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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Nach blamablem WM-Aus Drei Dinge, die sich beim DFB ändern müssen
Deutschland ist vorzeitig und blamabel bei der WM ausgeschieden. Mal wieder. Statt leerer Worte müssen nun Taten folgen. An drei tiefgreifenden Änderungen führt kein Weg vorbei.
Als die Schiedsrichterin Stéphanie Frappart pfiff und das Aus besiegelt war, sackten Deutschlands Nationalspieler reihenweise auf den Rasen des Al-Bayt-Stadions zusammen. Trotz eines 4:2-Sieges gegen Costa Rica hat die DFB-Elf nicht den Sprung in die K.o.-Phase der Weltmeisterschaft gepackt und fliegt schon am heutigen Nachmittag aus Doha zurück nach Frankfurt am Main.
Für viele Akteure im Kader von Bundestrainer Hansi Flick ist das ein vertrautes, wenn auch nicht weniger schmerzliches Erlebnis. Denn schon bei der vorigen WM 2018 in Russland scheiterte Deutschland blamabel an Gegnern wie Mexiko und Südkorea, aber vor allem an sich selbst.
Der damalige Bundestrainer Joachim Löw kündigte eine große Analyse an – ebenso wie nun Jahre später sein Nachfolger Flick –, präsentierte seine Ergebnisse an der Seite des eisernen DFB-Direktors Oliver Bierhoff auf einer denkwürdigen, weil 110 Minuten langen, aber kaum aufschlussreichen Pressekonferenz. Echte Konsequenzen, das sah man auch nun am Abschneiden in Katar, wurden nicht gezogen. Auch deshalb kann sich Flick eigentlich seine angekündigte große Grundsatzrede zum Stand des deutschen Fußballs sparen. Denn auf die Schmach in Katar dürfen nun nicht leere Worte, sondern müssen Taten folgen. Und zwar sofort. Drei von ihnen sind sogar unumgänglich.
Es braucht einen radikalen Kaderumbruch
Manuel Neuer, Thomas Müller und Ilkay Gündogan: Die DFB-Karrieren dieses Trios stellte t-online-Nationalmannschaftreporter Noah Platschko bereits vor dem Ausscheiden in Frage. Zurecht. Denn bei ihnen wurden die Attribute "erfahren" und "routiniert" spätestens in Katar von "satt" und "gealtert" abgelöst.
Neuer, der Titelgarant von 2014, wurde in den vergangenen Jahren und auch noch kurz vor dem Wüstenturnier von Verletzungen zurückgeworfen, in seiner Dynamik mit dem Ball am Fuß zusehend von seinem biologischen Alter eingeholt. Auch seine Entscheidungsfähigkeit scheint gelitten zu haben. So trug er bei beiden Gegentoren durch Costa Rica eine Mitschuld, als er einmal etwas zu früh abtauchte und der Ball so erst zum gefährlichen Abpraller wurde. Und durch sein vogelwildes Aufspringen vorm zwischenzeitlichen 2:1 manövrierte er die Kugel entscheidend über die Linie.
Dass er beim zweiten Gegentor allen Ernstes ein Foul forderte, obwohl es keine Gegnerberührung gegeben hatte, unterstreicht eine grundlegende Geisteshaltung, die er nach der Partie in Interviews manifestierte: An ihm liege es nie. Neuers Kritik- und Reflexionsfähigkeit scheint durch einen jahrelangen Kuschel- und Erfolgskurs derart eingerostet zu sein, dass er sich trotz des zweiten WM-Vorrundenaus in Folge selbstsicher vor die Presse stellt und von einer EM-Teilnahme 2024 ausgeht.
In diesem Punkt sind seine Mannschaftskollegen Müller und Gündogan zumindest weiter. Der Münchner, der schon nach Abpfiff eine einsame Runde um die Fankurve lief, hielt am ARD-Mikrofon eine emotionale Abschiedsrede von der Nationalmannschaft. Mit der Formulierung "Wenn das mein letztes Spiel gewesen sein sollte", hielt er sich allerdings unnötig eine Tür offen, die er zuvor bravourös geschlossen hatte.
Das "Radio Müller" findet in der DFB-Elf keine Frequenz mehr, das hatte auch er ganz offenbar erkannt. Müller wirkte ausgerechnet zwischen seinen dynamischen Vereinskollegen Jamal Musiala, Serge Gnabry und Leroy Sané wie ein Fremdkörper, wie eine Satellitenschüssel in Zeiten des Internetstreamings.
Gündogan äußerte sich dagegen nur wage: "Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht, ich wollte mich nur auf das Turnier konzentrieren. Ich weiß es nicht, der Frust überwiegt." Er sagt damit eigentlich schon alles. Denn der Kapitän des englischen Meisters Manchester City kann der Nationalelf, im Gegensatz zu seinem Verein, nichts geben.
Der gebürtige Gelsenkirchener wird unter Hansi Flick mehr im Mittelfeld herumgeschoben als eine ausrangierte Lok im Verschiebebahnhof. Durch das eingespielte Duo Goretzka/Kimmich positioniert sich Deutschlands Schaltzentrale eher tiefer, auf der auf Umschaltspiel ausgelegten Sechserposition. Ein spielstarker, am Ballbesitz orientierter Achter wie Gündogan hängt dadurch in der Luft. Ein Trend, der mit Blick auf die Heim-EM in den kommenden Jahren durch aufstrebende Talente, wie etwa Vitaly Janelt und Tom Krauß, nur verstärkt werden dürfte.
Flick muss als Bundestrainer gehen
Die Euphorie, die seine Ernennung zum Bundestrainer durchaus auslöste, konnte Hansi Flick nie in etwas Handfestes ummünzen. In der in Deutschland gern belächelten Nations League ist er nur knapp dem Abstieg entkommen, entscheidende Planstellen (Rechtsverteidiger! Mittelstürmer!) hat er mittelfristig und nachhaltig nicht besetzt bekommen und bei der WM ließ er sich von Japan auscoachen: Flicks Bilanz nach 15 Monaten als Bundestrainer liest sich verheerend. Dennoch glaubt er weiterhin, der richtige Mann für die DFB-Auswahl zu sein und schloss auf t-online-Nachfrage einen Rücktritt aus.
- Zweikampf der Woche: Flick muss weg, der Nachfolger steht bereit
Dabei war Flick, trotz allen Bayern-Sextuple-Kredits, von Beginn an eine kontroverse Wahl. Nach 15 schier endlosen Löw-Jahren sollte ausgerechnet Flick, der ehemalige "Jogi"-Assistent, für einen Aufbruch, für eine Abkehr vom status quo stehen. Eine wahnwitzige Fehleinschätzung, die in Katar offengelegt wurde. Und die offenbar auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf nun erkennt: Kurz vorm Abflug nach Frankfurt vermied es der Verbandsboss, Flick eine Jobgarantie auszusprechen, forderte stattdessen eine schonungslose Analyse des sportlichen Scheiterns ein. Löw dürfte Flick dabei diesmal wohl eher kein Vorbild sein.
Bierhoffs Zeit beim DFB ist abgelaufen
Ebenso wie Flick zählte Neuendorf auch Oliver Bierhoff an. Der Geschäftsführer der Nationalmannschaften zittert seinerseits aber nicht über seinen Job. "Ich bin seit 18 Jahren dabei. Ich weiß auch, dass der Mechanismus jetzt losgeht, dass die Diskussion stattfindet. Der muss man sich stellen. Ich werde meine Verantwortung tragen", sagte der EM-Finaltorschütze von 1996 nach dem WM-Ausscheiden. Wie diese Verantwortung seiner Meinung nach aussehen könnte wenn nicht in Form eines Rücktritts, ließ er offen.
Ebenso schweigt Bierhoff dazu, dass er sich bereits vor vier Jahren eben jener nebulösen Verantwortung gestellt hat – und keine Verbesserungen erkennbar sind. In der freien Wirtschaft, der Bierhoff als Cheflobbyist des deutschen Fußballs so nahe steht, wäre er seinen Posten längst los geworden. Denn durch den sportlichen Misserfolg schmälert sich auch gleichbedeutend und ganz entscheidend das Vermarktungspotenzial der DFB-Auswahlen – Bierhoffs Lieblingsthema.
Der Sohn eines früheren Marketingvorstands hat die Nationalmannschaft lange Zeit wie eine großstädtische PR-Agentur geführt. "Alles für das Image, alles für den Claim", ließen sich vor allem Bierhoffs vergangene Jahre wohl treffend überschreiben. "Die Mannschaft", Campo Bahia, #zsmnn und und und – die Anzahl übermotivierter, von der Fußballbasis völlig enfremdeter Entscheidungen stiegen ins unermessliche, selbst Spieler spotteten über Bierhoff als "Eventmanager".
- DFB-Direktor Bierhoff: Das geht auf sein Konto
Die schlimmste, weil schwerwiegendste Entscheidung dieser Ära war es jedoch, im Rahmen der DFB-Umstrukturierung 2018 die Stelle des Sportdirektoren zu streichen und damit einhergehend Bierhoff zum Direktor zu befördern. Ein Amt, das zuvor Matthias Sammer, Hansi Flick und Horst Hrubesch innehatten. Ausgewiesene Fachexpertise, die dem DFB seitdem fehlte – und Bierhoff entscheidend beeinflussen hätte können.
Bierhoff, der 2004 seine Funktionärskarriere in der extra dafür geschaffenen Stelle des Teammanagers begann, hinterlässt einen Scherbenhaufen, eine Fußballnationalmannschaft, die nur noch als Hülle für Merchandise und Lizenzrechteverkäufe fungiert. Einen Scherbenhaufen, den Präsident Neuendorf nun gründlich zusammenkehren muss.
- Eigene Beobachtungen