Chancen stehen nicht schlecht Voigt nimmt den Stundenweltrekord ins Visier
Im Peloton war er jahrelang der mutige Ausreißerkönig mit der großen Klappe. Jetzt scheint Jens Voigt auf seine alten Rennfahrer-Tage noch fast zum Philosophen zu werden. "Es gibt keine Taktik, kein Versteckspiel - nur meinen alten Freund, den Schmerz", twitterte der 43-jährige Radprofi, der am Donnerstag im Velodrom von Grenchen den Stunden-Weltrekord von Ondrej Sosenka (49,700 Kilometer) angreifen wird.
Einer der Vorgänger des Tschechen, der Brite Chris Boardman, wünschte Voigt für sein seit April geplantes - und seitdem geheim gehaltenes - Unternehmen in der Schweiz viel Glück und wunderte sich: "Du bist der einzige, der an dieser Prüfung Freude zu haben scheint."
"Es ist etwas für die Ewigkeit. Und ein ruhiger Typ war ich noch nie", sagte Voigt zum Onlineportal "watson". Trotz des hohen Schwierigkeitsgrades des Stundenfahrens, findet er "es komisch, dass es noch niemand versucht hat:"
Auch noch bei der Weltmeisterschaft dabei?
Sich quälen - das kann Voigt, der vor drei Wochen bei der Pro Challenge in Colorado dem aktiven Profiradsport nach 18 Jahren eigentlich für immer "Ade" gesagt hatte. Jetzt will er in Grenchen noch einmal nachlegen. Und wer sagt denn, dass ein frisch gekürter Weltrekordler Voigt drei Tage später nicht noch im Trek-Zeitfahr-Team bei der Weltmeisterschaft in Ponferrada/Spanien am Start steht?
"Er könnte mich ersetzen. Das würde doch auch ins Trek-PR-Konzept passen", sagte sein Teamkollege Danilo Hondo, den ein Bruch des Radiusköpfchens im Handgelenk schachmatt gesetzt hat. Bei Voigt scheint nichts ausgeschlossen, er ist flexibel.
Ehrgeiz und Material sprechen für Voigt
Die Aussichten, dass der eigensinnige Oldie den Stundenweltrekord knackt, stehen nicht einmal schlecht. Zumindest das Material und sein Ehrgeiz sprechen für ihn. Im Gegensatz zu Sosenka vor neun Jahren steht Voigt das aktuellste Equipement zu Verfügung. 2005 hatte der Tscheche wegen der inzwischen revidierten Restriktionen des Weltverbandes UCI mit antiquiertem Material aus Eddy-Merckx-Zeiten antreten müssen.
In der Vorwoche präsentierte der zweifache Träger des Gelben Trikots bei der Tour de France stolz seine von seinem Ausstatter entwickelte Zeitfahr-Maschine in schwarz-weiß. Wahrscheinlich wird der Wahlberliner, der seit drei Wochen zwischen Grenchen und der Hauptstadt pendelt, den Kampf gegen die Uhr und seinen inneren Schweinehund mit einer 54:14 Übersetzung (54er Kettenblatt vorne/14er Ritzel hinten) antreten.
Bremsen wurden entfernt
Das "Speed-Concept", wohl das schnellste Zeitfahr-Rad wurde zudem auf die Bedürfnisse für den Weltrekord-Versuch zugeschnitten. Wie "watson" schreibt, wurden unter anderem die Bremsen entfernt und Scheiben-Laufräder verwendet, um das Rad windschnittiger zu gestalten.
Voigt und sein Team haben schon im Juni mit Tests begonnen. Besonders an der für die Aerodynamik wichtigen Sitzposition hatte Voigt wochenlang gefeilt. Trotzdem glaubt er, dass es unmöglich ist, die perfekte Position über den langen Zeitraum aufrecht zu erhalten. "Immerhin sieht es heute nicht schlecht aus für einen 43-jährigen Kerl von der Strasse", sagte Voigt.
"Werde leiden wie nie zuvor"
"Gemessen an seinen Fähigkeiten liegt der Rekord in Reichweite", äußerte sich Trek-Teamsprecher Tim Vanderjeugd zurückhaltend. Auch Voigt weiß, dass er alles aus sich heraus holen muss: "Beim Stundenweltrekord-Versuch werde ich leiden wie nie zuvor."
Der dreifache Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin, der den Rekord im kommenden oder im Olympiajahr angreifen will, erwartet von Voigt "eine belastbare Vorgabe". Er tut den Versuch des nimmermüden Voigt nicht als Werbegag ab. Manch anderer Radprofi denkt anders darüber.
Eurosport überträgt live
Wer sich den Weltrekord anschauen will, kann dies bei Eurosport tun. Der Sender zeigt das Rennen gegen die Uhr heute ab 19:00 Uhr live.