200 m Sprint Gold für "Tante Irmie" und dreimal Platz sechs
Dubai (dpa) - Nach ihrem Gold-Lauf über 200 Meter war Irmgard Bensusan wieder ein wenig das "clumsy girl". Als "tollpatschiges Mädchen" bezeichnet sich die 28-Jährige gerne selbst.
"Eigentlich bin ich sehr zielstrebig, aber ich habe immer wieder solche Momente", sagt sie lachend und mit der Deutschlandfahne um die Schultern. Im Ziel von Dubai war der Weltrekordlerin gar nicht bewusst, dass sie soeben den Titel und damit die erste deutsche Medaille bei der Para-WM der Leichtathleten in Dubai gewonnen hatte.
Es blieb am Samstag die einzige DBS-Medaille, hinzu kamen drei sechste Plätze. Am Sonntag gehen in Niko Kappel (Sindelfingen) im Kugelstoßen und Leon Schäfer (Leverkusen) im Weitsprung zwei weitere Gold-Kandidaten ins Rennen.
"Offenbar bin ich es zu sehr gewohnt, Silber zu gewinnen", sagt Bensusan, die zuvor bei Welt- und Europameisterschaften sowie Paralympics dreimal Erste und elfmal Zweite geworden war. Und lacht wieder. Man merkt, dass Irmgard Bensuan angekommen ist. Nach durchaus schweren Jahren. Der Sprint ist ihre Leidenschaft. Mit drei steht sie in ihrer Heimat Pretoria auf der Tartanbahn. Sie wird südafrikanische Meisterin im Hürdensprint. Mit 18 bleibt sie bei den nationalen Meisterschaften an einer Hürde hängen. "Ich habe mein Bein angeschaut und konnte nur noch schreien", sagt sie. Der Diagnose lautet "drop foot", eine Nervenschädigung. Das rechte Bein ist teilweise gelähmt.
Vereinskollegin Maria Tietze, der nach einem Motorradunfall das linke Bein amputiert worden war, war nach Rang sechs beim WM-Debüt in 28,86 Sekunden auch zufrieden. "Damit habe ich ein Eis gewonnen", sagte die 30-Jährige, die mit Kugel-Paralympicssiegerin Birgit Kober gewettet hatte. Ebenfalls Sechste wurden am Abend Nele Moos (17/Leverkusen) mit 4,49 Metern im Weitsprung und Nicole Nicoleitzik (24/Püttlingen) nach 31,71 Sekunden über 200 Meter.
Bensusan will weiterlaufen, doch in Südafrika wird sie nicht für den Para-Sport klassifiziert. Ihre in Hannover geborene Mutter stellt Kontakte nach Leverkusen her. Dort wird sie - von derselben Prüferin - klassifiziert. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, zieht sie dorthin. Inzwischen spricht "Tante Irmie" die Sprache, arbeitet bei einem Wirtschaftsprüfer und ist im Team integriert und beliebt.
"Tante Irmie", so nennt sie sich selbst. "In Südafrika wird man Tante oder Onkel genannt, wenn man etwa zehn Jahre älter ist", sagt sie: "Den jungen Athleten stelle ich mich immer so vor. Und irgendwann wurde es mein Name." Mit dem sie leben kann. "Tante ist super. Sie würde einem Alkohol kaufen, aber auch schimpfen."
Bei Heimatbesuchen wird sie von den anderen inzwischen oft als "zu deutsch" ermahnt. "Ein paar deutsche Eigenschaften sind mir wohl vererbt", sagt sie: "Anderes ist hinzugekommen. Mein Herz schlägt für beide Länder. Ich glaube, ich habe das Beste von beidem."
Bleibt die Frage, ob ihr gelähmter Fuß ein Vor- oder Nachteil ist. Manche Konkurrenten beäugen sie kritisch. "Aber sie hat eindeutig einen Nachteil" stellt der deutsche Teammanager Jörg Frischmann klar. "Die anderen haben Karbonfedern. Die Energie, die reinkommt, kommt auch wieder raus. Das Hilfsmittel, das Irmie hat, dient nur dazu, dass der Fuß stabil ist und nicht nach vorne überschlägt." So sieht es auch Bensusan selbst. "Die anderen sehen immer nur, dass ich zwei Beine habe", sagt sie: "Aber ich habe ein Bein ohne Muskulatur. Das hängt nur da. Ohne Schiene würde ich umfallen."
Weil das Bein so da hängt, nennt sie es übrigens "Schluffi", das gesunde heißt einfach "links" oder "Stabi". "Das macht es im Training leichter", erzählt sie: "Wenn ich mit dem rechten Bein etwas falsch mache, ruft der Trainer nur: 'Zieh Schluffi hoch'. Und wenn etwas nicht klappt, war eben Schluffi schuld."
Doch auch mit "Schluffi" und einer gewissen Tollpatschigkeit holte "Tante Irmie" in Dubai Gold.