Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Lionel Messi führt Argentinien zum Titel Die Erlösung
Argentiniens Superstar hat nun endlich seinen WM-Titel. Zeit wird es. Diese WM war die Show von Lionel Messi – aber aus anderen Gründen als gedacht.
Jetzt hat er ihn. Seine Augen leuchteten beim Blick auf diesen goldenen WM-Pokal, zärtlich streichelte er ihn schon vor der Übergabe, gab ihm einen sanften Kuss, wohlwissend: Endlich hab ich dich. Und wer Lionel Messi kennt und den Druck, der seit anderthalb Jahrzehnten auf ihm lastet, wann immer er das traditionsreiche Nationaltrikot Argentiniens trägt, der wusste in diesem Moment: Er ist am Ziel. Und die Meinungen direkt nach diesem wahnsinnigen 7:5 der "Albiceleste" im Finale dieser Fußball-Weltmeisterschaft in Katar waren einhellig: Mit diesem WM-Titel setze "La Pulga" sich nun endlich die Krone auf, hebe er sich in den Olymp des Fußballs zu Pelé und seinem Landsmann Diego Maradona, damit sei er nun endgültig zur Legende geworden, feiere den größten Erfolg seiner Karriere.
Dabei wird verkannt: Nicht der goldene Pokal, den er an diesem Sonntagabend in Lusail umringt von freudetrunkenen Teamkollegen in die Höhe reckte, ist sein größter Triumph – sondern das, was er der Welt in den vier Wochen zuvor gezeigt hat.
1:2 gegen Saudi-Arabien? Vergessen
Nicht der Titel ist sein größter Triumph, nicht seine so begeisternden Tore und zauberhaften Assists während des Turniers, so stark seine Leistungen auch gewesen sein mögen, so erlösend die Gewissheit, das spielerische Genie Messis auch endlich bei einer WM in voller Entfaltung zu sehen – sein größter Triumph ist im Rückblick der Weg dorthin und die vielen kleinen Dinge, die er dabei übernahm, mit denen er seine Teamkollegen mitzureißen verstand. Erst nach dem Halbfinal-Erfolg gegen Kroatien schrieb ich hier: "Messi hat verstanden, worum es bei dieser WM geht."
Denn diese WM, dieses gesamte Turnier in Katar, es ist sein Meisterstück, ein Gesamtkunstwerk, die Krönung einer bis dahin zumindest in der öffentlichen Meinung unvollendeten Karriere – denn im für Fußballer fortgeschrittenen Alter von 35 Jahren hat er das geschafft, was ihm in vier vorangegangenen Weltmeisterschaften nicht zu gelingen vermochte: Er hat seine Mitspieler mitgezogen, er ging voran, er war der sichtbare Anführer. Wer erinnert sich jetzt noch daran, dass Argentinien zum Turnierauftakt an Saudi-Arabien verzweifelte und sensationell 1:2 verlor? Ein Startresultat, von dem sich andere Mannschaften nicht mehr erholten, bewirkte bei den Südamerikanern genau das Gegenteil – und Messi vorneweg. Wer auch sonst?
Begeisternd. Motivierend
Wie er sich im Viertelfinale gegen die Niederlande den Ball schnappte und den ersten Elfmeter seiner Mannschaft versenkte, mit Wucht und Entschlossenheit. Wie er im Halbfinale gegen Kroatien Pass um Pass spielte gegen die knorrigen, zähen Defensivkünstler, die Spieler in Himmelblau-Weiß um sich herum in Szene setzte. Wie er jetzt im Endspiel gegen Frankreich kämpfte. Kopfballduell gegen den einen Kopf größeren Théo Hernandez, mit vollem Körpereinsatz gegen den robusten Verteidiger, kurze Behandlungspause auf dem Rasen nach sattem Zusammenprall inklusive? Check. Aufatmen im Stadion, als er unbeschadet wieder aufstand? Check. Einsatz gegen den gerade eingewechselten Randal Kolo Muani, tief in der eigenen Hälfte, beim Stand von 2:0? Check. Todesmutige Grätsche wie ein Ausputzer alter Schule in der 112. Minute gegen den 15 Jahre jüngeren Youssouf Fofana? Check. Erster Schütze im Elfmeterschießen, verwandelt per lässigem Strafstoß in die Mitte? Check.
Begeisternd. Motivierend. Als hätte uns eine Zeitmaschine den Lionel Messi aus der großen Ära des FC Barcelona um 2015 herum beschert. Ist er das wirklich? Hat er den Jungbrunnen gefunden? Er machte Spaß, er hatte Spaß, und seine Teamkollegen auch.
Messi war die Orientierungshilfe, der Kompass für die Mac Allisters, die De Pauls und all seine anderen Mitspieler, für gestandene Akteure aus europäischen Topligen ebenso wie für junge, kommende Stars. Ihnen allen blieb gar nichts anderes übrig, als mitzuziehen. Er ließ ihnen keine Chance. "Es sucht seinesgleichen, was er seinen Mitspielern gibt, sowas habe ich noch nie erlebt", sagte sein Nationaltrainer Lionel Scaloni nach dem Finale.
Und genau das ist der größte Erfolg von Lionel Messi.
- Eigene Beobachtungen