Früherer Weltrekordler Der Geher aus dem Nichts: Olympiasieger Kannenberg ist tot
Frankfurt/Main (dpa) - Die Geschichte des Olympiasieges von Geher Bernd Kannenberg gehört zu den ungewöhnlichsten des Weltsports. Erst 1969 war er durch einen Militärmarsch zum Gehsport gekommen.
Nur drei Jahre später gewann er im Alter von 30 Jahren bei den Spielen 1972 in München Gold über 50 Kilometer in 3:56:11,6 Stunden - und damit erstmals mit einer Zeit unter vier Stunden. Kannenberg, neben Christoph Höhne (1968/50 km), Peter Frenkel (1972/20 km) und Hartwig Gauder (1980/50 km) einer von vier deutschen Geher-Olympiasiegern, ist im Alter von 78 Jahren gestorben.
Der in Ostpreußen geborene Leichtathlet hatte 1970 erstmals an deutschen Meisterschaften teilgenommen, wurde 1971 jeweils Dritter über 20 und 50 Kilometer und 1972 dreifacher deutscher Meister - und gehörte schließlich zu den Hauptdarstellern des "Goldenen Sonntags" der bundesdeutschen Athleten bei den Sommerspielen in München: Am 3. September 1972 gewannen neben Kannenberg auch Hildegard Falck über 800 Meter und Klaus Wolfermann im Speerwurf Gold sowie Heide Rosendahl im Fünfkampf Silber.
Die größte Überraschung war aber der Triumph des Gehers, der quasi aus dem Nichts kam, zumal er drei Tage vorher im 20-Kilometer- Wettbewerb aufgegeben hatte und damit alles andere als ein Favorit für den Geher-"Marathon" war. Lange sah es auch nicht so aus, als könne Kannenberg Wenjamin Soldatenko aus der Sowjetunion noch abhängen. Doch sein Ausreißversuch bei Kilometer 38 wurde im Olympiastadion unter dem Jubel der Zuschauer mit Gold gekrönt.
In seiner relativ kurzen Laufbahn von 1970 bis 1976 dominierte er das nationale Wettkampf-Geschehen und konnte dabei insgesamt zehn deutsche Meistertitel über 50 Kilometer, 20 Kilometer sowie im 10 000-Meter-Bahngehen gewinnen. Kannenberg startete zunächst für die TSG Füssen, danach für den 1. FC Nürnberg und den LAC Quelle Fürth.
Nach dem Olympiasieg gewann er bei der EM 1974 in Rom noch Silber. Zudem stellte Kannenberg in seiner Karriere 19 deutsche Rekorde sowie zehn Weltrekorde auf. Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal startete er über 20 Kilometer, musste aber wegen starker Schmerzen aufgeben. Leisten- und Hüftprobleme als Folge des intensiven Trainings von bis zu sechs Stunden täglich begleiteten und belasteten ihn sein Leben lang. So musste Kannenberg auch das Amt des Bundestrainers deshalb nach einigen Jahren wieder aufgeben.
Der Mann, der die leichtathletische Randdisziplin in seiner Zeit in Deutschland populärer machte, hatte schon vor seiner Sportkarriere ein bewegtes Leben. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs floh Kannenberg mit seiner Großmutter und einer Cousine aus seiner Geburtsstadt Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, vor der Sowjet-Armee.
"Zusammen mit seiner Großmutter und einer Cousine war er an Bord der "Wilhelm Gustloff", als das als Flüchtlingstransporter eingesetzte Schiff von russischen U-Booten torpediert wurde und schnell sank", berichtete Stiefsohn Guido Schröder in einer Mitteilung zum Tod Kannenbergs. Die Großmutter sei bei dem Angriff gestorben, Bernd Kannenberg und seine Cousine zählten zu den wenigen Überlebenden und fanden in Thüringen eine neue Heimat. 1955 emigrierte er mit der Familie von Ost- nach Westdeutschland.
"Sport war immer ein zentraler Bestandteil im Leben von Bernd Kannenberg", sagte Schröder. "Erst in den letzten Jahren war er krankheitsbedingt gezwungen, auf das Training mit dem Rennrad und die vielen langen Spaziergänge mit seinem Hund zu verzichten."