Carpendale kritisiert Fischer "Schlagerhörer sind nicht dümmer"
Howard Carpendale hat in einem Podcast versucht, das Phänomen Helene Fischer zu erklären – und die Sängerin dabei kritisiert. Ist die Schlagermusik wirklich so schlecht?
Kritik an Helene Fischer ist so alt wie ihr Welterfolg "Atemlos durch die Nacht". Als die Musikerin 2013 mit dem Lied die Charts stürmte, katapultierte sie sich nicht nur auf der Karriereleiter nach oben, auch die Aufmerksamkeit für die in Russland geborene Sängerin war plötzlich riesig – und damit auch die Kritik an ihr.
Ihre akrobatischen Bühnenshows, der moderne Popschlager-Sound, die für damalige Verhältnisse aufsehenerregenden Musikvideos setzten neue Maßstäbe. Doch Kollegen wie Beobachter urteilen teils negativ über Fischer. "Ich bin der Meinung, sie kann nicht singen", ließ etwa Sänger Christian Anders vergangenes Jahr wissen und fügte an: "Sie hat eine wunderbare Stimme, aber ihr Fluch ist ihr Gesangslehrer."
Auch Ralph Siegel, der in seiner langjährigen Karriere diverse Schlagertitel komponierte, sagte in der Vergangenheit: "Ich kenne Helene noch aus ihrer Anfangszeit, finde sie toll. Aber sie hat inzwischen auch ihren eigenen Stil entwickelt, der sehr gefährlich ist." Es sei immer gefährlich, wenn sich Künstler von dem distanzieren, wodurch sie einst Erfolge feierten, so der Musikproduzent.
"Da werde ich verrückt"
Ähnlich klingt auch Howard Carpendale jetzt. Der Musiker war im Podcast "Hotel Matze" zu Gast und sagte dort, der von Helene Fischer etablierte Popschlager mit elektronischen Beats sei für ihn "die unterste Form von Groove, die es überhaupt gibt". "Da werde ich verrückt", klagte Howard Carpendale über das "Bumm bumm bumm", wie er die Musik seiner Kollegen nannte. Diese Entwicklung habe dem deutschen Schlager so geschadet, "dass dieses Genre tot ist. Es ist heute tot", so Carpendale. Mehr dazu lesen Sie hier.
Dabei ist es auch Helene Fischer zu verdanken, dass das Schlagergenre enormen Zulauf erfährt. Laut aktuellsten Erhebungen von Statista gaben im Jahr 2024 rund 13,85 Millionen Personen in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren an, sehr gern deutschen Schlager zu hören. Seit Jahrzehnten ist das Schlagergeschäft lukrativ. In erfolgreichen Fernsehsendungen von Florian Silbereisen bis Giovanni Zarrella wird dem Genre gefrönt, überall in Deutschland sind Konzerte ausverkauft.
Dennoch wird immer wieder die angebliche Schlichtheit der Musik ins Visier genommen. "Das künstlerische Niveau war früher einfach höher als bei den Playback-Stars von heute. Helene Fischer und Florian Silbereisen stehen für diese neue Generation von Showstars, sie sind ja die bekanntesten. Sie liefern sicher das Beste ab, aber alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten", sagte der Moderator Max Schautzer 2020.
"Schlagerhörer sind nicht dümmer"
Ist die Musik also so etwas wie harmloser Ballermann-Sound für die Massen? Der Kommunikationswissenschaftler Dr. Holger Schramm urteilte vergangenes Jahr: "Schlagerhörer sind nicht dümmer, sie sind nicht emotionaler, sie neigen nicht dazu, sich stärker in andere Realitäten zu flüchten, als das Hörer anderer Genres sind." Das sei etwas, das man häufig unterstellt habe, was aber "eben nicht der Fall" sei. Auch aufgrund solcher Irrtümer müsse dem Schlager in der Wissenschaft mehr Beachtung geschenkt werden.
Beachtung, die der Schlagerbranche auch durch die Musik von Helene Fischer zuteil wird. Da ist es offenbar normal, dass jeder eine Meinung zu dem Thema hat – und diese auch, wie Howard Carpendale jetzt, öffentlich kundtut.
- ndr.de: "Schlager gewinnen in der Wissenschaft an Popularität"
- d-nb.info: "Schlager gewinnen in der Wissenschaft an Popularität" (kostenpflichtig)
- srf.ch: "Geschunkel und große Gefühle: Feuer und Flamme im Schlager-Universum mit Beatrice Egli & Co" (Deutsch)
- rp-online.de: "Der deutsche Schlager ist ein Loser"
- hitparade.ch: "Das deutsche Schlagerarchiv 1970–1979"
- mpg.de: "Musikgeschmack – von Individualität keine Spur?"
- transcript-verlag.de: "Ein musikalisches Stück Heimat" (kostenpflichtig)
- publikationen.uni-tuebingen.de: "Schlager und Volkslied"
- gkr.uni-leipzig.de: "Atemlos zum Erfolg: Gender, Frauenbild und Entwicklungstendenzen im deutschen Schlager"
- oeaw.ac.at: "Der erste Schlagerstar: Johann Strauss feiert 200. Geburtstag"