Klimamahner Promi-Geburtstag vom 18. März 2020: Hartmut Graßl
Hamburg/München (dpa) - Hartmut Graßl war schon vor rund 60 Jahren vom heraufziehenden menschengemachten Klimawandel überzeugt. "Im 1. Semester habe ich das im November 1960 in München gelernt. Da das simple Physik ist, gab es für mich keinen Zweifel", sagt Graßl, der später einer der bedeutendsten Klimaforscher Deutschlands und weltweit wird.
Heute wird der Mann mit dem weißen Haarschopf und dem charakteristischen Wirbel am linken Hinterkopf 80 Jahre alt. Er hat noch ein Büro im Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, an dem er einer der Direktoren war, und weiterhin klare Argumente für einen bestmöglichen Klima- und auch Naturschutz.
Schon als Student analysiert der in Salzberg (heute Berchtesgaden) geborene Forscher die Atmosphäre: So späht er mit 25 Jahren als "Messknecht" vom Schiff aus über dem Atlantik nach Rußteilchen aus den Savannenbränden Afrikas. Später misst er auf Grönland die Wirkung von Sonnenstrahlen und in der israelischen Negev-Wüste die Strahlenaufnahme von Schwebeteilchen. Sein Fazit: "Ich erfuhr, wie schwer es ist, Modelle für die Atmosphäre aufzustellen, weil die ersten Daten oft nicht ausreichend genau sind." Diese praktische Erfahrung habe ihm später bei seiner Arbeit sehr geholfen.
Seine Forschung führt ihn auch nach Mainz, Kiel und Geesthacht, und bald in die Öffentlichkeit. Im Jahr 1987 präsentierten die Deutschen Gesellschaften für Physik und für Meteorologie eine "Warnung vor drohenden weltweiten Klimaänderungen durch den Menschen". Graßl ist einer der Hauptautoren.
Deutschlandweit bekannt wird er 1992 als Leiter des wissenschaftlichen Beirats "Globale Umweltveränderungen" der Bundesregierung. 1996, inzwischen leitet er das Weltklimaforschungsprogramm der Weltwetterorganisation in Genf und ist somit UN-Chefmeteorologe, mahnt er: "Wir stehen vor einem Jahrhundertwerk... Klimaänderungen zu verhindern, das geht bereits nicht mehr. Es geht nur noch darum, sie zu verlangsamen."
Der auch "Klima-Kassandra" genannte Forscher wirkt heute dennoch keineswegs frustriert: "Das Glas ist halb voll", sagt Graßl etwa mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen von 2015, in dem sich die Länder verpflichtet haben, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Da war er schon zehn Jahre emeritiert. "Während der Klimakonferenz von Paris hat mich jemand aus dem Konferenzsaal heraus angerufen und beglückwünscht: "Ihr paar Hundert Klimatologen vom Weltklimarat, wie habt Ihr das geschafft?". Graßls Antwort: "Nie nachgeben!" Große Entscheidungen benötigten oft einen großen Vorlauf.
"Das Klimaabkommen von Paris ist ein Glücksfall für die Menschheit", betont Graßl. Nun müsse es aber auch umgesetzt werden. Vorreiter wie die EU seien wichtig, aber entscheidend seien China, Indien und die USA. Das angekündigte, aber formal noch nicht vollzogene Ausscheiden der USA aus dem Klimaabkommen werde "eine Episode bleiben", angesichts der vielen US-Bundesstaaten, die dafür seien, meint Graßl. Mit Menschen, die gegen den Klimawandel argumentieren, reibt er sich seit Jahrzehnten. Wichtige ihrer Thesen seien vor allem durch Satellitenmessungen heute widerlegt.
Angesichts des langsamen Voranschreitens im Klimaschutz ist Graßl "nicht wirklich" enttäuscht. "Deutschland ist ein Paradebeispiel, wie man aus der Kohle herauskommt und zugleich die Wirtschaftsleistung verdoppelt oder gar verdreifacht." Mit Blick auf mögliche Kippelemente, wie einem nicht mehr stoppbaren Schmelzen des Grönlandeises wirkt er dann doch etwas ärgerlich. "Wir haben 30 Jahre verplempert." Es sei noch unklar, welche Kipppunkte eintreten werden und wann das geschehe.
Als Deutschlands bisher wichtigste Klimaschutzaktion sieht Graßl das 1990 unter Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl verabschiedete Stromeinspeisungsgesetz. Damit können Privatleute, Genossenschaften und kleine Unternehmen Solar- und Windenergie ins Stromnetz abgeben. "Das war Deutschlands bester Exportartikel. Das haben fast 100 Nationen nachgeahmt", sagt Graßl. "Ich habe schon 1990 investiert und habe heute noch hohe Renditen."
Wichtig sei nun, bei der deutschen Energiewende auch auf die Menschen mit geringem Einkommen zu schauen und den Strompreis für sie entsprechend anzupassen. Der Anteil der Stromkosten an den Ausgaben armer Menschen liege aber schon jetzt - auch wegen der Entlastung der Industrie beim Strompreis - zu hoch. Der dürfe nicht auf 10 Prozent ihres Einkommens steigen, wenn man alle Menschen bei der Energiewende mitnehmen wolle, sagt Graßl, der schon immer Freund klarer Worte war.
"Man sollte das Wort "sozial" in der sozialen Marktwirtschaft wieder etwas größer schreiben und noch ein "ökologisch" einfügen: Eine sozial-ökologische Marktwirtschaft", rät Graßl. "Die Preise müssen die Wahrheit sagen." Der Wald habe einen Wert, wenn er Wasser filtere. Dieselautos dürften nicht durch geringere Mineralölsteuer subventioniert werden. Solarenergie sollte dagegen länger als geplant gefördert und Photovoltaik bei Neubauten Pflicht werden.
Graßl ist verheiratet und hat eine Tochter. Er hält weiterhin Vorträge, berät das österreichische Klimaforschungsprogramm, gibt eine wissenschaftliche Zeitschrift heraus und ist Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Was er sich zum 80. wünscht? "Dass ich noch ein paar Jahre gut leben und weiterhin arbeiten kann".