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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Provokation bei Deutschland gegen Spanien Steckt das hinter dem Özil-Spott der Katarer?
Das WM-Spiel Deutschland gegen Spanien hatte viel zu bieten. Sportlich – aber auch abseits des Platzes. Vor allem Özil-Plakate auf den Rängen warfen Fragen auf.
Das Stadion zum WM-Spiel Deutschland gegen Spanien ist an diesem Sonntagabend offiziell ausverkauft. 68.895 Menschen sollen ihren Weg in die Al-Bayt-Arena gefunden haben. Darunter auch einige, die auffällige Plakate hochhalten. Auf den Bildern zu sehen: der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil.
Doch warum ausgerechnet Özil? Schließlich ist er bereits seit mehr als vier Jahren nicht mehr Teil des DFB-Teams. Am 22. Juli 2018 ist er aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, etwa drei Wochen nach dem WM-Aus der Löw-Kicker in Russland.
Was bei den Bildern aus dem Stadion noch ins Auge sticht: Viele der Zuschauer mit den Özil-Plakaten, die meisten in typischen katarischen Gewändern gekleidet, halten sich eine Hand vor den Mund – und spielen damit auf den Protest der deutschen Elf vom Japan-Spiel an. Die hatten sich damit bei ihrem Auftakt der Fußball-WM zu den "One Love"-Drohungen der Fifa positioniert.
Die Provokationen im weiten Rund von Katar wirken nun wie ein Vorwurf in Richtung Deutschlands und dem DFB. Doch ergibt das überhaupt Sinn? Eine Theorie lautet: Der Wirbel um Özil und sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor der WM 2018 sind gemeint. Denn das hatte die Medien im Vorfeld des Turniers in Russland tagelang beschäftigt – und wurde anschließend auch als ein möglicher Grund für das frühe Ausscheiden der Deutschen gewertet.
Die seltsamen Vergleiche mit den Uiguren-Aussagen Özils
Mesut Özil jedenfalls begründet seinen Rücktritt vom Nationalteam später unter anderem mit fehlendem Rückhalt seitens des DFB, wirft dem Verband sogar "Rassismus und Respektlosigkeit" vor. Er schreibt in einem mehrteiligen Instagram-Posting den Satz: "Ich bin Deutscher, wenn ich gewinne, und ein Einwanderer, wenn ich verliere." Soll der Özil-Spott in Katar nun in diese Richtung zielen, den Deutschen also wegen ihrer Mund-zu-Geste Doppelmoral vorwerfen?
Vieles deutet darauf hin, dass etwas anderes gemeint ist – und dass womöglich eine Verwechslung vorliegt. Grund dafür sind Zigtausende Beiträge in den sozialen Medien. Schon kurz nach dem Mund-zu-Protest von Kimmich, Gündogan, Gnabry und Co. kursieren Tweets, die Özils einstigen Einsatz für die muslimische Minderheit der Uiguren in China in Zusammenhang mit der deutschen Mundtot-Geste bringen. Frei nach dem Motto: Özils Uiguren-Einsatz sei Grund für den Bruch mit dem DFB gewesen – und ausgerechnet dieser DFB wolle nun ein Zeichen für Meinungsfreiheit setzen?
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Auch jetzt wieder verbreitet sich dieses Narrativ: Zu den Bildern der Özil-Plakate vom Spiel Deutschland gegen Spanien sind auffallend viele Wortmeldungen zu lesen, die die Uiguren und den DFB in einem Atemzug nennen. Doch das ist gleich auf mehreren Ebenen irreführend.
Das Wichtigste dabei: die zeitliche Abfolge. Mesut Özil ist 2018 aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, hat sich aber erst 2019 in einem viel beachteten Posting auf Instagram zu den Uiguren geäußert. Damals kritisiert er unter anderem öffentlich, dass Muslime "gewaltsam in Lager gebracht" werden. Zu diesem Zeitpunkt ist er schon mehr als ein Jahr lang kein deutscher Nationalspieler mehr. Sein DFB-Rücktritt kann damit demnach nichts zu tun haben.
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Eine Reaktion aus der Fußballwelt gibt es dennoch zu den Äußerungen Özils. Sie stammt jedoch nicht aus Deutschland, sondern aus England. Besser gesagt: von Özils damaligem Club FC Arsenal. Der schreibt: "Zu den Äußerungen von Mesut Özil in den sozialen Medien muss Arsenal ein klares Statement abgeben", und fügt dem an: "Die veröffentlichten Inhalte sind Özils persönliche Meinung. Als Fußballverein hat sich Arsenal immer an das Prinzip gehalten, sich nicht in die Politik einzumischen."
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Noch zwei Jahre spielt Özil weiter bei dem Klub aus London, wechselt 2021 in die Türkei zu Fenerbahçe Istanbul. Nach einem Jahr bei dem türkischen Traditionsverein geht es für Özil Anfang dieses Jahres in der Metropole woanders weiter: Inzwischen steht er bei Istanbul Başakşehir FK unter Vertrag.
Liegt also eine Verwechslung vor – oder gar eine mutwillige Falschkonstruktion? Klar ist nur: Die Mund-zu-Geste kam in Katar nicht gut an, wurde auch damals in den sozialen Medien heiß diskutiert. Arabischsprachige Accounts übten teils heftige Kritik. Jetzt folgte ein sichtbarer Seitenhieb im Stadion und verbreitet sich rasend im Netz – mit mehr als fragwürdigem Zusammenhang.
- Eigene Beobachtungen
- Bilderagentur Imago
- instagram.com: Profil von m10_official
- twitter.com: Profil von @sportbible
- guardian.com: "Arsenal distance themselves from Mesut Özil comments on Uighurs’ plight" (englisch)