Film Doku "Eldorado": Ein Appell für mehr Menschlichkeit
Berlin (dpa) - Die Ereignisse und Tragödien der Flüchtlingskrise rund um das Mittelmeer sind allgegenwärtig - und gleichzeitig auch sehr weit weg.
Denn selbst wenn fast täglich neue Nachrichten und Bilder zu sehen sind, so kann man das Thema ebenso gut ausblenden: abschalten oder nicht hinhören, wenn es um die Schicksale der Menschen geht, die längst auch in unserer Nachbarschaft wohnen. Genau gegen diese Lethargie, diese Gleichgültigkeit geht nun der Schweizer Regisseur Markus Imhoof mit seiner bemerkenswerten Dokumentation "Eldorado" an.
Imhoof wählt einen sehr persönlichen Zugang zu dem Thema: Während des Zweiten Weltkrieges, als Imhoof selbst noch ein Junge war, nahm seine Familie das Flüchtlingsmädchen Giovanna aus Italien auf. "Du bist der Grund, warum ich mich auf diese Reise mache", erzählt der 76-Jährige zu Filmbeginn aus dem Off. "Um zu sehen, was ich eigentlich nicht sehen will."
Und so macht sich der Regisseur auf, den Flüchtlingsströmen näher zu kommen. Anders als der chinesische Künstler Ai Weiwei, der in seiner Doku "Human Flow" vor allem die globalen Ausmaße der Krisen zeigte, hebt Imhoof auch immer wieder stärker einzelne Gesichter und deren Geschichten hervor. Dabei zeigt er auch, wie Flüchtlinge aus Afrika auf ein rettendes Schiff irgendwo im Mittelmeer gelangen. Erschöpft, barfuß, teilweise so krank, dass sie sofort ärztlich versorgt werden müssen. Irgendwann sitzen mehr als 1000 dicht gedrängt. Imhoofs Kamera ist dabei so nah dran, dass man förmlich spürt, wie verzweifelt und verängstigt die Menschen sind.
Der Filmemacher, dessen Werk "More than Honey" über das weltweite Bienensterben vor einigen Jahren der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten wurde, zeigt dabei auch die Routine bei diesen Einsätzen. Wie die Fingerabdrücke der Männer und Frauen wie am Fließband genommen werden, wie die Crew jeden Tag mitten in der Nacht noch an Deck steht und neue Flüchtlinge aufnimmt.
Imhoof folgt außerdem Flüchtlingen, die es nach Europa geschafft haben. Sie landen in italienischen Aufnahmelagern und später, wenn ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, in nahe gelegenen Ghettos - wo wieder ganz eigene Gesetze gelten. Hier hebt sich Imhoofs Film dann auch von anderen Werken zu diesem Thema ab: Er ist dort, wo die Fernsehkameras kaum mehr filmen, dort, wo unsere Gesellschaften zu selten hinschauen.
Es sind erschreckende Bilder von unsichtbaren Menschen mitten in der Gesellschaft. Die Mafia zwingt die Frauen zur Prostitution, während die Männer illegal für Minimallohn auf den umliegenden Feldern arbeiten. Die boomende Tomatenernte laufe wegen der Ausbeutung der Afrikaner so gut, kommentiert Imhoof die eindringlichen Szenen und offenbart zugleich den Irrsinn unserer Konsumgesellschaft: Da kommen Afrikaner nach Europa, wo sie Tomaten ernten, die dann in Dosen nach Afrika geschickt werden, wo sie nicht selten preiswerter als die Waren der lokalen Bauern sind - denen so wiederum die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz genommen wird.
Spannend sind bei all dem die Parallelen und Unterschiede, die der Regisseur zwischen der heutigen Situation und der Lage Europas in den 1940er Jahren aufzeigt. "Eldorado" thematisiert, wie südeuropäische Staaten heute mit der Flüchtlingsproblematik größtenteils alleine gelassen werden. Ein paar Flüchtlinge aber haben es in die Schweiz geschafft und einen Asylantrag gestellt. Imhoof besucht die, die zumindest vorerst in dem Land bleiben dürfen - und wie sie dort in Luftschutzbunkern untergebracht sind.
Der Fokus der Dokumentation liegt nicht auf einem einzelnen Schicksal. Die Zuschauer bleiben so zwar eher Beobachter, und dennoch gelingt es Imhoof, das Ausmaß von Schrecken und Leid eindringlich und auf sehr persönliche Weise zu verdeutlichen. Darüber hinaus aber - und das ist die eigentliche Stärke des Films - zeigt "Eldorado" mit einfachen Mitteln nicht nur komplexe Zusammenhänge auf, sondern wird auf erschütternde Weise auch zu einem Appell für mehr Menschlichkeit und Mitgefühl.
Eldorado, Schweiz, Deutschland 2018, 95 Min., FSK ab 6, von Markus Imhoof