Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Messi kurz vor dem Ziel Es ist ein Jammer!
Lionel Messi spielt eine überragende WM. Er musste lange genug darauf warten. Eine Würdigung vor seinem letzten Spiel bei einer Weltmeisterschaft.
Fünf Minuten. Nur fünf Minuten obendrauf gab es am Dienstagabend beim Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft zwischen Argentinien und Kroatien, und obwohl zu diesem Zeitpunkt der Ausgang dieser Partie beim Stand von 3:0 schon längst geklärt war, so hätte sich der italienische Schiedsrichter Daniele Orsato doch gerne an den während dieses Turniers oftmals überdimensionierten Nachspielzeiten orientiert, die einige seiner Kollegen über die Anzeigetafeln flimmern ließen. Denn ein Spieler auf dem makellos grünen Rasen im Lusail-Stadion hatte und bereitete dermaßen viel Spaß, dass es eigentlich schon vergnügungssteuerpflichtig war.
Und jetzt, wo bekannt ist, dass dieser Lionel Messi nur noch ein einziges Mal ein WM-Spiel bestreiten wird (mehr dazu lesen Sie hier), wird jeder Moment, der da jetzt noch kommen mag im Endspiel am kommenden Sonntag, noch wertvoller. Sein letzter Auftritt beim größten Sportereignis der Welt soll die Partie sein, hat der 35-Jährige nun angekündigt. Und so sehr man dem größten Fußballer der letzten 15 Jahre einen Abschied mit dem ganz großen Triumph auch wünschen mag: Es ist ein Jammer.
Denn dieser Lionel Messi hat vielleicht noch nie so viel Spaß bereitet wie bei dieser Fußballweltmeisterschaft. Nicht, weil er beim Turnier in Katar besser spielt, genauer passt oder häufiger trifft als üblich. Nein. Sondern, weil er beim Turnier in Katar endlich so gut spielt, so genau passt und so häufig trifft wie üblich.
Sie haben sich gefunden
Nach vier durchwachsenen WM-Teilnahmen ist das Championat im Wüstenstaat endlich das Turnier, das er bestimmt, bei dem er überragt wie einst zu besten Zeiten beim FC Barcelona. Sein letztes großes Turnier ist sein denkwürdigstes, bestes, größtes Turnier.
Fünf Tore und drei Vorlagen in bisher sechs Spielen. 2006, 2010, 2014 und 2018 kam er auf sechs Treffer, dazu fünf Vorlagen – zusammengerechnet. Nun aber, zumindest auf dem Papier im Herbst seiner Karriere, entfaltet sich das ganze spielerische Genie Lionel Messis auch auf der ganz großen Bühne. Wo er früher oft zu verzweifeln schien an seiner Rolle in der Albiceleste, wo er immer wieder gar wie ein Fremdkörper wirkte, gehemmt, verkrampft, glücklos, so haben sie sich nun gefunden, er und seine Nationalmannschaft. Er kämpft und zaubert, er läuft und sprintet, er rackert und trickst, er schießt und bereitet vor, er führt sein Team an, und wer sich nicht zu erfreuen, zu begeistern vermag an dieser, seine Teamkollegen ansteckenden Spiellust von "La Pulga" (dt. "Der Floh”), der hat entweder den Fußball nie geliebt oder hält es mit einem gewissen Rivalen im Portugal-Trikot.
Ohnehin scheint den der öffentlichen Meinung nach anderen beiden großen Fußballern unserer Zeit genau diese Fähigkeit zur Begeisterung gefehlt zu haben: Cristiano Ronaldo? Als ständig unzufriedener Edel-Joker mit Portugal im Viertelfinale an Marokko gescheitert. Neymar? Im Turnierverlauf im Schatten vom spektakulär treffenden Richarlison, im Viertelfinale kläglich an Kroatien gescheitert – nachdem er noch vor Start angekündigt hatte, sein erstes Tor dem jüngst abgewählten brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro widmen zu wollen, einem üblen Rechtspopulisten, dem er unendlich dankbar ist, ihm während seines Vergewaltigungsskandals öffentlich beigesprungen zu sein.
Wie Fifa auf "Amateur"
Messi aber hat verstanden, worum es geht bei dieser WM, für Argentinien, ihn selbst: einfach nur um Fußball. Und er übernimmt Verantwortung: Elfmeterschießen im hitzigen Duell gegen die Niederlande? Messi stellte sich als Erster seiner Mannschaft dem Duell mit "Oranje"-Torwart Andries Noppert – und drosch den Ball mit der Überzeugung eines Mannschaftskapitäns ins Netz, der weiß, wem die Stunde geschlagen hat: ihm und Argentinien.
Genauso sein Strafstoß im Halbfinale, den er millimetergenau unter die Latte wuchtete, unhaltbar für Kroatiens Torwart Dominik Livakovic, mit dessen Unüberwindbarkeit vom Punkt aus zuvor die Japaner und Brasilianer leidvolle Erfahrung machen mussten. Alles hatte Messi in diesen Schuss gelegt, den Traum vom Titel, vielleicht auch angestaute Wut aus den bisherigen WM-Teilnahmen. Jetzt oder nie. Wer soll ihn schon aufhalten, in dieser Form?
Da legt er sich dann auch mal mit dem Niederländer Wout Weghorst an, den er vor laufenden Kameras während eines Interviews nach dem Viertelfinalerfolg gegen "Oranje" anschnauzte (mehr dazu lesen Sie hier) – dem Vernehmen nach sollen der hünenhafte Torjäger und seine Teamkollegen die heißblütigen Argentinier während der Partie unablässig provoziert haben. Messi nimmt es mit allen auf, und seine Mitspieler, die Fans, wir Zuschauer lassen uns anstecken.
Dann kam die nächste Gala gegen Kroatien (mehr dazu lesen Sie hier). So schwebend leicht, so berauscht, so viel schneller, wacher, besser, als hätte man das Videospiel "Fifa" einfach auf den leichtesten Schwierigkeitsgrad "Amateur" gestellt. Und vielleicht gibt es im Finale am Sonntag, bei seinem letzten Auftritt bei einer Weltmeisterschaft, dann ja doch noch mal etwas mehr Nachspielzeit.
So viel Spaß bereitet Lionel Messi bei dieser WM. Endlich.
- Eigene Beobachtungen