Kultur Ein Stück vom "Heide-Hollywood" soll bleiben
Bendestorf (dpa) - Splitternackt hat hier einst Hildegard Knef ihrem Filmpartner Modell gestanden. "Die Sünderin" sorgte 1951 für viel Wirbel, im niedersächsischen Bendestorf entstand ein Stück bundesdeutscher Kulturgeschichte.
Doch jetzt ist endgültig Schluss mit dem "Heide-Hollywood", die Studios werden dieser Tage abgerissen. Was einmal weißer Rauputz war, ist eher grau geworden. Moos und Efeu klettern an einem schon teilweise eingerissenen Nebengebäude empor. Eine Baggerschaufel bricht durch die Wand, ein Sonnenstrahl fällt durch die Staubwolke in die Halle A1, wo der berühmte Streifen 1950 entstanden ist, der Zweite Weltkrieg war da erst fünf Jahre vorbei.
Bendestorf ist eine gediegene Wohngegend im Speckgürtel Hamburgs. "Wir bauen hier 30 Wohnungen", sagt Projektentwickler Friedrich-Wilhelm Lohmann. "Die Gemeinde hat dem Abriss auch von Halle A1 in einem öffentlichen Bauleitplanverfahren mehrheitlich zugestimmt." Lohmann ist sich der Bedeutung des Ortes durchaus bewusst, seine Tochter Julia ist Kamerafrau, sie hält die noch einige Wochen dauernden Arbeiten in einem Dokumentarfilm fest. Ein Trakt bleibt erhalten, darin ist das Filmmuseum Bendestorf untergebracht.
"Die Würfel sind gefallen. Wir hätten uns gewünscht, dass zumindest Halle A1 erhalten bleibt", sagt Walfried Malleskat. Der 66-Jährige ist ehrenamtlicher Museumsleiter und Vorsitzender des Trägervereins.
"Man wollte provozieren", erklärt Malleskat zur "Sünderin". "Der Film hat viel Staub aufgewirbelt", sagt der begeisterte Kinogänger. Dabei sei es der Kirche damals in erster Linie gar nicht um die entblößte Knef gegangen. "Der Hauptgrund für die Proteste war das tragische Ende mit einem Doppel-Selbstmord und einer dadurch ausgelösten Pseudo-Euthanasie-Debatte", weiß Malleskat. "Die Nacktszene war nicht Auslöser des Skandals." Dann sei es in dem Film von Willi Forst auch noch um Prostitution gegangen. Die Kirchenvertreter hätten in der neu gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle mehr Einfluss gewinnen wollen, so Malleskat. "Das gelang letztlich auch."
Geschadet haben die Proteste dem in Schwarzweiß gedrehten Streifen nicht, im Gegenteil. "Der Film war ein Riesen-Kassen-Erfolg", so Malleskat. Im Januar 1951 kam er in die Kinos, allein in den ersten drei Monaten wollten ihn vier Millionen Menschen sehen. "Über die Jahre sind es mehr als 20 Millionen geworden."
"In Bendestorf spiegelt sich der Neuaufbau der westdeutschen Filmindustrie mit all ihren Problemen", sagt Peter Stettner, Leiter des Filminstituts der Hochschule Hannover. "Dazu gehörten außer der Finanzierung vor allem die inhaltliche Orientierung und die Zerschlagung der alten Strukturen." Bendestorf wurde durch Rolf Meyer, Gründer der Jungen Film-Union (JFU), zu einem wichtigen Standort neben Göttingen, München und Berlin.
"Er kam im April 1945 noch vor Kriegsende nach Bendestorf, mit dem Fahrrad und zwei Palmin-Kartons", so Stettner, Thema seiner Dissertation ist die JFU. Dann besetzen die Briten den Ort. Meyer kann Englisch und wird als politisch unbelastet eingestuft, die Besatzer machen den 34-Jährigen zum kommissarischen Bürgermeister. Der ausgebildete Musiker hatte schon früher Drehbücher geschrieben. Die zuvor so wichtigen Ufa-Studios in Babelsberg lagen jetzt im Osten, das kleine Bendestorf wird zum Mini-Hollywood in der Heide.
"Zugvögel" wird so 1947 zum ersten Film, der in der Westzone zur Aufführung kommt. Meyer ist Autor und Regisseur. Gedreht wird auf einem Lastkahn auf der Weser. Im April 1947 bekommt Meyer die Lizenz für eine eigene Filmgesellschaft, die JFU entsteht. Es ist die Zeit des sogenannten Trümmerfilms, "Menschen in Gottes Hand" mit Paul Dahlke wird auch vor der Kulisse der Kriegsruinen gedreht.
Schon nach der "Csardasfürstin" von 1951 mit dem früheren Ufa-Star Marika Rökk ist die JFU pleite, im November 1951 wird Meyer bei einem Autounfall schwer verletzt. "Produziert wurde auf Teufel komm raus, mit einem undurchsichtigen Finanzierungssystem - das System brach zusammen", sagt Stettner. "Auch die zunehmende Konkurrenz Hollywoods ab 1949 spielt eine wichtige Rolle."
In Bendestorf spielen damalige Leinwandgrößen wie Gustav Fröhlich, Zarah Leander, Heinz Rühmann und Hans Albers. Doch auch die neuen Stars kommen, so Hardy Krüger, Gunnar Möller und Sonja Ziemann, Hauptdarstellerin nicht nur diverser Heimatfilme. "Ruth Leuwerik hat hier ihren ersten Film gedreht", sagt Malleskat.
"Die Hochzeit war von 1947 bis 1951", sagt Stettner. Doch auch danach geht es weiter, auf die JFU folgt die Fink-Film, die nun die Ateliers an andere Produzenten vermietet. "Anthony Perkins hat seinen letzten großen Spielfilm hier gedreht", berichtet Malleskat. Das war "Der Mann von nebenan" (1991), der weinrote Morgenmantel von Perkins ist gleich hinter dem Eingang des Museums zu sehen. "Auch John Lennon war in Bendestorf", so Malleskat. "Er hat hier 1966 für seinen Antikriegsfilm "Wie ich den Krieg gewann" gedreht." In der Halle A3 seien damals Probeaufnahmen entstanden.
Und auch Musiker kommen in die Nordheide. Von 1989 bis 2013 hat das Vox-Klangstudio hier seinen Sitz. Größen wie Peter Maffay und Udo Lindenberg nehmen dort auf, auch Rammstein kommen nach Buchholz.
"Die letzte große Filmproduktion war 2015 ein Spielfilm über Fritz Lang mit Heino Ferch", sagt Malleskat. Dann war Schluss, zwei Jahre später wird das Gelände verkauft. Es bleibt der Gebäudetrakt mit dem Museum, Malleskats ganzer Stolz ist das sogenannte Produzentenkino mit rund 100 Sitzplätzen. Hier wurden früher die Szenen nach dem Dreh begutachtet. Das Museum zeigt aber auch Poster, Autogramm-Postkarten und viel Technik, darunter Kameras, Mischpulte und Schneidetische. Unter einem Glassturz ist ein Original-Drehbuch mit handschriftlichen Notizen von Regisseur Forst zu sehen - das der "Sünderin" natürlich.