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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sender übertragen Heim-EM nicht Torpedieren ARD und ZDF ein Basketball-Sommermärchen?
Deutschlands Basketballer eilen bei der Heim-EM von Sieg zu Sieg. Eine Euphoriewelle wird jedoch bereits durch den Verzicht von ARD und ZDF, live zu berichten, ausgebremst. Ein Experte zeigt sich ohnehin skeptisch.
Die Lanxess-Arena tobte. 109:107 schlugen Deutschlands Basketballer Litauen nach doppelter Verlängerung. Der Nervenkrimi von Köln bedeutete den dritten Sieg im dritten Spiel bei der Europameisterschaft sowie das vorzeitige Erreichen des Achtelfinales, das am 10. September in Berlin ausgetragen wird (ab 18 Uhr im t-online-Liveticker).
Das Endspiel in der Bundeshauptstadt wirkt für die Auswahl um die NBA-Stars Dennis Schröder, Daniel Theis und Franz Wagner als immer realistischeres Ziel. Viel wichtiger dürfte ihnen und dem Deutschen Basketball-Bund (DBB) jedoch wohl sein, ihren Sport aus der muffigen Nische, in der er sein Dasein in Deutschland fristet, herauszuholen.
DBB-Präsident wettert gegen Öffentlich-Rechtliche: "Ignorant"
"Das ist natürlich die große Hoffnung, die wir in Deutschland haben", sagt André "Dré" Voigt. Der Journalist und frühere Zweitligaspieler ist Deutschlands wohl profiliertester Basketballexperte. In seinem neuen Buch "Love This Game" beschreibt er eindrucksvoll, wie er dank einer TV-Übertragung im Alter von 14 Jahren zum Basketball gekommen ist. Ein Szenario, das sich bei möglichst vielen Teenagern in diesem Jahr während der Heim-EM wiederholen soll. Doch da gibt es einen Haken.
Die deutschen Vorrundenpartien in Köln werden nicht im linearen Fernsehen übertragen. Sowohl Privatsender als auch die Öffentlich-Rechtlichen ARD und ZDF verzichten im Gegensatz zu Großturnieren der Handball- und Fußball-Nationalmannschaften auf ein ausgiebiges Liveprogramm. Das bringt vor allem DBB-Präsident Ingo Weiß in Rage. "Dann muss ich sagen, ich finde es schon ziemlich ignorant und enttäuschend, dass die Öffentlich-Rechtlichen nicht ihrem Auftrag nachkommen", wetterte Deutschlands Basketball-Boss am Rande der Partie gegen Litauen (mehr dazu lesen Sie hier).
Welche Euphoriewelle eine solche Berichterstattung für Randsportarten losbrechen kann, wurde zuletzt etwa während der European Championships in München deutlich. Erstickt das Fernbleiben der altbekannten TV-Kanäle das Aufkommen eines möglichen Basketball-Spätsommermärchens also bereits im Keim? Experte Voigt widerspricht einer solchen These.
"Ich bin der Meinung, dass die Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche auf Basketball aufmerksam zu machen, das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei Weitem übersteigen", erklärt der 49-Jährige, der beim Streamingsender DAZN Partien der nordamerikanischen Profiliga NBA als Co-Kommentator begleitet. Er kenne keinen Jugendlichen, der sage, "'Oh, es ist 20 Uhr, ich muss die 'Tagesschau' gucken.'" Das Angebot des EM-Rechteinhabers MagentaSport entspreche "total dem Medienkonsum heutiger Jugendlicher. Die Partien laufen frei empfangbar im Internet, zudem werden die Highlightclips massenhaft in sozialen Netzwerken geteilt."
Highlightclips für die Jugend – aber was ist mit den Älteren?
Über kurze, wenige Sekunden dauernde, spektakulär zusammengeschnittene Videos eine junge Zielgruppe an einen Sport binden, dessen Partien von zahlreichen Pausen und Auszeiten geprägt ist? Eine Strategie, definitiv, aber auch eine, die eine hohe Enttäuschungs- beziehungsweise Frustrationsgefahr bei den potenziellen neuen Fans birgt. Und überhaupt: Was ist mit älteren Semestern? Was ist mit Menschen, die nicht mit zwei Klicks eine Smart-TV-App herunterladen können – etwa Bürgerinnen und Bürger, die keine internetfähigen Fernseh- oder andere Endgeräte besitzen? Die jedoch vom Nachbarn über den Zaun gerufen bekommen, was für eine tolle Leistung "unsere Jungs aufs Parkett zaubern", da "müsst ihr einschalten!" Ein gewissermaßen generationsübergreifend barrierefreier Zugang zur Basketball-EM sieht anders aus.
Ohnehin sagt das Einschlagen neuer Wege in der Liveberichterstattung viel über die fehlende Aufmerksamkeit für den Basketball in Deutschland aus. Zwar mögen die beiden deutschen Euroleague-Vertreter Alba Berlin und Bayern München regelmäßig eine hohe fünfstellige Anzahl an Zuschauern in ihren Arenen begrüßen und die NBA eine hartgesottene Gemeinschaft in Deutschland aufgebaut haben, doch an der Wurzel gibt der Sport ein erschreckendes Bild ab.
Wenige Vereinsangebote, stetiger Mitgliederschwund (der DBB ist nur auf Platz 18 der mitgliederstärksten Sportverbände in Deutschland), fehlende Freiplätze – es ist ein tristes Bild, mit dem sich Basketballexperte Voigt jedoch mehr oder minder abgefunden hat. "Egal, ob du in Serbien, Spanien, Kanada unterwegs bist – dort hast du in jeder Nachbarschaft Plätze, auf denen du ohne Zugangsbeschränkung und kostenlos Körbe werfen kannst. An diesem Gratisangebot unter freiem Himmel mangelt es Deutschland extrem", unterstreicht Voigt das aus seiner Sicht essenzielle Problem. "Selbst in Großstädten – wie etwa Berlin – gibt es ganze Stadtteile, in denen man nicht draußen Basketball spielen kann."
Voigt: Schulen müssen Basketball mehr in den Fokus stellen
Ein möglicher EM-Coup der DBB-Nationalmannschaft könnte zwar zu einer kurzfristigen, explosiven Nachfrage nach Basketball-Angeboten führen, fortlaufend neue Generationen an den Sport binden würde dies jedoch wohl nicht. Der nachhaltige Weg, Basketball in der Gesellschaft zu verankern ist der Weg über die Schulen, ist sich Voigt sicher. Er greift zu einer Anekdote:
"Donnie Nelson, der General Manager der Dallas Mavericks, hat mir den Basketball-Boom in China mal wie folgt erklärt: Die Entscheidung, einen Schulhof mit zehn Basketballkörben statt eines Fußballplatzes zu bestücken, ist auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein Fußballplatz nimmt viel Platz, viel Pflege in Anspruch, zudem sind damit maximal 22 Leute beschäftigt. Zehn Basketballkörbe versprechen dir die Beschäftigung von bis zu 60 Kindern – wenn sie drei gegen drei auf einen Korb spielen –, bei viel weniger Aufwand. Dieser Vorteil wurde in Deutschland jedoch bislang nicht erkannt."
Die Schulen sollten Freiplätze als sogenannten "dritten Ort", als Treffpunkt für Kinder und Jugendliche außerhalb des Schulalltags und abseits des familiären Umfelds begreifen und fördern. "Warum bieten wir den Kindern also nicht dort, auf Schulgeländen, die Möglichkeit an, sich beim Basketball auszuprobieren? Und wenn es ihnen gefällt, sollten sie auch bis 20 Uhr dribbeln dürfen, ohne Angst haben zu müssen, von Anwohnern mit Schuhen beworfen zu werden", plädiert Voigt weiter. Von einer solchen Debatte, so viel steht fest, würde der Basketball in Deutschland sicherlich mehr profitieren als von einer über fehlende Liveübertragungen im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen.
- Eigene Recherche und Beobachtungen
- Gespräch mit André "Dré" Voigt
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa