medienbranche bei einem notorischen Faktenverdreher wie Xavier Naidoo so lange still zuhören konnte – ihn teils sogar mit enormer Reichweite ausstatten konnte. Jüngst und maximal prominent wurde der TV-Sender RTL Opfer dieser Naidoo-Mogelpackung. Sie besteht aus dem schillernden Etikett "einer der erfolgreichsten Songwriter Deutschlands" und dem Inhalt der Marke "rechtsideologischer Demokratiefeind".

RTL-Skandal für Naidoo nur eine Werberampe

Nachdem Anfang März dieses Jahres Home-Videos des Sängers auftauchten, in denen er Zuwanderer mit diffusen Anschuldigungen zur Zielscheibe rechter Ideologen machte, zog der Sender die Reißleine, suspendierte ihn erst für eine Show und warf ihn später nach ausgebliebener Stellungnahme endgültig aus der Jury von "Deutschland sucht den Superstar".

Rund drei Wochen später meldet sich der 48-Jährige in einem Interview mit dem auf den Philippinen lebenden Rechtspopulisten Oliver Janich erneut zu Wort. In dem Video schildert Naidoo, dass er sich "die Reichweite von RTL zunutze gemacht" habe. Er habe ein Album produziert, bei dem er davon ausgehen müsse, dass er nach der Veröffentlichung "nicht mehr die Chance bekomme, bei so einer Show mitzumachen".

Spätestens an diesem Punkt ist klar: Xavier Naidoo ist nicht nur ein verwirrter Geist, sondern auch ein gerissener Hund. Unter der Oberfläche des Schmuse-Säuslers schlummert ein perfider PR-Profi, der die Stimmung im Land mit seiner enormen Reichweite vergiften könnte. Denn neben den Anhängern aus seinem rechten Gesinnungskreis gibt es noch Menschen, die bei Xavier Naidoo an Millionen-Hits wie "Dieser Weg" oder "Ich kenne nichts" denken müssen.

Diese Menschen bilden die Masse. Sie sind die womöglich kaufkräftige Klientel, die der gebürtige Mannheimer bedienen will und denen er unter dem Deckmantel seines seichten Soul-Klimbims auch den ein oder anderen rechten Gedanken einpflanzen könnte. Sie würden den Resonanzraum bilden, in dem der demokratiefeindliche Gesinnungsfuror auch in Sphären vordringen kann, in denen er sonst keinen Anklang findet. Xavier Naidoo würde zur Symbolfigur einer immer weiter voranschreitenden Spaltung in Deutschland werden: der Wolf im Schafspelz gewissermaßen.

Eine Chronologie seit 1998: Naidoo, der Populist

Fakt ist: Das neue, dubiose Album von Xavier Naidoo ist noch nicht draußen. Wie er es promotet bekommt, hängt auch an der hiesigen Kulturlandschaft. Seine früheren, telegenen Bühnen, von Vox über ARD und Sky bis hin zu RTL wird er nicht mehr betreten können. Es bleiben ihm nur noch die Mahnwachen, die wirren Chats in Telegram-Gruppen und die ihm huldigenden YouTube-Veröffentlichungen von anonymen Populisten.

Vielleicht fühlt es sich für Xavier Naidoo gegenwärtig an, als wäre er zurück ins Jahr 1998 geholt worden. Der Journalist Dirk Laabs erklärte jüngst auf Twitter, dass er in eben jenem Jahr eine Livesendung für MTV produzierte und Xavier Naidoo "Off Air" nehmen, sprich: ihm den Ton abstellen, musste. Der Sänger habe schon damals seine Haltung offenbart, indem er die Legitimität der Bundestagswahl anzweifelte.

"Rassist, aber ohne Ansehen der Hautfarbe"

Für Naidoo ging es dennoch steil bergauf. Nur ein Jahr später erhält er den Echo als Bester Nationaler Künstler, den MTV Europe Music Award als Best German Act und sein Album "Nicht von dieser Welt" verkauft sich über eine Million Mal – sein endgültiger Durchbruch. Im selben Jahr gibt er ein heute weitgehend vergessenes Interview. Im Juni 1999 erzählt er dem "Musikexpress", er sei ein "Rassist, aber ohne Ansehen der Hautfarbe", und berichtet: "Bevor ich irgendwelchen Tieren oder Ausländern Gutes tue, agiere ich lieber für Mannheim".

Bizarre Töne, die damals größtenteils ignoriert wurden – gestört wurde sich nur an seinen verschwurbelten Bibelzitaten. Doch neben dem gefährlichen Patriotismus raunte er in dem Interview auch verschwörerisch: "Ich habe etliche Texte noch nicht veröffentlicht, weil ich weiß, dass sie zu krass rübergekommen wären."

Und tatsächlich: Zehn Jahre später veröffentlicht Naidoo das Album "Alles kann besser werden" auf dem unter anderem der mehr als sechsminütige Song "Raus aus dem Reichstag" enthalten ist. Ausufernd stellt er die Demokratie in Deutschland infrage, schwadroniert von politischer Korruption im großen Stil und verbreitet altbekannte antisemitische Verschwörungsfantasien mit Songzeilen wie "Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel".

Das Hirngespinst vom "besetzten Deutschland"

Auch Anti-Amerikanismus gehört seit jeher zum Naidoo-Portfolio. Auf demselben Album trällert er in dem Lied "Goldwaagen/Goldwagen", die islamistischen Anschläge in den USA seien von der CIA inszeniert worden: "911, London und Madrid/ jeder weiß, dass al-Qaida nur die CIA ist".

Zugleich sei Amerika auch noch heute die Besetzungsmacht in Deutschland, so ist Naidoo überzeugt. Im "ARD-Morgenmagazin" gibt er 2011 zu Protokoll: "Wir sind immer noch ein besetztes Land, Deutschland hat keinen Friedensvertrag und dementsprechend ist Deutschland auch kein echtes Land." Diese Codes aus rechten Kreisen werden weiter herumgereicht. 2014 urteilte Georg Diez im "Spiegel", sie seien der "Lackmustest für politische Dummheit". Denn dieses Gerede würde nur Sinn ergeben, wenn Deutschland den Krieg verloren habe und nicht von den Alliierten befreit wurde. Es offenbare also vor allem das Opfer-Narrativ, wonach "die bösen Amerikaner uns Deutsche unterjocht" hätten.

Grund für den Artikel im "Spiegel" war der vielleicht bis heute aufsehenerregendste Fall in Naidoos Ideologie-Akte. Im Jahr 2014 trat der in seinen Songs nur durch den Nebel des Scheinwerferlichts als Frontalprediger aufgefallene Sänger tatsächlich als Agitator auf. Bei einer Veranstaltung der Reichsbürger-Bewegung tönte er, es müsse "Ordnung geschaffen (werden) in diesem Land" und hob erneut zu Verschwörungen an, die die islamistischen Anschläge am 11. September 2001 in Abrede stellten. Wer glauben würde, dass Islamisten dahinterstecken, hätte "den Warnschuss" nicht gehört und "einen Schleier vor den Augen".

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Erneut wiederholt er seine Fantasien einer amerikanischen Schutzmacht in Deutschland und führt den US-amerikanischen Militärstützpunkt in Ramstein als Beweis für seine Besatzungsthese an – dabei ist diese US-Air-Base in der Westpfalz alles andere als ein Geheimnis und seit Jahrzehnten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der strukturschwachen Region.

Aufrufe zu Gewalt, Drohungen und der "Marionetten"-Skandal

Doch mit Argumenten ist dem Mannheimer nicht beizukommen. Neben schwulenfeindlichen Äußerungen in seinem Song "Wo sind sie jetzt", den er 2012 gemeinsam mit dem Rapper Kool Savas veröffentlichte, sind es im Laufe der Jahre immer wieder direkte Aufrufe zu Gewalt, die Xavier Naidoo so gefährlich machen. Schon 2009 hieß es in einem Song der "Söhne Mannheims": "Nehmt eure Hände aus dem Schoß" und "Jungs, wir schlagen los" oder "Das Biest bekommt den tödlichen Stoß".

Der Hang zu Gewaltdrohungen gipfelte 2017 in dem Song "Marionetten". Naidoo verwendet darin das antisemitische Stereotyp des Strippenziehers im Hintergrund und bedient sich dem Wortschatz von Rechtsextremen: "Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter", heißt es und weiter: "Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid. Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid." Die "taz" urteilt damals, der Songtext sei "nichts anderes als eine Hetzschrift, die die aktuellsten Schlagworte der rechten Bewegung aufgreift oder umschreibt: Volksverräter, Lügenpresse, Kinderschänder."

Irre Ideen, Wahnvorstellungen auf rechtem Gesinnungsgrund und Pamphlete in roher Sprache, die eine geheime "Ihr-Verschwörung" gegen den scheinbar-aufrechten "Wir-Versteher" konstruieren. Es müsse nur einen geben, der dies öffentlich macht, denn die "Mainstreammedien" hätten schon lange aufgehört, "die Wahrheit" zu sagen. Naidoo steht mit solchen Postionen in der Tradition rechter Gewalttäter wie zuletzt dem Täter in Hanau – auch dieser packte seinen Text voll mit Verweisen auf Verschwörungsmythen und rassistische Theorien.

In seinem neuen Interview mit Oliver Janich meint Naidoo nun, dass "der Lockdown genau die richtige Zeit" sei, "um sich richtig zu informieren". Als Grundlage diene ihm Josef Foschepoth, ein Professor, der schon in dem Verschwörungsformat "KenFM" heillos durcheinander geriet, als er versuchte, den Zwei-plus-Vier-Vertrag und die Souveränität Deutschlands infrage zu stellen. Argumente? Fehlanzeige. Geraune über Verbalnoten bilden seit jeher den Nährboden der Reichsbürgerbewegung.

SPD und Die Linke als "Faschisten" tituliert

Naidoo ist von dieser Gedankenwelt derart indoktriniert, dass er Janich gleichmütig erzählt, er gehe nicht wählen, weil er "sich in diesem Unrechtssystem" nicht "auch noch an diesem Unrecht beteiligen" wolle. In einer Demokratie von Unrechtssystem zu sprechen, muss für die Opfer von Diktaturen und tatsächlichen Unrechtsstaaten wie blanker Hohn klingen.

Dass Naidoo jeglicher Bezug zur Realität abhanden gekommen ist, zeigt auch das neueste Video, welches am 31. März auf Twitter die Runde machte. Es entstammt ebenfalls den Chats auf Telegram, in dem der Sänger sein "patriotisches Album" ankündigte. Darin behauptet er nun, die historischen Nazis seien eigentlich Linke gewesen und "die wahren Faschisten" seien heute die SPD und die Linke:

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Es steht zu befürchten, dass der 48-Jährige mit derlei Hirngespinsten weiter auf sich aufmerksam macht – umso weiter er in die rechte Ecke rückt, desto lauter und verworrener wird seine Propaganda. In den Tiefen seiner Telegram-Aktivitäten wähnt er sich in Sicherheit, nutzt die Freiheit der deutschen Demokratie, um eben jene infrage zu stellen.

Jüngste Video-Veröffentlichungen zeigen Naidoo in Tränen aufgelöst, wie er die Mär über angebliche Pädophilen-Ringe und Ritualmorde verbreitet, die ein Bild von global agierenden Schattenregierungen zeichnet. Dieses vermeintliche Netzwerk aufzudecken und zur Selbstjustiz aufzurufen, reiht sich ein in seine kruden Weltanschauungen. Bereits in einigen früheren Musikvideos inszenierte sich Naidoo als ein von Gott berufener starker Mann, unter dessen Führung sich die Menschheit von diesem angeblichen Übel befreit.

Naidoo bleiben nur noch die dunklen Ecken des Internets

Doch die großen Bühnen sind Naidoo nun versperrt, und auch die ersten kleineren Auftritte sind in Gefahr. Stefan Schmutz, Bürgermeister der kleinen Gemeinde Ladenburg in Baden-Württemberg, sagte im "Mannheimer Morgen" am 2. April, dass es "schwer vorstellbar" sei, Xavier Naidoo nach seinen jüngsten Äußerungen noch auftreten zu lassen. Am 15. August sollte Naidoo im Rahmen einer Open-Air-Veranstaltung zu sehen sein, doch die Grünen stellten einen Antrag, den "Verschwörungstheoretiker auszuschließen".

Sollte dies Schule machen, tummelt sich Xavier Naidoo bald womöglich nur noch im schmuddligen Korridor seiner Reichsbürger-Fans. Dann hätte es gut 22 Jahre gebraucht, um dem Sänger die Öffentlichkeit zu entziehen, die seinen Irrungen und Wirrungen so großes Gehör verschaffte.

Verwendete Quellen
  • Interview Oliver JanichMannheimer Morgen: (kostenpflichtig)Spiegel: Twitter-Thread: Musikexpress: Taz: Zeit: Youtube: laut.de:
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