Rendezvous mit der Geschichte Die "Schande von Gijon" spielt immer mit
Aus Santo André (Brasilien) berichtet Thomas Tamberg
Zwei Mal trafen Deutschland und Algerien im Fußball bisher aufeinander, zwei Mal hieß der haushohe Favorit Deutschland, zwei Mal blamierte man sich bis auf die Knochen und Algerien trug den Sieg davon. Bei der WM 2014 in Brasilien kommt es nun im Achtelfinale in Porto Alegre (ab 21.30 Uhr im t-online.de Live-Ticker) zum dritten Duell. Auch dieses Mal sind die Nordafrikaner krasser Außenseiter.
Trotz der wenigen Berührungspunkte sind beide Auswahlmannschaften durch das Band der Geschichte für immer fest miteinander verbunden. Und aus Sicht der Deutschen ist es kein Ruhmesblatt. Das erste Spiel am 1. Januar 1964 war gleichzeitig das erste Länderspiel des neuen Staates Algerien. In Algier verlor das Team von Sepp Herberger völlig überraschend mit 0:2.
"Meine Spieler würden mich für doof erklären"
Doch weit mehr in der kollektiven Erinnerung ist die zweite Partie haften geblieben. Bei der WM 1982 verlor eine völlig überheblich agierende deutsche Mannschaft ihr Auftaktspiel gegen Algerien mit 1:2. Der damalige Bundestrainer Jupp Derwall hatte zuvor noch getönt: "Meine Spieler würden mich doch für doof erklären, wenn ich ihnen was über die algerische Mannschaft erzählen wollte." So viel dazu.
Jedenfalls führte dieses Resultat letztlich dazu, dass es zur "Schande von Gijon" kam, als Deutschland und Österreich im letzten Gruppenspiel eine Art Nichtangriffspakt schlossen und auf Ergebnis spielten. In die Röhre schauten damals die Algerier, die bereits am Tag zuvor ihr letztes Match absolviert hatten. Seit diesem Ereignis werden übrigens die letzten Gruppenspiele bei EM und WM zeitgleich ausgetragen.
Hochmut kommt vor dem Fall
Wie ein ewiger Schatten scheint dieser Fauxpax der deutschen Fußballgeschichte derzeit die DFB-Kicker in Brasilien zu verfolgen. Bereits gegen die USA wurde die "Schande von Gijon" thematisiert. Schließlich trafen mit Joachim Löw und Jürgen Klinsmann auch noch zwei Freunde aufeinander. Ein Remis hätte beiden Teams sicher zum Weiterkommen genügt. Doch das hart umkämpfte 1:0 war über alle Zweifel erhaben. Das Thema schien durch. Doch dann qualifizierte sich Algerien fürs Achtelfinale gegen Deutschland und das Ganze ging wieder von vorne los, so dass sich sogar der DFB-Präsident dazu geäußert hat.
Für Wolfgang Niersbach sind nach eigener Aussage "Begriffe wie Rache oder Revanche so viele Jahre danach nicht angebracht". Der 63-Jährige führte weiter aus, dass es damals keine Absprachen gegeben hätte und dass alles wegen der zeitversetzten Spiele sowie ein "Systemfehler" gewesen sei. Ein freundliches oder gar entschuldigendes Wort in Richtung Algerien hörte man vom obersten Verbandschef allerdings nicht. Mag sein, dass der deutsche Hochmut dieses Mal nicht mit der Derwallschen Brachialgewalt daher kommt, aber wer möchte, kann ihn zwischen den Zeilen herauslesen.
Algerien fiebert dem Duell entgegen
Nur weil man es im DFB-Lager gerne hätte, dass Gijon kein Thema mehr ist, heißt es noch lange nicht, dass es in der Realität auch so ist. Der Einzug ins Achtelfinale ist schließlich der größte fußballerische Erfolg Algeriens in der Geschichte des Landes. Nur einmal wären sie beinahe die Vorrundengruppe überstanden. Genau, 1982. Aber damals machten ihnen Deutschland und Österreich einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.
Und daher wird dieses Ereignis natürlich in dieses Spiel hineingetragen. "So trifft man sich wieder", titelte "La Liberté" nicht ohne Ironie. "Algerien - Deutschland, wie sich alles wiederholt", schrieb "La Gazette du Fennec". Und für den Rest sorgte Algeriens Trainer Vahid Halilhodzic: "1982 kann man nie vergessen."
Schweinsteiger oder Khedira?
Bundestrainer Löw hat da schon eine andere Wahrnehmung als sein Chef. "Vielleicht wird in Algerien das Thema hochgespielt", sagte der 54-Jährige. Bei seinen Spielern sei das allerdings kein Thema. Selbst Miroslav Klose und Roman Weidenfeller, die einzigen im Kader, die vor 1982 geboren wurden, "können sich daran beim besten Willen nicht erinnern", gab der Bundestrainer zu Protokoll.
Löw tut ohnehin gut daran, sich aufs Sportliche zu konzentrieren. Gegen die Fennecs, die Wüstenfüchse, ist wohl nur eine Position offen: Wird Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira spielen? Bis auf den leicht angeschlagenen Lukas Podolski stehen alle Spieler zur Verfügung. Erwartet wird ein defensiv ausgerichteter Gegner. Daher wird es besonders darauf ankommen, wie die DFB-Elf im letzten Drittel des Spielfeldes agiert.
Angenehmes Klima
Löw hatte zuletzt gefordert, dass man in den K.o-Spielen nur bestehen könne, wenn das Team schneller nach vorne spielt, den letzten Pass konsequenter nutzt und vor dem Tor kaltschnäuziger agiert. Auf jeden Fall erwartet seine Elf ein hitziges Duell. Da trifft es sich gut, dass die Temperaturen im südlich gelegenen Porto Alegre europäischem Charakter entsprechen. Gerade einmal 13 Grad und Regen sind für das Spiel vorausgesagt.