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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sebastian Krumbiegel "Werde nie vergessen, was Friedrich Merz getan hat"
Er sieht sich als politischen Menschen – und möchte seine Stimme erheben: Sebastian Krumbiegel. Im Interview mit t-online spricht er über den Zustand Deutschlands.
Sebastian Krumbiegel hat sich schon immer eingemischt. Der Musiker und Frontsänger der Band Die Prinzen begründet das mit einer Kindheitserfahrung. Im Alter von 15 Jahren sei ihm etwas passiert, das ihn bis heute prägt. Im Interview mit t-online erklärt der 58-Jährige, was es damit auf sich hat – und warum er ein Problem mit CDU-Mann Friedrich Merz hat.
t-online: Herr Krumbiegel, möchten Sie mich heute belehren?
Sebastian Krumbiegel: Nein, auf keinen Fall. Wie kommen Sie darauf?
Sie sind häufiger in Polittalkshows zu Gast als so mancher Soziologe.
Sie müssen ja nicht einschalten. Aber Spaß beiseite: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Warum denkt dieser Musiker, dass er etwas zum politischen Diskurs beizutragen hat …
Und?
Es gibt Leute, die der Meinung sind, dass man sich als Künstler raushalten soll. Ich bin genau entgegengesetzter Meinung. Ich finde es wichtig, dass nicht nur Politiker und Wissenschaftler in gesellschaftlichen Debatten zu Wort kommen. Wir alle sollten uns politisch einmischen und uns interessieren und wissen, dass wir eine Menge beeinflussen und auf den Weg bringen können. Wenn wir uns raushalten, können wir nichts bewegen.
Sie sind also ein politisch interessierter Mensch. Aber stecken Sie auch thematisch tief in der Materie?
Wir stecken alle in der Materie, weil wir alle in einem demokratischen Rechtsstaat leben und weil wir wissen sollten, dass Demokratie eine Sache ist, die wir selbst bestreiten. Ich glaube schon, dass wir uns alle darum kümmern sollten, in was für einer Welt wir leben. Wenn wir immer nur alles auf "die da oben" schieben, machen wir einen Fehler. Wir müssen uns engagieren und denen "da oben", den Volksvertretern, unsere Meinung sagen und gelegentlich auf die Finger klopfen.
Aber Ihre Kunstform ist die Musik. Sie veröffentlichen Songs wie "Der Führer hätte sich gefreut" mit einer klaren Botschaft. Warum brauchen Sie Talkshows als zweite Bühne?
Ich werde in eine Talkshow nicht als Experte eingeladen und ich sage das auch vorher ganz klar, dass ich kein Politikexperte bin. Aber Künstler sind ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft, mit einem großen Einfluss – und diesen sollten Sie im Sinne einer demokratischen Meinungsbildung nutzen.
Mehr als nur ein Musiker
Sebastian Krumbiegel wird am 5. Juni 1966 in Leipzig als Sohn einer Musikwissenschaftlerin und eines Chemikers geboren. Seit frühester Kindheit macht er Musik – und wird wegen rebellischen Verhaltens aus dem Schulchor geworfen. Seinen Durchbruch feiert er 1991 mit seiner Band Die Prinzen. Songs wie "Alles nur geklaut", "Küssen verboten" oder "Millionär" sind bis heute Kult. Doch Krumbiegel ist mehr als das: In seiner 2024 veröffentlichten Autobiografie "Meine Stimme – Zwischen Haltung und Unterhaltung" beschreibt er die Bedeutung seines politischen Engagements.
Haben Sie das Gefühl, dass zu wenige Prominente ihre Meinung sagen?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber sehen Sie: Ich wurde so sozialisiert. Als ich 15 Jahre alt war, hat mir meine Großmutter von der Pogromnacht 1938 erzählt und gesagt, dass sie danebenstand und weggeguckt hat. Sie hat sich dafür geschämt – und das prägt mich bis heute.
Wie genau meinen Sie das?
Ich möchte nicht den gleichen Fehler machen wie meine Großmutter. Heute ist es möglich, sich zu positionieren, und es ist bitter nötig. Ich möchte mir nicht irgendwann nachsagen lassen, dass ich sehenden Auges und ohne etwas dagegen zu tun, in eine Katastrophe geschlittert bin.
Nicht nur die Erzählungen von der Reichspogromnacht dürften Sie geprägt haben. Wie blicken Sie heute auf Ihr Aufwachsen in der DDR zurück?
In meinem Elternhaus war Politik immer ein Thema. Mir wurde eingebläut, dass es wichtig ist, seine Meinung zu sagen – auch wenn es unbequem werden kann. Bei uns lief jeden Morgen vor der Schule im Küchenradio der Deutschlandfunk und abends haben wir die "Tagesschau" gesehen. Das war für uns politische Bildung.
Sie haben erlebt, wie ziviler Protest während der Montagsdemos in reale Veränderungen münden kann. Haben Sie den Eindruck, die demokratische Mehrheit ist heute zu leise?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt auch heute noch große Demonstrationen.
Welche meinen Sie konkret?
Nachdem es die Enthüllungen zu den "Remigrationsplänen" in Potsdam gab, war der Aufschrei riesig und Hunderttausende sind für Demokratie und Menschenwürde auf die Straßen gegangen. Das zeigt, wie wuchtig Protest der Mehrheit sein kann, wenn die Stimmung kippt.
Sie sind vor einigen Monaten quer durch Sachsen und Thüringen gereist, um kurz vor den Landtagswahlen für die Demokratie zu werben. Dabei haben Sie sich auch für die SPD starkgemacht. Warum?
Ich habe in erster Linie die SPD unterstützt, weil ich ein sozialdemokratisch-sozialisierter Mensch bin, aber ich habe auch die Linke unterstützt, die Grünen und sogar die CDU bei einer Stichwahl gegen die AfD.
Aber was für Menschen sind wir, wenn wir Ärmere gegen noch Ärmere ausspielen? Das bereitet mir Sorgen.
sebastian krumbiegel
Aber?
Viele Anhänger der Grünen und der SPD fragen sich gerade, was aus ihrer Partei geworden ist, und das frage ich mich auch. Wenn ich an die Asylpolitik der vergangenen Monate denke, graut es mir vor den bevorstehenden Wahlen und einem möglichen Überbietungswettbewerb in Sachen Abschiebewahn. Wo sind die humanitären Werte geblieben, die die linke Politik immer ausgezeichnet hat? Die gehen gerade alle vor die Hunde. Nicht nur bei uns, sondern weltweit.
Als Oppositionsführer Friedrich Merz am Mittwoch gegen Olaf Scholz im Bundestag ausgeteilt hat, sagte er: "Deutschland braucht eine grundlegend andere Politik, vor allem in der Migrationspolitik." Was macht das mit Ihnen?
Nichts Gutes. Ich weiß natürlich, dass es bei dieser Diskussion keine einfachen Antworten gibt. Aber es ist nicht klug, Leute gegeneinander aufzuhetzen. Und vor allem ist es nicht angemessen, dies auf dem Rücken der Schwächsten zu tun. Natürlich gibt es Probleme. Es wird immer Probleme geben, wenn Leute aus anderen Ländern zu uns kommen – gerade, wenn sie traumatisiert sind, wenn sie Dinge erlebt haben, von denen wir alle überhaupt keine Ahnung haben. Aber was für Menschen sind wir, wenn wir Ärmere gegen noch Ärmere ausspielen? Das bereitet mir Sorgen.
Es haben schon so einige Politiker der Mitte versucht, mit härterer Asylpolitik Wahlkampf zu machen. Am Ende ist die AfD dadurch nicht verschwunden – im Gegenteil.
Deshalb ist es Unsinn, immer unmenschlichere Forderungen zu stellen. Eine "AfD light"-Politik ist der falsche Weg: Es braucht Integration, soziale Maßnahmen und eine Erzählung, die den Menschen die Angst nimmt und stattdessen einen Weg aufzeigt, der positiv ist. Denn machen wir uns nichts vor: Angesichts der demografischen Entwicklung wird Deutschland immer ein Einwanderungsland bleiben müssen. Ich befürchte nur, dass dieser linke Konsens längst keine Mehrheit mehr findet.
Wann haben Sie diesen Bruch das erste Mal wahrgenommen?
Schon sehr lange, aber als Olaf Scholz darüber redete, Deutschland müsse nun massiv abschieben, habe ich mir verwundert die Augen gerieben – um es mal vorsichtig auszudrücken.
Der Satz lautete: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben."
Das schmerzt. Integration, Eingliederung, eine gute und geregelte Asylpolitik: alles wichtig und richtig. Aber solche Claims verharmlosen die menschenfeindliche Sprache der AfD. Plötzlich erschrecken wir nicht mehr, wenn die von „Kopftuchmädchen und anderen Taugenichtsen" sprechen. Das war nicht richtig, das ist nicht richtig und das wird nie richtig sein. Und dagegen müssen wir uns wehren.
Ich denke, dass viele Menschen sehr gut nachvollziehen können, wie Olaf Scholz entschieden hat.
sebastian krumbiegel
Werden Sie in den nächsten drei Monaten Wahlkampf machen?
Ich werde immer demokratische Parteien unterstützen. Nur die CDU nicht mehr, wenn sie noch weiter nach rechts rückt. Aber ich sehe mich nicht als Wahlkämpfer, sondern als Künstler, der seine Meinung sagt.
Wer ist Ihnen denn am politisch am nächsten?
Das ist eine sehr schwierige Frage, aber am Ende bleibe ich bei der guten alten Sozialdemokratie. Was bei der Diskussion um Israel und Gaza von der Linken kam, hat mich befremdet. Wer das Existenzrecht Israels infrage stellt, ist bei mir unten durch. Und über den rechten, nationalen Wahnsinn habe ich hinreichend geschimpft.
Aber die SPD ist krachend gescheitert in der Ampel. Kanzler Olaf Scholz hat kaum Erfolgsaussichten laut aktuellen Umfragen.
Das sind trostlose, ja düstere Aussichten.
Wäre Boris Pistorius der bessere Kanzlerkandidat für die Neuwahl am 23. Februar?
Ich glaube das nicht. Es wäre rein taktisch nicht klug, den Kandidaten auszutauschen.
Also sehen Sie Olaf Scholz nicht so beschädigt wie offenbar Großteile der Bevölkerung?
Wenn mir jahrelang ein Zankapfel auf den Geist geht, Streit provoziert, sich entgegen den Absprachen an die Medien wendet, konstruktive Politik verhindert und das alles als kleinster Juniorpartner in der Koalition: Dann kann ich verstehen, dass man als Mann mit Verantwortung für das Land eine Entscheidung trifft. Ich denke, dass viele Menschen sehr gut nachvollziehen können, wie Olaf Scholz entschieden hat.
Die vergangenen Wochen waren von Chaos geprägt, die Ampelregierung ist nach etwas mehr als 1.000 Tagen Geschichte. Haben Sie Erleichterung oder Wut empfunden am Abend des 6. November?
Es war krass, was alles an diesem Tag passiert ist. Ich bin aufgewacht und habe gemerkt, dass Trump vorn liegt. Das war der erste Hammer. Die nächste Meldung, die mich erschüttert hat, kam am Nachmittag aus Sachsen: Michael Kretschmer trifft sich mit AfD-Chef Jörg Urban. Da habe ich gedacht: "Bitte, bitte nicht". Der dritte Punkt folgte am Abend: das Ende der Ampel. Ehrlich gesagt war Letzteres für mich am wenigsten schlimm, denn irgendwann muss Schluss sein. Es gibt Grenzen und die hat Herr Lindner übertreten. Deshalb war die Entscheidung von Scholz richtig.
Haben Sie Mitleid mit Olaf Scholz, weil er in der öffentlichen Wahrnehmung nun dennoch so schlecht dasteht?
Mitleid ist ein falsches Wort. Das würde ich nie so sagen. Aber ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Heutzutage Politiker zu sein, ist eine Mammutaufgabe. Die Welt hat sich verändert in den letzten drei Jahren. Der Krieg in der Ukraine, die Eskalation im Nahostkonflikt, die steigenden Preise: Viele Menschen sind verunsichert und lassen ihren Unmut an den verantwortlichen Personen aus.
Diese Politiker stellen sich und ihre Inhalte zur Wahl. Dann müssen Sie doch auch dafür geradestehen, wenn die Menschen sie kritisieren, weil kaum etwas davon umgesetzt wird. Oder?
Aber wenn sich die Welt ändert, dann muss sich auch die Politik ändern. Ganz konkret: Wenn ein europäisches Nachbarland angegriffen wird, finde ich es richtig, mit allen Mitteln zu helfen. Es wäre falsch, die Ukraine sich selbst zu überlassen, denn dort wird auch unsere Freiheit verteidigt. Der Aggression Russlands muss Einhalt geboten werden und das geht nur, indem man etwas tut – leere Worte helfen nicht.
Wo ist Ihr Pazifismus geblieben?
Ich halte es für wohlfeil, Pazifismus zu predigen, wenn in der Ukraine Menschen sterben.
Sie haben Ihre Einstellung also mit dem Krieg verändert?
Ja, ich erkenne mich selbst gar nicht wieder. Ich halte es aber auch für legitim und richtig, seine Meinung zu ändern – auch wenn ich ahne, welchen Shitstorm ich dafür wieder kassieren werde.
Sind die Beschimpfungen in den vergangenen Jahren schlimmer geworden?
Es ist Wahnsinn, was einem mittlerweile so entgegenschlägt. Teilweise versuche ich, mich dagegen juristisch zu wehren. Aber bei der Masse an Hass ist es schwer.
Blicken wir zum Abschluss in die Zukunft: "Friedrich Merz wird neuer Bundeskanzler." Wie fühlt sich dieser Satz für Sie an?
Wenn es so kommt, ist Merz ein demokratisch gewählter Bundeskanzler. Dann werde ich damit umgehen. Ich werde aber auch nicht seine Nähe suchen. Wenn ich mir überlege, was er in der Vergangenheit über Ausländer gesagt hat, empfinde ich tiefes Unbehagen. Das war nicht anständig, es war rassistisch. Und ich werde auch nicht vergessen, dass er als Abgeordneter 1997 gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat.
- Eigenes Interview mit Sebastian Krumbiegel