Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Freiberufliche Künstler in Corona-Krise "Ich wache jeden Morgen mit akutem Herzpochen auf"
Die Corona-Krise in Deutschland trifft freiberufliche Künstler hart. Einige stehen vor dem Nichts, wachen jeden Morgen mit Existenzängsten auf. t-online.de sprach mit vier Betroffenen über die Pandemie und ihre Folgen.
Kameraleute, DJs, Musicaldarsteller, Fotografinnen – sie alle sorgen vorder- oder hintergründig für unsere Unterhaltung. Meist arbeiten sie als Freiberufler, hangeln sich von Auftrag zu Auftrag. Durch das Coronavirus fallen Veranstaltungen aus, Klubs sind geschlossen, die Menschen ziehen sich zurück. Auch Dreharbeiten finden nicht statt. Selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern wurde durch die Ausbreitung der Lungenkrankheit Covid-19 völlig unerwartet der Boden unter den Füßen weggerissen.
Wir haben mit vier Freischaffenden gesprochen. Sie arbeiten in unterschiedlichen Branchen, erzählen unterschiedliche Geschichten. Aber in der Corona-Krise haben sie eines gemeinsam: Ihre Existenzen sind bedroht, viele stehen vor dem Nichts:
Iain Duncan (Musiker, 31)
Für dieses Jahr hatte der freiberufliche Musicaldarsteller Iain Duncan aus Berlin 126 Konzerte einer Musicalproduktion im Kalender stehen. Als Tournee und als Gastspiele, unter anderem in Berlin, Hamburg, aber auch in Belgien, den Niederlanden und Norwegen. Momentan wird keine der Shows zum angesetzten Datum stattfinden. "Ich stehe vor dem wirtschaftlichen Ruin", erklärt Iain im Gespräch mit t-online.de.
"Es ist psychisch sehr belastend, weil die Existenznot allgegenwärtig ist. Man denkt darüber nach, was man verkaufen könnte, was man mit der Wohnung, dem Finanzamt, gespartem Geld machen könnte. Da ich auf relativ schmalem Fuß lebe, kann ich kaum mehr Einschnitte machen. Ich könnte ein Zimmer untervermieten. Das wäre so die einzige Option, die ich hätte", erklärt Iain.
Ein wenig Geld hat sich Iain in den vergangenen Monaten zur Seite gelegt. Hinzu kommt eine kleine Nebeneinkommensquelle. "Ich kann mich glücklich schätzen, weil ich von der GEMA etwas Geld für meine Songwriting-Aktivitäten bekomme. Das wird mir auf jeden Fall helfen." Ein wenig Geld bekomme er zusätzlich durch gestreamte Songs seiner früheren Band. Zudem arbeite er aktuell an einem Musikprojekt, das rein fürs Streaming gedacht ist. Auch damit kann er Geld verdienen. Um die aktuellen monatlichen Fixkosten zu tragen, wird das aber kaum reichen. Im Großen und Ganzen ist Iain auf sich allein gestellt. "Wenn ich zum Amt ginge, müsste ich auf Hartz IV gehen, dafür ist meine Wohnung zu groß, obwohl sie zu billig ist aufgrund des alten Mietvertrages. Um meine Existenz zu sichern, müsste ich wieder meine WG gründen."
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
In Berlin bekommen Künstlerinnen und Künstler nun zwar 5.000 Euro, die ihnen in dieser Zeit helfen sollen. Doch das wohl auch nur kurzfristig. Eine Sicherheit hat der 31-Jährige damit nicht. Die Krise könnte auch länger dauern. Deshalb möchte Iain etwas los werden. "Ich wünsche mir, dass sich der Staat dem Ausmaß der Problematik bewusst wird. Der Staat muss verstehen, dass unser Wirtschaftszweig vom finanziellen Umfang so groß ist, dass so viele Existenzen und eine ganze nationale Identität daran hängen. Eine Musikszene ist ja ein landeseigenes Kulturgut."
Auch an Bürgerinnen und Bürger möchte er sich wenden: "Wenn mich Leute fragen, wie sie mir helfen können, würde ich sagen: Schmeiß' dein iPad an und streame irgendeine Musik, die du magst, von irgendeinem Künstler, der es braucht. Hör den Song 20.000 Mal – oder auch nur Nanosekunden. Das summiert sich." Außerdem können Leute die Kosten für Tickets von Liveveranstaltungen spenden, statt das Geld zurückzufordern.
Yasmina Aust (Fotografin, 31)
Der Frühling kommt und mit dem Beginn der wärmeren Monate beginnt auch langsam die Hochzeitssaison. Seit Beginn der Corona-Krise ist unklar, ob viele der Hochzeiten in diesem Jahr überhaupt stattfinden können. Von den Auswirkungen sind zahlreiche Berufsgruppen betroffen: Veranstalter, Restaurants, Caterer, Musiker und auch Fotografen.
Yasmina Aust ist selbstständige Fotografin. "In Berlin, Potsdam und auf der Welt", wie sie sagt. Yasmina arbeitet hauptsächlich mit Menschen, macht Bilder von Paaren, Familien, Babys – aber ihr zentrales Standbein sind vor allem Hochzeiten. Deshalb hat die Krise fatale Auswirkungen auf ihr Geschäft. "Ich wache jeden Morgen mit akutem Herzpochen auf, greife nach meinem Handy und checke meine E-Mails", beschreibt Yasmina ihren aktuellen Alltag. "Ich habe Angst, dass jetzt sämtliche Brautpaare ihre Anzahlung zurückhaben wollen. Dann wäre ich in einer Existenznot und davor habe ich unfassbare Angst."
Vor der Krise lief ihr Geschäft gut, Yasmina bekam viele Aufträge, hatte die letzten Jahre kaum Urlaub oder Freizeit. Doch wie in anderen Berufen ist es als selbstständige Fotografin schwer, Rücklagen zu bilden – die technische Ausrüstung ist teuer und die laufenden Fixkosten lassen sich von einem Virus nicht beeindrucken. Beruflich, wie privat.
Die Pandemie kam plötzlich und die Aussicht auf den eventuellen Ausfall einer kompletten Saison bringt sie in Existenznot. "Man kann ja nicht davon ausgehen, dass ein Virus die Welt lahmlegt. Von jetzt auf gleich war es ein Totalausfall, es kommen keine Anfragen mehr rein", sagt die 31-Jährige. "Wenn uns die Krise noch über den Sommer hinaus begleitet, wäre das fatal für mich. Ich weiß nicht, wie ich in zwei, drei Monaten überleben soll, wenn der Staat nicht eingreift, um zu helfen."
Wie vielen Freiberuflern bleibt Yasmina aktuell nur die Hoffnung, dass die Krise vielleicht früher beendet ist, als von vielen Experten befürchtet. "Die Hochzeiten sind noch ein paar Wochen oder Monate hin. Deswegen habe ich die Hoffnung, dass alles bis dahin wieder gut wird." Sie versucht, optimistisch zu bleiben und die erzwungene Auszeit positiv zu sehen, weil sie in den letzten drei Jahren wenig Zeit zum Verschnaufen hatte. Doch durch die gegenwärtige Unsicherheit ist es schwer für die Fotografin, diese Pause zu genießen. "Diese Zeit ist für mich wie eine Achterbahn", meint Yasmina. "Es gibt Momente, in den ich lethargisch auf dem Sofa sitze, einen Gegenstand anstarre und denke, dass ich in einem falschen Film sein muss." Aber es muss weitergehen, die Not macht auch kreativ. Und so tüftelt auch Yasmina an alternativen Einnahmemöglichkeiten: "Ich will meinen Posterverkauf erweitern und denke über einen Online-Fotografieworkshop nach. Ich hoffe, dass mich diese und weitere Maßnahmen irgendwie über die Corona-Zeit bringen werden."
Ein weiterer kleiner Lichtblick sind dagegen Hilfen vom Staat, von 2.500 Euro für eine einzelne Person ist aktuell in Berlin die Rede. Doch die Ausfälle sind für viele Freiberufler immens hoch. Dazu meint Yasmina: "2.500 Euro wären eine Erleichterung, aber das ist leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Besonders mittelfristig ist es schwierig, damit die laufenden Unkosten zu decken, die ja trotzdem weiter anfallen." Und auch Kredit müsse man zurückzahlen und das sei bei dem Verlust eines kompletten Auftragsjahres schwierig.
Während der Corona-Krise geht es auch für Yasmina darum, durchzuhalten und die Hoffnung nicht zu verlieren. In Zeiten der Ungewissheit versucht sie der Krise trotzdem etwas Gutes abzugewinnen. "Durch die aktuelle Lage ist mir auch wieder bewusst geworden, dass ich großartige Freunde habe, die sich alle erkundigen, wie es mir geht und die sinnlos bei mir Gutscheine kaufen, weil sie mir helfen wollen", sagt die Fotografin. "Die zwischenmenschlichen Werte rücken in dieser Zeit wieder mehr in den Fokus."
Und am Ende ist sie sich trotz allem sicher: "Irgendwie wird es weitergehen."
Sebastian Wolter (DJ, Booker, 35)
Eigentlich macht Sebastian oft die Nacht zum Tag, zumindest am Wochenende. Er ist DJ, legt als "Dachgeschoss" in Klubs und auf Festivals im ganzen Land und über die Landesgrenzen hinaus auf. Außerdem arbeitet er als Booker und Partyveranstalter – alles freiberuflich. Die Feierindustrie war mit die erste Branche, die von der Corona-Krise lahmgelegt wurde. Veranstaltungen sind verboten, damit das Virus sich nicht noch schneller verbreitet.
Das trifft Sebastian gleich in mehreren geschäftlichen Bereichen. "Alle Einnahmen sind futsch. Ich habe mir das schon ausgerechnet und die Verluste sind groß. Eigentlich sind März und April relativ starke Monate für uns", sagt er im Gespräch mit t-online.de. Bis mindestens Ende April wurden alle Termine und Auftritte abgesagt. "Wir wissen nicht, wie es danach weitergeht. Ich persönlich gehe davon aus, dass die gegenwärtige Krise nicht Ende April vorbei ist. Deshalb gibt es da auf jeden Fall eine große Unsicherheit."
Die Feierindustrie arbeitet nur selten mit festen Verträgen. Musiker und DJs werden für Events gebucht, Sicherheit gibt es kaum. Für Veranstaltungen gehen Organisatoren wie Sebastian sogar in Vorkasse. "Unsere Gagen sind fix weg. Wir hatten auch Veranstaltungen geplant, die zum Teil vorfinanziert waren. Das macht das Minus noch etwas größer", erklärt Sebastian. "Wenn du nicht arbeiten kannst, verdienst du kein Geld, aber du musst natürlich weiterhin alles bezahlen."
Aber trotz seiner persönlichen wirtschaftlichen Ausfälle hält der DJ die aktuellen Maßnahmen gegen die Pandemie für richtig: "Ich gehe eigentlich gerne jeden Tag einkaufen, aber ich versuche aktuell wirklich zu Hause zu bleiben. Das ist schon ein komisches Gefühl, aber ich halte das für wichtig.“
Das Ende der Krise ist nicht abzuschätzen, der Staat oder die Länder unterstützen zwar Freiberufler, aber eine Garantie für den Fortbestand ihrer Geschäfte gibt es nicht. Deshalb schaut auch Sebastian eher pessimistisch in die Zukunft. "Ich gehe davon aus, dass wir nicht unbedingt viele Festivals haben werden", sagt der 35-Jährige. "Es gibt zwar viele Kampagnen gerade und finanzielle Unterstützung, die wir bekommen können. Aber das ist darauf angelegt, vielleicht zwei Monate überbrücken zu können. Danach wird es schwierig."
Aktuell gibt es in vielen deutschen Städten private Spendeninitiativen, die Klubs und Bars vor der Insolvenz schützen sollen. Viele DJs zeigen Live-Video-Streams, die man sich vom Wohnzimmer aus angucken und anhören kann. Das macht auch Sebastian, aus seinem Wohnzimmer heraus. Aber wenn man bedenkt, dass allein in Berlin in einer Partynacht Hunderte DJs in den zahlreichen Klubs auflegen, können diese Gagen für die Künstler kaum kompensiert werden.
Vergleichsweise Glück im Unglück haben letztlich die Musiker, die den Job nebenberuflich ausüben und die ein anderes Standbein haben. Das trifft aber nicht auf Sebastian zu: "Bei uns ist es auf jeden Fall kritisch", meint der 35-Jährige.
Moritz Bauer (Kameramann, 33)
Moritz Bauer ist selbstständiger Kameramann, verheiratet und Vater zweier Kinder im Alter von zwei und drei Jahren – und aktuell durchaus optimistisch. Seine Frau hat nach der Geburt des jüngsten Kindes noch nicht wieder angefangen zu arbeiten. Die Familie lebt in einer Mietwohnung im Süden Berlins. "Wir waren kürzlich auch auf Haussuche, aber es ist wohl ganz gut, dass das vor Corona nicht geklappt hat", erzählt Moritz im Gespräch mit t-online.de.
Da es mit dem Hauskauf nichts wurde, aber auch durch regelmäßige Rücklagen komme die Familie noch eine Zeit lang gut über die Runden. "Insgesamt kann ich von meinem Job gut leben", so Moritz, dessen Tagessatz bei 400 Euro beginnt. Verleiht er zusätzlich Equipment, kann er aber auch auf bis zu 1.000 Euro am Tag kommen. "Ich verdiene gutes Geld", sagt er.
Die Corona-Krise ist trotzdem ein herber Einschnitt. "Alles, was für März, April, Mai angekündigt war an Jobs, wurde nach und nach abgesagt oder verschoben", erklärt Moritz. Hauptsächlich hätten Image-Filme für Firmen auf seiner Agenda gestanden. "Werbliches oder Image-Filme werden jetzt natürlich auch als Erstes zurückgeschraubt. Das ist alles gestrichen, ich hoffe aber nicht ersatzlos." Selbst wenn Projekte nur verschoben sind: "Was jetzt alles ausfällt, kann ich im Juni, Juli dann nicht alles annehmen." 1:1 wird Moritz seine Ausfälle nicht ausgleichen können.
Für die aktuelle Situation haben ihm seine Eltern bereits finanzielle Unterstützung angeboten. "Aber ich habe mit Mitte 30 kein großes Interesse daran, von meiner Familie Geld zu nehmen." Ein Lichtblick sind da die 5.000 Euro, die Soloselbstständige in Berlin einmalig erhalten können, wenn es finanziell eng wird. Bis zum Sommer würde Moritz auch mit seinen Rücklagen kommen, "trotz Familie und hoher Fixkosten". Die 5.000 Euro wird er aber auf jeden Fall in Anspruch nehmen, "damit kommt man dann noch mal zwei Monate weiter. Und wenn die Krise dann immer noch nicht überwunden ist, hat die KfW gesagt, dass sie Kredite zu sehr günstigen Zinsen vergibt ." Ein möglicher nächster Schritt. Doch Moritz sagt: "Ich bin optimistisch, dass es nicht so lange dauert. Wenn die Auftragslage im Sommer dann wieder so ist wie letztes Jahr, werde ich mich auch schnell wieder erholen können."
Sollte sich die Corona-Krise länger als bis Juni oder Juli ziehen, wird es allerdings auch für ihn problematisch: "Wenn das länger als Sommer dauert, ist meine Existenz aber auf jeden Fall gefährdet, dann habe ich auch kein Geld mehr."