Basketball-Profiliga Historisch: Toronto Raptors holen NBA-Titel nach Kanada
Oakland (dpa) - Die weißen Meister-Shirts der Toronto Raptors waren von Hochprozentigem durchtränkt, nur mit ihren Skibrillen konnten sich Superstar Kawhi Leonard und Co. vor den Sektduschen schützen.
Nach dem historischen ersten Titelgewinn eines Teams aus Kanada in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA feierte der neue Champion eine wilde Kabinenparty, während in der Heimat tausende Menschen auf den Straßen Torontos jubelten und Feuerwerk abbrannten. Die erste Meisterschaft in der 24-jährigen Teamgeschichte sorgte beim Final-Außenseiter für kollektive Ekstase.
"Wir wollten der Welt beweisen, dass es einen Grund hat, dass es ein NBA-Team außerhalb der USA gibt", sagte Raptors-Boss Masai Ujiri nach dem 114:110-Erfolg bei Titelverteidiger Golden State Warriors, der die Endspielserie im sechsten Duell entschied. Toronto setzte sich vorzeitig mit 4:2 durch und entthronte überraschend die zuvor klar favorisierten Warriors. "Mir bedeutet das sehr viel", sagte Leonard, der sein Team in den Playoffs anführte und unstrittig als wertvollster Spieler (MVP) der Finalserie ausgezeichnet wurde.
Der 27-Jährige festigte seinen Status als einer der Topstars der stärksten Liga der Welt eindrucksvoll. "Das ist es, wofür ich Basketball spiele", sagte Leonard. In Spiel sechs erzielte er 22 Punkte, der starke Kyle Lowry brachte es auf 26 Zähler. Leonard, der bereits 2014 mit den San Antonio Spurs den NBA-Titel holte und auch da MVP wurde, kam auf insgesamt 732 Punkte in den diesjährigen Playoffs. Nur Ikone Michael Jordan (759) und LeBron James (748) konnten mehr Punkte in einer K.o.-Phase in einer Saison verbuchen.
Doch der bescheidene Leonard dachte im Moment des Triumphs nicht an solche Superlative, sondern auch an den Gegner. "Ich hoffe, dass es Klay schnell besser geht", sagte der Flügelspieler und sprach Golden States Klay Thompson an. Der Dreierspezialist war mit 30 Punkten Topscorer der Kalifornier, riss sich aber im dritten Viertel bei einer unglücklichen Landung das Kreuzband im linken Knie und wird lange ausfallen. In Spiel fünf hatte sich zuvor in Kevin Durant ein weiterer Superstar der Warriors die Achillessehne gerissen.
Das Verletzungspech war ein Grund dafür, dass die Warriors nach ihren Titeln in den vergangenen beiden Jahren dieses Mal nicht mithalten konnten. Superstar Stephen Curry (21 Punkte) hatte kurz vor Schluss beim Stand von 110:111 zwar die Möglichkeit, sein Team in Führung zu bringen. Der Dreier-Versuch des zweimaligen Liga-MVP verfehlte aber sein Ziel. Golden State nahm fälschlicherweise eine Auszeit, die sie nicht mehr hatten. Mit lediglich 0,9 Sekunden auf der Uhr war die Entscheidung gefallen und der Titel-Hattrick unmöglich.
Stattdessen war die Freude im Norden grenzenlos. Die Kanadier warten seit 1993 sehnsüchtig auf einen NHL-Titel im Nationalsport Eishockey, doch nun schafften die Basketballer Außergewöhnliches. 1993 gewannen zudem die Toronto Blue Jays die World Series im Baseball, seitdem ging keine große Teamsport-Meisterschaft in Nordamerika mehr an den nördlichen US-Nachbarn. Im Jurassic Park vor der heimischen Halle schwangen die euphorisierten Fans nach dem Sieg ihre Nationalflaggen mit dem Ahornblatt und sangen die Nationalhymne "O Canada".
"Diese Nacht gehört Toronto", sagte Rap-Megastar Drake, der ebenfalls dort feierte. Der 32-Jährige ist der berühmteste Fan der Raptors und fieberte in seiner Heimatstadt mit. "Poetisch" nannte er das, was dem Team im entfernten Oakland gelang und trug mit Stolz das offizielle Basecap mit der Aufschrift "Champions". Die ganze Nacht wurde in Toronto gefeiert, am Montag gibt es als nächsten Höhepunkt die große Meisterparade mit dem Team durch die Straßen der Millionen-Metropole.
Dass es dazu kommt, ist nicht zuletzt Leonard zu verdanken. Nach einigen Enttäuschungen in den Vorjahren war der 2,01-Meter-Hüne mit den riesigen Händen das fehlende Puzzlestück für die Raptors. Erst vor dieser Saison kam er nach längerer Verletzungspause aus San Antonio. "Viele Leute haben damals an mir gezweifelt", sagte Leonard: "Doch Toronto hat mich mit offenen Armen empfangen. Sie haben mir gesagt, dass ich einfach nur Basketball spielen soll."
Leonard hat die Option, ein weiteres Jahr zu bleiben. Ob er diese nutzen wird oder sich einem anderen Club anschließt, ist noch offen. Wie der US-Fernsehsender ESPN berichtet, könnte das Team in General Manager Ujiri derweil einen Macher des Erfolgs verlieren. Die Washington Wizards sollen dem 48-Jährigen eine Führungsposition mit Mega-Gehalt anbieten. Ujiri kommentierte das noch nicht und hatte stattdessen Probleme, das Erreichte zu verarbeiten: "Mir ist noch gar nicht klar, was wir jetzt gerade geschafft haben. Unglaublich!"