Radiohead-Gitarrist Ed O'Brien: "Ich will mit den Besten arbeiten"
Berlin (dpa) - Neues aus dem Kreativ-Kraftwerk Radiohead - nicht von der seit 30 Jahren umjubelten Band aus Oxford zwar, aber immerhin von einem ihrer fünf Mitglieder.
Der so meisterliche wie bescheidene Gitarrist Ed O'Brien bringt unter dem Projektnamen EOB sein erstes Soloalbum heraus (17. April). Die Deutsche Presse-Agentur in Berlin hat sich mit dem 52 Jahre alten Briten darüber unterhalten.
Frage: Hallo Ed O'Brien. Nun also auch von Ihnen ein Soloalbum. Worum ging es Ihnen mit "Earth"?
Antwort: "Die Platte ist so etwas wie meine musikalische Antwort auf das, was ich derzeit empfinde. Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Der ganze Mist, der momentan passiert, ist äußerst unheimlich. Die Art und Weise, wie wir in unseren patriarchalischen Strukturen mit der Welt umgehen, funktioniert nicht mehr. Es funktioniert nicht für diesen Planeten - wir reden hier über einen Klima-Alarm. Aber es funktioniert ja auch nicht für die meisten Menschen auf diesem Planeten. Ich habe den Vorzug, in Großbritannien aufgewachsen zu sein - Sie in Deutschland. Aber wer in der Welt hat so viel Glück? Also, es muss eine bessere Option geben. Darum geht es."
Frage: Wie kam es zu dem Albumtitel "Earth"?
Antwort: "Der ist natürlich kein Zufall. Es geht mir um das größere Bild. Der Arbeitstitel für die Platte war 'The Pale Blue Dot' ('Blauer Punkt im All'), nach dem Buch des Astronomen Carl Sagan. Da hätte es aber wohl Probleme mit Sagans Erben gegeben. Ich denke, wir Menschen sind nur ein Teil der Erde, wir kehren zurück in sie - deshalb der Titel 'Earth'. In den vergangenen fünf Jahren wurde ich von Radiohead-Fans immer wieder gefragt: Hey Ed, was für eine Art Platte wirst Du machen? Und ich sagte: Es ist ein existenzialistisches Tanzalbum. Ein Tanzalbum ist es nun nicht wirklich geworden, aber es geht schon um existenzielle Fragen."
Frage: Wie fanden Sie, der langjährige Radiohead-Gitarrist, auf dem Soloalbum Ihre eigene Stimme?
Antwort: "Bevor ich die Platte machte, hatte ich natürlich schon eine Vorstellung davon, wie sie klingen sollte. Als ich die Texte schrieb, hat mich das regelrecht aufgesaugt. Es gibt ja sechs Stufen der Kreativität. Stufe eins: Das ist großartig. Stufe zwei: Das ist okay. Stufe drei: Das ist totaler Mist. Stufe vier: Ich bin selbst totaler Mist. Stufe fünf: Das ist okay. Und Stufe sechs: Das ist großartig. Diesen Bogen muss man durchschreiten. Viele Leute geben an der vierten Stufe auf. Da musste ich durchhalten."
Frage: Ihr Gesang auf "Earth" ist wirklich toll. Wie sind Sie mit dieser neuen Herausforderung zurechtgekommen?
Antwort: "Es war das Schwerste für mich, zu singen. Mit anderen Instrumenten kann man sich irgendwie durchmogeln. Aber wenn man seine Gesangsstimme nicht findet, wird das nichts mit dem Song. Es war eine Erleuchtung für mich, das irgendwie hinzukriegen. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich geklappt hat, aber ich bin enorm dankbar für die Hilfe, die ich dabei hatte, zum Beispiel von meinem Produzenten Flood."
Frage: Mit Flood, Omar Hakim, Glenn Kotche von Wilco, Dave Okumu und Laura Marling haben Sie fantastische Mitstreiter. Müssen Sie die nur anrufen?
Antwort: "Ich will mit den Besten arbeiten. Denn die besten Musiker sind nach meiner Erfahrung auch die besten Menschen. Glenn Kotche ist ein alter Freund von mir. Und Laura Marling - die kannte ich vorher nicht, aber da ich ja immer mit den Besten arbeiten will: Sie ist die Beste in ihrem Metier, eine unglaubliche Künstlerin und ein fantastischer Mensch, mit so viel Kraft und zugleich Verletzlichkeit. Als ich mit ihr sang und Gitarre spielte, war ich wirklich nervös."
Frage: Enthalten die "Earth"-Songs Einflüsse Ihrer Zeit in Brasilien vor einigen Jahren?
Antwort: "Ja, auf jeden Fall. Wenn man nach Brasilien geht wie ich mit meiner Familie für sieben oder acht Monate im Jahr 2012, dann passiert etwas sehr Grundsätzliches: Man schlüpft aus seiner Haut. Das ist eine außergewöhnliche Kultur dort, mit all den westafrikanischen Einflüssen. Und es gibt die indigene Bevölkerung, hispanische, portugiesische, italienische Elemente, und sogar eine große japanische Kommune. Da ist diese Offenherzigkeit und Wärme. Für mich als jemand aus Oxford war das besonders intensiv. Ich mag Oxford, aber es ist doch ein eher kalter Ort. Wenn man dann so etwas wie den brasilianischen Karneval erlebt, dann ergibt sich eine kraftvolle Schwingung. Die politische Entwicklung unter dem Präsidenten Jair Bolsonaro macht mich nun allerdings traurig und wütend. Für meine Freunde dort waren die vergangenen Monate sehr sehr hart. Er ist der Donald Trump von Brasilien - unfassbar."
Frage: Können Sie sich jetzt eine echte Solokarriere vorstellen? Und ist auch etwas Neues von Radiohead in der Pipeline?
Antwort: "Ich denke schon, dass ich weiterhin auch solo arbeiten will. Ich würde es jetzt nicht tun, wenn es nur eine einmalige Sache wäre. Inzwischen mag ich so sehr, zu singen, Texte zu schreiben, eine eigene Vision zu haben. Zu Radiohead: Nein, im Moment ist da nichts geplant. Jeder in der Band macht derzeit sein eigenes Ding. Thom tourt und macht Platten, Jonny macht Musik, Philip macht auch viel Solozeug, Colin arbeitet mit Fotografie."
Frage: Zu guter Letzt: Warum veröffentlichen Sie "Earth" nicht als Ed O'Brien, unter dem Namen, den viele kennen, sondern als EOB?
Antwort: "Ach, wissen Sie, Ed O'Brien hätte zu sehr nach der Vergangenheit geklungen. Und EOB, das sind halt meine Initialen."
ZUR PERSON: Ed O'Brien, der jetzt als EOB sein erstes Soloalbum veröffentlicht, ist ein englischer Gitarrist und seit Band-Gründung in Oxford Mitglied von Radiohead. 2010 listete ihn das Rock-Fachblatt "Rolling Stone" als Nummer 59 der größten Gitarristen aller Zeiten. Mit Radiohead wurde er 2019 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. O'Brien lebt derzeit mit seiner Ehefrau Susan und zwei Kindern in London.