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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Anführer DHB-Superstar beklagt hohe Belastung für Spieler
Im Januar legen die "Bad Boys" wieder los. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft will bei der EM um den Titel mitspielen. Kapitän Uwe Gensheimer glaubt an das Team und weiß, wie es mit dem Triumph klappt.
Uwe Gensheimer ist das Aushängeschild der deutschen Nationalmannschaft. Er ist der Star des DHB-Teams. Der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen und Kapitän der deutschen Auswahl möchte bei der Handball-EM 2020 (10. – 26. Januar) in Norwegen, Schweden und Österreich mit seinem Team den Titel holen – und dazu an die Heim-WM im Januar 2019 anknüpfen. Dort scheiterte er trotz starker Leistung mit dem DHB-Team im Halbfinale. Im Spiel um Platz drei gegen Frankreich (25:26) verspielte das Team eine knappe Führung kurz vor der Schlusssirene.
Vor dem Turnierstart zeigt sich der Linksaußen im Interview mit t-online selbstbewusst. "Angstgegner haben wir keine", so Gensheimer. Der 33-Jährige weiß, wie es mit dem Titel klappt.
t-online.de: Herr Gensheimer, bei der Heim-WM im Januar scheiterte das deutsche Team im Spiel um Platz drei unglücklich in letzter Sekunde an Frankreich mit 25:26. Wie oft haben Sie seitdem an diese Last-Minute-Niederlage gedacht?
Uwe Gensheimer (33): Das Spiel kurz danach zu verdauen war schwierig, vor allem, da wir ein richtig geiles Turnier gespielt haben. Vielleicht hätten wir bei unserer Leistung mehr verdient gehabt. Das Spiel auf diese Art zu verlieren tat aber sehr weh.
Wie verarbeitet man so eine bittere Niederlage?
Man schaut sich die Situation an, die dazu geführt hat und guckt, was man persönlich daraus lernen kann. Als Team waren wir uns aber beim Abendessen danach und bei der Abschlussbesprechung einig, dass wir weiterhin angreifen wollen und auch in Zukunft um die Medaillen mitkämpfen wollen.
Welche Mannschaften betrachten Sie bei der EM als Angstgegner?
Angstgegner haben wir keine. Wir wissen, wie eng es im Handball ist und dass wir mit einer guten Leistung jeden Gegner schlagen können. Einzig Norwegen und Dänemark waren bei der vergangenen WM ein Stück vor uns. Dänemark wäre sicherlich der härteste Gegner. Vor den anderen Mannschaften müssen wir uns aber nicht verstecken.
Ist die EM für Sie und das deutsche Team nur eine Zwischenstation zu den Olympischen Spielen in Tokio?
Nein, das ist sie nicht (lacht). Die Europameisterschaft hat für uns große Relevanz. Aufgrund der knappen Zeit im Januar bereiten wir uns bereits seit September darauf vor. Die EM ist nicht nur ein Zwischenhalt, wir legen unseren ganzen Fokus darauf.
Sie und viele Ihrer Teamkollegen haben zwischen den letzten Spielen mit Ihren Klubs im Dezember und dem Start der Europameisterschaft Mitte Januar kaum Zeit für Regeneration. Wie stehen Sie zu dieser hohen Belastung?
Ich betrachte die Situation natürlich in erster Linie aus der Perspektive der Spieler, versuche aber auch, alle Seiten und Interessensgruppen zu verstehen. Generell haben wir Handballer über das Jahr hinweg aber wenige Pausen: Im Sommer sind es vier Wochen. Außer, es ist ein olympisches Jahr, dann sind es noch weniger. Das ist meiner Meinung nach zu wenig, um körperlich und psychisch zu regenerieren.
Welche Spieler sind besonders davon betroffen?
Herausfordernd ist es vor allem für Nationalspieler, die für ihre Klubs in der Liga, im Pokal und auch noch im europäischen Wettbewerb spielen. Dort ist die Belastung mit am höchsten. Diese Spieler sind im Normalfall auch diejenigen, die bei den großen Turnieren wie einer EM oder WM die Leistungsträger ihrer Nationalmannschaften sind und auf die höchsten Spielanteile kommen.
Welche Rolle spielt der dichte Spielplan bei einer EM?
Der Rhythmus bei einer EM oder WM ist extrem. Wir hatten bei der vergangenen WM teilweise Mannschaften, die vier Spiele innerhalb von fünf Tagen absolvieren mussten. Das führt dazu, dass es mehr Verletzungen gibt.
Unter dem Twitter-Hashtag "#DontPlayThePlayers" haben Sie mit Ihrem Nationalmannschaftskollegen Patrick Wiencek und anderen Spielerinnen und Spielern auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Was haben Sie bisher erreichen können?
Wir stehen bei dieser Problematik mit der IHF (Internationaler Handballverband, Anm. d. Red.) im Austausch. Wir versuchen, da gemeinsam eine Einigung zu finden, die für alle gerecht ist.
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Wie sieht dieser Austausch aus?
Wir hatten bisher ein Meeting in Basel, wo der Chef der IHF, Hassan Moustafa, und der Chef der EHF (Europäischer Handballverband, Anm. d. Red.), Michael Wiederer, anwesend waren. Die haben sich offen gezeigt und sich angehört, was wir zu sagen hatten. Ich hoffe, dass es weiterhin einen offenen Austausch gibt und unsere Meinung da weiterhin Gehör findet.
Sie setzen sich für die Rechte von Spielern ein, haben BWL studiert, sind Unternehmer und sprechen mehrere Sprachen – man könnte Sie durchaus als "Handball-Intellektuellen" beschreiben. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob zu viel Intellekt im Spiel ein Nachteil ist?
Ich habe über diesen Punkt tatsächlich schon einmal nachgedacht. Ich glaube aber, dass ich trotzdem bislang gut damit gefahren bin (lacht). Man muss auf dem Feld frei im Kopf sein und extrem schnell Entscheidungen treffen. Da darf man nicht zu lang nachdenken.
Wie trainiert man, die richtige Entscheidung zu treffen?
Das ist wie beim Einmaleins, das trainiert man mit Wiederholungen. So ist das auch mit Wurfentscheidungen im Spiel. Man gewinnt von Mal zu Mal an Erfahrungswerten und trifft beim nächsten Mal hoffentlich instinktiv die richtige Entscheidung. Je mehr brenzlige Situationen man erlebt hat, desto cooler bleibt man, wenn es drauf ankommt.
Sie haben mit ihrem Löwen-Teamkollege Andy Schmid das Label Uandwoo gegründet, mit dem Sie Socken vertreiben, und im vergangenen Sommer mit einem Schulfreund ein Restaurant in Mannheim eröffnet. Haben Sie noch weitere Geschäftsideen auf Lager?
Ein bisschen Unternehmertum steckt schon in mir. Das macht mir viel Spaß. Die eine oder andere Idee gibt es noch. Das ist aber noch nicht spruchreif.
Ihr derzeitiger Vertrag bei den Rhein-Neckar Löwen läuft bis 2022. Werden Sie anschließend Vollzeit-Unternehmer oder spielen Sie noch bis ins hohe Alter?
Ich bin froh, dass ich bereits vorgesorgt habe und nach dem Karriereende nicht in ein Loch fallen würde. Es ist aber noch nicht absehbar, wann meine Karriere vorbei sein wird. Im Herbst seiner Laufbahn macht man sich aber schon Gedanken, wie das Leben nach dem Handball aussehen könnte und wie es ist, wenn man nicht mehr in die Arena einläuft. In gewisser Weise ist das auch eine herausgezögerte Jugend.
Sie gehören zu den Topscorern der DHB-Geschichte und stehen derzeit auf Platz drei hinter den Handball-Legenden Christian "Blacky" Schwarzer und Frank-Michael Wahl. Wo wollen Sie am Ende Ihrer DHB-Karriere stehen?
"Blacky" möchte ich auf jeden Fall noch überholen! Ich weiß gerade aus dem Kopf nicht, wie viele Tore mir da noch fehlen...
...es sind circa 100 Tore, die Sie noch erzielen müssen.
Na also, das will ich auf jeden Fall noch schaffen. Dann schauen wir mal, wie lange meine Karriere noch geht. Für Platz eins in der Liste müsste ich aber noch eine Schippe drauflegen.
Was muss passieren, dass Deutschland Europameister wird?
Wir werden Europameister, wenn wir als Mannschaft an unserem Leistungsoptimum spielen und dazu noch das nötige Quäntchen Glück haben.