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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geht der Zweitligist jetzt pleite? Die Folgen für Schalke nach dem Gazprom-Aus
Der FC Schalke 04 hat dem Energieriesen Gazprom gekündigt. Damit reagieren die Knappen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Eine Entscheidung, die dem Klub mittelfristig stark zugute kommen dürfte.
Es ist ein historischer Tag für den FC Gelsenkirchen-Schalke 1904. An diesem 28. Februar 2022 endet die 15-jährige Partnerschaft mit dem russischen Staatskonzern Gazprom.
Es ist ein bemerkenswerter Schritt, den die Knappen gehen. Denn der alles andere als auf Rosen gebettete, in die zweite Liga abgestürzte Traditionsklub kündigt den extrem lukrativen, bis 2025 datierten Vertrag mit seinem Hauptsponsor aus Protest gegen Russlands Krieg gegen die Ukraine auf – und begibt sich damit vorerst auf finanziell dünnes Eis.
Trotz der nun ausbleibenden gut 4,5 Millionen Euro, die noch im Laufe der aktuellen Spielzeit von Gazprom geflossen wären, betont Schalke in einer kurzen Pressemitteilung, bleibe "die vollständige finanzielle Handlungsfähigkeit des Vereins (...) von dieser Entscheidung unberührt." Sorgen um eine nun drohende Zahlungsunfähigkeit, so das Signal dieser Aussage, seien haltlos.
Schalkes Lage darf nicht nur finanziell betrachtet werden
Dennoch dürfte klar sein, dass Schalke in seiner aktuellen sportlichen Situation keinen anderen Partner finden wird, der ihn monetär auch nur ansatzweise so stark unterstützen wird, wie es Gazprom zuletzt getan hat. Zum Vergleich: der Hamburger SV kassiert von seinem Trikotsponsor, dem Nahrungsergänzungsmittel-Konzern Orthomol, gerade einmal zwei Millionen Euro pro Saison.
Bei der Betrachtung der Schalker Lage darf jedoch nicht der Fehler gemacht werden, die Situation auf die kurzfristigen finanziellen Folgen des Gazprom-Aus herunterzubrechen. Vielmehr dürfte die Abkehr von Gazprom einen mittelfristigen Aufschwung für das gesamte, durch die Partnerschaft mit dem kontroversen Energieriesen stark beschädigte Schalker Vereinsbild mit sich bringen.
Was das bedeuten kann, sieht man bereits am heutigen 28. Februar. Die Server des Schalker Online-Shops sind unter den Massen der Fans zusammengebrochen, die sich eines der historischen Trikots vom vergangenen Wochenende sichern wollten. Beim Auswärtsspiel gegen den Karlsruher SC (1:1) trugen die Profis statt des Schriftzugs "Gazprom" schlicht "Schalke 04" auf der Trikotbrust spazieren.
Tönnies bietet Hilfe an – ein Kritiker hat jedoch sein altes Amt inne
Diese kurzfristige, mehr schlecht als recht ausgeführte, Klebefolienlösung wird vom Klub für 69 Euro angeboten. Kaum auszudenken, was für einen Ansturm ein neuer permanenter Sponsor auslösen würde – insbesondere, wenn es sich dabei – wie in Schalker Insiderkreisen gemunkelt wird – um ein regionales, dem Verein tief verbundenes Unternehmen handelt.
Dass es sich dabei um die Tönnies Holding, dem Unternehmen von "Kotelett-Kaiser" und Ex-Schalke-Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies, handelt, dürfte nahezu ausgeschlossen sein – auch wenn der langjährige Klubpatron dieser Tage einmal mehr in selbstlosem Duktus seine Hilfe angeboten hat. Tönnies höchstselbst hatte einst in direkten Verhandlungen im Kreml den Deal zwischen Schalke und Gazprom eingefädelt.
Zudem ist mit Axel Hefer, Gründer und Geschäftsführer der Online-Reisesuchmaschine Trivago, ein bekannter Tönnies-Kritiker nun als Aufsichtsratsvorsitzender in dem Amt, das Tönnies nach dem massiven Corona-Ausbruch in seinem Schlachtbetrieb und als Spätfolge seines Rassismus-Eklats 2020 abtrat.
Seit seiner Wahl an die Spitze des Schalker Kontrollgremiums 2021 arbeitet Hefer kontinuierlich und lautlos am Abbau der Tönnies-Altlasten und einer modernen Neuausrichtung der Schalker Konzernstrukturen. Die einseitige Kündigung der Partnerschaft mit Gazprom dürfte für ihn auch ein entscheidender Etappenerfolg auf dem Weg zur Beendigung dieser Mammutaufgabe sein.
BVB-Boss Watzke kündigt Solidaritätszahlung an
Es bleibt dennoch die Frage, wie es kurzfristig mit dem S04 weitergeht. Das realistischste Szenario ist, dass die Teams des Gelsenkirchener Fußballklubs auch an diesem Wochenende mit der Behilfsfolie auf der Brust auflaufen werden, etwa die Zweitligaprofis im Heimspiel gegen Hansa Rostock (Samstag, ab 13.30 Uhr im t-online-Liveticker). Der Trikot-Saisonbestand ist bereits seit Saisonbeginn mit Gazprom beflockt, zudem ist es kaum vorstellbar, dass alle juristischen Modalitäten des Auflösungsvertrags sowie die Ausfertigung eines Kontrakts mit einem möglichen neuen Hauptsponsors im Laufe der Woche in trockenen Tüchern sein werden.
Ebenfalls unklar ist aktuell, ob Schalke durch die Kündigung eine Vertragsstrafe an Gazprom zahlen muss und sich so spontan finanzielle Engpässe aufmachen. in diesem Fall hat ausgerechnet der Geschäftsführer des Erzfeindes Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, in seiner Rolle als Vizepräsident der DFL Solidaritätszahlungen für die Königsblauen in Aussicht gestellt. Darüber hinaus wäre auch eine Vorauszahlung anderer Sponsoren und Partner möglich. Diese hatten Schalke bereits in der Frühphase der Corona-Pandemie vor einer nahenden Zahlungsunfähigkeit bewahrt.
Diese Sorgen dürften jedoch im Jubelsturm der Schalker Fans ob des konsequenten Handelns ihrer Vereinsführung etwas hintanstehen. Denn der Blick in die Zukunft sieht nach dieser historischen Zäsur so vielversprechend wie schon lange nicht mehr aus.
- Klubmitteilung FC Schalke 04
- Eigene Recherche