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Corona-Pandemie: Wird die Tour de France zum Covid-19-Superspreader?


Radrennen in der Pandemie
Wird die Tour de France zum Corona-Superspreader?

Von dpa, t-online, ak

Aktualisiert am 28.08.2020Lesedauer: 4 Min.
Thibaut Pinot: Der französische Radprofi geht für das Team Groupama-FDJ an den Start.Vergrößern des Bildes
Thibaut Pinot: Der französische Radprofi geht für das Team Groupama-FDJ an den Start. (Quelle: Belga/imago-images-bilder)

Am Samstag beginnt die Tour de France – als einziges Sport-Großereignis während der Corona-Pandemie mit Zuschauern. Schon das verstehen viele Beobachter nicht. Nun steigen auch noch die Fallzahlen massiv an. Nicht nur deshalb ist fraglich, ob das Rennen beendet wird.

Der Lärm kam aus den Boxen, die wenigen Gäste auf der viel zu groß wirkenden Place Masséna wurden mit Plastik-Klatschhänden ausgestattet. Die große Fete als Ouvertüre zur 107. Tour de France fand nur in kleinem Rahmen statt. Nachdem im Vorjahr mehr als 75.000 Fans in Brüssel die Fahrer und Rad-Legende Eddy Merckx bejubelten, verloren sich diesmal weniger als die erlaubten 1.000 Zuschauer vor der großen Bühne in Nizza.

Aus gutem Grund. Die Region an der Côte d'Azur ist seit Donnerstag wegen der stark ansteigenden Corona-Infektionszahlen zur "Roten Zone" erklärt worden – wie 20 weitere Départements der Grande Nation auch. Maskenpflicht ist auch im Freien oberstes Gebot, entsprechend präsentierte sich Deutschlands Hoffnungsträger Emanuel Buchmann mit einem schicken Mundschutz im Team-Outfit und der Aufschrift: "Bonjour Le Tour".

Über 6.000 neue Corona-Fälle an einem Tag

Die 176 Fahrer wurden auf eine Reise ins Ungewisse geschickt. Ob die Tour tatsächlich nach 3484,2 Kilometern die Hauptstadt Paris – für die es laut Robert Koch-Institut übrigens auch eine Reisewarnung gibt – erreichen wird, ist mehr als fraglich. Die Infektionszahlen steigen seit Tagen rapide an, das französische Gesundheitsministerium vermeldete nun erstmals über 6.000 positive Fälle an einem Tag.

Die Frage ist: Sollte man das Rennen bei diesen Begebenheiten überhaupt starten? Darüber wird rund um die Tour heftig diskutiert. Befürworter heben das umfangreiche Hygienekonzept der Veranstalter hervor, Kritiker befürchten, dass sich das Virus im Zuge des Großereignisses wieder massiv ausbreiten werde.

Wird die Tour zum "Superspreading-Event"?

Darum sorgt sich auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. Der Forscher der Universität Hamburg weist besonders auf ein erhöhtes Infektionsrisiko durch die Ansammlung größerer Menschengruppen hin, was auf die Hunderttausenden Zuschauer an der Strecke mehr als zutrifft. "Wir wissen, dass sich das Corona-Virus über Tröpfchen verbreitet. Wenn wir singen, jubeln, schreien, stoßen wir diese Tröpfchen besonders stark und besonders weit aus. Andere Menschen können diese Tröpfchen dann einatmen und sich infizieren", erklärte Schmidt-Chanasit gegenüber der Deutschen Welle. Er warnt davor, dass Abstandsregeln und Maskenpflicht missachtet werden: "Das könnte ein Superspreading-Event auslösen."

Und das Virus macht auch keinen Umweg um die Teams. Am Donnerstag gab es beim belgischen Rennstall Lotto-Soudal zwei "nicht-negative" Fälle, was auch eine schöne Umschreibung ist. Die zwei Betreuer wurden wie ihre zwei Zimmerkollegen nach Hause geschickt. Es bleibt zu befürchten, dass es nicht die letzten Fälle sind.

Degenkolb-Team schickt Betreuer nach Hause

Das Team um die beiden deutschen Lotto-Fahrer John Degenkolb und Roger Kluge hatte nichts zu befürchten. Ein Ausschluss stand nicht zur Debatte, auch, weil kurzfristig das Reglement abgemildert wurde. Nur noch bei mindestens zwei positiven Corona-Tests von Fahrern einer Mannschaft in einem Zeitraum von sieben Tagen wird der gesamte Rennstall ausgeschlossen. Damit zählt nicht mehr das direkte Umfeld wie Physiotherapeuten, Busfahrer oder Team-Offizielle dazu, wie die französische Sportzeitung "L'Equipe" berichtete. Der Veranstalter hat offenbar eingesehen, dass sonst womöglich nur noch eine kleine Gruppe von Fahrern das Rennen zu Ende fahren könnte.

Ein Abbruch schwebt ohnehin "wie ein Damoklesschwert über uns", sagte Tony Martin und befürchtet, "dass jeder Tag der letzte sein kann". Dem Routinier, der zum zwölften Mal am Grand Départ teilnimmt, ist die Lage bewusst. "Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag", gibt der Radprofi zu bedenken und kann nicht verstehen, dass Zuschauer erlaubt sind: "Lieber eine Tour ohne Zuschauer als gar keine Tour."

Verschärfte Vorsichtsmaßnahmen

Zumindest für die ersten beiden Tage wurden die Maßnahmen verschärft. Statt der maximal 5.000 Zuschauer im Start- und Zielbereich sollen nur noch einige Dutzend Personen erlaubt sein. Also ein Tour-Start "fast hinter verschlossenen Türen", wie es Bernard Gonzalez als Präfekt der Alpes-Maritimes-Region ankündigte. "Auch entlang der Rennstrecke sollte sichergestellt sein, dass die Fangruppen sich nicht zu sehr ballen", forderte Virologe Schmidt-Chanasit bei der Deutschen Welle. Wie realistisch das ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Immerhin wurde der Zugang zu den Bergen stark limitiert. Präfekt Gonzalez sagte dazu: "Wenn ich den Zuschauern einen Rat geben kann: Schauen Sie sich die Anstiege im Fernsehen an."

So muss auch Tour-Chef Christian Prudhomme allmählich von seiner Maxime abrücken, die stets lautete: "Eine Tour hinter verschlossenen Türen macht keinen Sinn." Ein Szenario, was Experten wie Pharmakologe Fritz Sörgel als "unverantwortlich" bezeichnet haben. Für die Radteams ist die Tour indes fast schon überlebenswichtig, werden doch 70 Prozent des Jahresetats dort generiert.

Buchmanns großes Ziel

Sportlich steht aus deutscher Sicht Buchmann im Blickpunkt. Für Teamchef Ralph Denk wäre eine vordere Platzierung des Kletterspezialisten nach dem Sturz bei der Dauphiné-Rundfahrt wie "ein Sechser im Lotto", doch der Vorjahresvierte will sich von seinen Zielen noch nicht verabschieden: "Mein Ziel ist nach wie vor das Podium. Aber es gibt ein paar Fragezeichen."

Glaubt man den Experten, wird der Toursieg aber unter Vorjahressieger Egan Bernal aus Kolumbien und Vuelta-Champion Primoz Roglic ausgemacht. Der Titelverteidiger hat bereits die Favoritenrolle dem Ex-Skispringer aus Slowenien zugeschoben. "Er war bei den letzten Rennen der Stärkste. Er ist geflogen", sagt Bernal und verweist auch auf dessen starkes Jumbo-Visma-Team, dem auch Tony Martin angehört. "Wir sind uns der Sache nicht zu sicher. Aber man kann auch nicht tiefstapeln und sagen: 'Ineos ist der Topfavorit.' Die Rolle haben wir uns in den letzten Wochen ganz klar erfahren", sagt Martin.

Verwendete Quellen
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