EM-Kolumne von Markus Baur "Finn Lemke wird der Mannschaft gut tun"
In letzter Sekunde kam das DHB-Team bei der Handball-EM gegen Slowenien zu einem Remis. Weltmeister und t-online.de-Kolumnist Markus Baur erklärt, warum sich die deutsche Mannschaft so schwer tat und warum die Nachnominierung von Finn Lemke die richtige Entscheidung war.
Liebe Handballfans,
was war das für ein Herzschlagfinale der deutschen Mannschaft gegen Slowenien? Die Situation um den Anwurf von Paul Drux war sehr schwierig zu bewerten. Das ist schon kurios: Nach meinem Regelverständnis war die Entscheidung richtig, wenn die Schiedsrichter das Spiel nicht frei gegeben haben, weil die Slowenen den Abstand nicht eingehalten haben.
Wenn sie aber angepfiffen haben, wäre eigentlich Freiwurf und eine Zwei-Minuten-Strafe die richtige Konsequenz gewesen. Deswegen habe ich es auch nicht ganz verstanden, wieso sich die Unparteiischen so lange am Videoschirm beraten haben. Sie mussten doch wissen, ob sie angepfiffen haben oder nicht. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wonach gucken die jetzt?
Dass der Protest der Slowenen nun abgewiesen wurde, war vorhersehbar. Ein Wiederholungsspiel oder andere denkbare Alternativen wären einfach nicht organisierbar gewesen.
Slowenen haben richtig guten Job gemacht
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass die letzten Sekunden die Entscheidung bringen mussten, lag daran, dass die Slowenen einen richtig guten Job gemacht haben. Sie lagen fast 60 Minuten lang in Führung. Die beiden Mittelleute Miha Zarabec und Marko Bezjak haben uns vor Riesenprobleme gestellt. Auch die slowenische Abwehr hat mit großer Physis agiert und konnte sich auf ihren Torhüter verlassen.
Während die Slowenen in der ersten Halbzeit ihre Chancen gemacht haben, haben wir viel liegen lassen, wurden phasenweise hektisch. Christian Prokop hat im Angriff wie in der Abwehr viele verschiedene Formationen ins Rennen geschickt. Auf Steffen Fäth hat er ganz verzichtet. Aber er ist so nah den Spielern dran wie kein anderer und wird für seine Entscheidungen gute Gründe haben.
Jetzt ist jeder hellwach
Auch für die Entscheidung, Finn Lemke für Bastian Roschek nachzunominieren. Prokop war offensichtlich mit der Abwehrleistung nicht zufrieden und will doch wieder auf Bewährtes zurückgreifen. Er wollte mit einer sehr beweglichen Abwehr auftreten. Das hat gegen Slowenien nicht wirklich funktioniert. Die Tür war für Finn ja nie zu und wir können froh sein, dass er jetzt wieder mit dabei ist. Er wird der ganzen Mannschaft gut tun.
Was die Gesamtleistung angeht, war das Spiel gegen Slowenien sicher nicht das Gelbe vom Ei. Aber solche Spiele gibt es immer mal. Wir haben das Spiel mit einem blauen Auge überstanden, das Ergebnis war nach dem Spielverlauf wahrscheinlich das Beste, was uns passieren konnte. Jetzt ist jeder wieder hellwach und top motiviert für das Duell um den Gruppensieg gegen Mazedonien – und wir könnten immer noch mit drei Punkten in die Hauptrunde einziehen.
Die Niederlage der Dänen im Anschluss gegen Tschechien war überraschend. Nachdem den Tschechen gegen Spanien nur 15 Tore gelungen waren, warfen sie gegen Dänemark 28. Das spricht nicht unbedingt für die Deckung und die Torhüterleistung des Olympiasiegers. Gegen Spanien stehen Niklas Landin und Co. damit schon gehörig unter Druck. Für Deutschland ist die Konstellation dankbar: Mindestens ein Top-Gegner aus der Gruppe D wird nur mit zwei Punkten in die Hauptrunde einziehen, sollte Dänemark Spanien zum Abschluss schlagen, vielleicht sogar beide.
Schweden kann Gastgeber Kroatien ärgern
Auf Kroatiens Auftritt gegen Schweden am Dienstag bin ich sehr gespannt. Die Schweden müssen nach der Niederlage gegen Island abliefern, um ihre Chancen aufs Halbfinale am Leben zu halten. Und ich glaube schon, dass sie in der Lage sind, den Gastgeber zu ärgern. Wobei die Hexenkessel-Atmosphäre in Split natürlich ein großer Pluspunkt für die Kroaten ist.
Die Franzosen werden gegen Weißrussland nichts anbrennen lassen und mit sechs Punkten in die Hauptrunde durchmarschieren. Dort wartet dann wahrscheinlich der ultimative Showdown gegen Kroatien. Das werden noch Handball-Festtage.
Euer Schorsch
Der zweimalige Handballer des Jahres Markus „Schorsch“ Baur ist einer der erfolgreichsten Spielmacher in der deutschen Handball-Geschichte. In 228 Länderspielen erzielte er 712 Tore, wurde 2004 Europameister und Olympia-Zweiter und krönte seine Karriere 2007 mit dem Titel bei der Heim-WM. Mit dem TBV Lemgo feierte Baur 2003 die deutsche Meisterschaft. Die Ostwestfalen waren nach der aktiven Karriere auch Baurs erste Trainerstation in der DKB Handball-Bundesliga. Nach Engagements in Lübbecke, Schaffhausen und als DHB-Juniorenbundestrainer betreut Baur seit der Saison 2016/17 den Bundesligisten TVB 1898 Stuttgart.