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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kino "Anonymus": Roland Emmerich entlarvt Shakespeare
Wenn Roland Emmerich einen neuen Film in die Kinos bringt, dann geht zumindest die Welt unter. Die Katastrophenstreifen wie "2012" oder "The Day After Tomorrow" des gebürtigen Stuttgarters klotzen dabei nur so mit aufwändig inszenierten Spezialeffekten. Echtes Blockbuster-Kino eben, das häufig den Tiefgang vermissen lässt, ohne dass dies allerdings stören würde. Dass sich Emmerich nun mit "Anonymus" an ein waschechtes und auch noch äußerst komplexes Historiendrama heranwagt, verwundert da schon etwas. Aber das Experiment ist gelungen und Emmerich präsentiert einen spannenden Geschichtsthriller, der sich mit der viel diskutierten Frage beschäftigt, ob William Shakespeare wirklich der Autor seiner weltbekannten Werke war.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Edward de Vere (Rhys Ifans), der Graf von Oxford. Er befindet sich in einer mehr als prekären Zwickmühle. Einerseits hat er ungemein großes schriftstellerisches Talent, andererseits käme eine Veröffentlichung seiner aufrührerischen Worte seinem eigenen Todesurteil gleich. Doch zu sehr drängt es den intelligenten, weltgewandten Edelmann, so mancherlei Intrigen- und Ränkespiel am Hofe Königin Elisabeths (Vanessa Redgrave) bekannt zu machen. Als der Graf dem Theaterschauspieler William Shakespeare (Rafe Spall) begegnet, sieht er sofort in dessen jetziger Situation zwei Dinge, die von großem Nutzen für ihn sein könnten: Der nicht übermäßig intelligente Sohn einfacher Leute ist nicht nur mittellos, sondern auch von dem Ehrgeiz zerfressen, zu Lebzeiten ein berühmter Mann zu werden.
Geistiges Dynamit auf Londoner Theaterbühnen
Shakespeare wird der literarische Strohmann des Dichters de Vere. Unter seinem Namen gelangt das geistige Dynamit des Grafen auf die Londoner Bühnen, wo es vom Volk begeistert gefeiert wird. Niemand darf jedoch wissen, dass die Worte von Mord, Intrigen, Inzest oder Habgier aus der Feder jenes Mannes stammen, der als Junge im Haushalt von William Cecil (David Thewlis) aufwuchs, einem der wichtigsten politischen Berater der Königin. Zumal Cecils Sohn Robert (Edward Hogg) de Veres ärgster Feind am intriganten Königshof geworden ist.
Angst vor der Wahrheit
Doch was zunächst wie eine ausgezeichnete Lösung für den Grafen von Oxford aussah, um seine kreative Ader auszuleben, wird für ihn zunehmend zu einem persönlichen Dilemma. Hilflos muss er mit ansehen, wie ein anderer den Ruhm seines Schaffens erntet. So sehr sich de Vere auch wünscht, die geistige Urheberschaft für sein Werk zu offenbaren, so sehr muss er die Konsequenzen fürchten, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Und hinter jeder Tür lauert der Verrat!
Das Drama um die Dramen
Emmerichs Film befasst sich mit einem uralten Streitthema der Literaturhistoriker. Es geht um die geistige Urheberschaft jener berühmten Dramen, Gedichte und Sonette, die William Shakespeares Feder zugeschrieben wurden. In dem Historiendrama "Anonymus" greift der Regisseur die Gegenthese auf und spinnt den Gedanken, dass Shakespeare lediglich als literarischer Strohmann fungierte, zu einer intelligenten, dabei gleichermaßen glaubhaften wie schlüssigen Geschichte. In einem vielschichtigen Thriller um intrigante Ränkespiele bei Hof und blutgierige Machtkämpfe entsteht die politische Schlangengrube des elisabethanischen Zeitalters derart plastisch vor den Augen der Zuschauer, dass sie vom Sog des Erzählflusses mitgerissen werden. Eine wahrhaft brillante Story, die da aufgetischt wird!
Kinostart "Anonymus": 10. November 2011