t-online.de-Portrait Bayerns Rekordeinkauf flog aus dem Lyon-Internat
Corentin Tolisso ist schon seit Jahren der Golden Boy des französischen Fußballs. Unter den Youngstern der goldenen Generation von Olympique Lyon galt er als hochbegabt. Deshalb nahm der FC Bayern so viel Geld in die Hand wie für keinen Spieler zuvor – und deshalb setzt auch Nationaltrainer Didier Deschamps auf Tolisso. Dabei lief für den Mittelfeldspieler nicht immer alles nach Plan.
t-online.de-Korrespondentin Valeria Meta schreibt in Ihrer International-Kolumne über Tolisso und erklärt, warum er einst aus dem Wohnheim von Olympique Lyon flog.
Vielen ist gar nicht bewusst, dass Tolisso nicht nur auf dem Feld starke Leistungen gebracht hat: In der Schule waren seine Lehrer mit ihm so zufrieden wie seine Trainer bei OL. Das Abitur war für ihn so wichtig wie die Profi-Karriere. „Corentin war ein fleißiger und sehr disziplinierter Schüler“, erzählte die Schulleiterin seines ehemaligen Gymnasiums Florence Recorbet der Zeitschrift „So Foot“.
Tolisso lernte das Kicken im Garten
Das bestätigte auch Vater Vincent, der aus Togo stammt und als Trainer in der französischen Regionalliga gearbeitet hat: „Ich habe ihm immer gesagt: Bildung hält für immer, Fußball ist zeitweilig. Und die Intelligenz im Leben wird immer auf dem Feld umgesetzt“. Diese Lektion lernte der junge Corentin während der Fahrten zwischen seiner Stadt Thizy und dem Trainingsgelände von Olympique Lyon: Fast sieben Jahre lang holte ihn sein Vater von der Schule ab und brachte ihn zum Training. Während Vincent fuhr, machte Corentin auf dem Beifahrersitz seine Hausaufgaben.
Genau der Fleiß ist das Geheimnis des Erfolgs des 22-Jährigen aus Tarare, der nun erstmals sein Heimatland verlässt, um beim FC Bayern zum Nachfolger von Xabi Alonso zu werden. Hätte er keinen derart unbändigen Willen, hätte er den Fußball schon aufgegeben. Tolisso ist im wahrsten Sinn des Wortes ein hausgemachter Spieler: „In unserer Stadt gibt es keine Parks“, erzählte sein Vater, „Aber zum Glück hatten wir bei uns zu Hause einen großen Garten. Dort fing Corentin an, Fußball zu spielen“.
Es begann mit einem Hattrick – gegen Lyon
Die Karriere von Tolisso, sie begann mit einem Hattrick – den er aber ausgerechnet gegen Lyonnais erzielte. Damals kickte er beim FC du Pays de L’Arbresle, dem Geburtsort von OL-Präsident Jean-Michel Aulas und Trainer Rémi Garde. Dank seiner drei Tore hielt die Mannschaft ein unerwartetes 4:4-Remis. "Gerade nach dem Spiel informierte sich Lyon über ihn“, erzählte Tolissos damaliger Trainer Laurent Vidican, „Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihnen zu versprechen, dass der Junge einmal ihrem Klub beitreten würde“. Was tatsächlich 2007 geschah: „Als 'Coco' bei uns ankam, galt er als die Verkörperung von Lebensfreude“, sagte sein erster Trainer bei OL, Cyrille Dolce der französischen Website „20minutes.fr“, "er dachte nur an das Spiel, ohne sich Pläne für die Zukunft zu machen“.
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Dennoch hätte die Magie gerade zwei Jahre später verschwinden können: Da er zu klein und schlank war, bestand er nur knapp den Test vor der echten Trainingsphase. Der Klub erlaubte ihm, in der U17 zu bleiben, aber er musste das OL-Internat verlassen und sich von Freunden seiner Eltern unterbringen lassen. „Corentin war unser bester Torjäger, aber irgendwie bevorzugte Lyon andere Jungs“, erzählte sein damaliger Mitspieler Yoann Nanou, der heute in der Regionalliga kickt und mit Tolisso noch befreundet ist.
Verletzung als Initialzündung
Die Lösung fand der Junge auf unerwartete Weise. Mit 17 Jahren zog er sich eine Knie-Verletzung zu, die ihn zu einer Meniskus-Operation zwang: Während der Reha arbeitete er so hart und fleißig, dass er seinen Körperbau veränderte, indem er kräftiger und dadurch explosiver wurde. Nun schien er endlich bereit, sich der ersten Mannschaft anzuschließen.
Trainer Rémi Garde nahm sofort wahr, dass der 19-jährige "Coco" über ausgezeichnete Qualitäten verfügte: Die Ruhe, mit der er das Spiel beherrschte, war bei einem so jungen Spieler kaum zu erwarten. Zudem konnte er genaue Pässe spielen, Vorlagen geben und auch direkt ins Tor schießen. Und dann kam plötzlich das Unwetter. Im Oktober 2015 geriet er in die Schlagzeilen wegen eines Streits mit dem Kollegen Lindsay Rose, was die Zeitungen sogar als "Abrechnung" zwischen den "Gangs von Lyon“ beschrieben.
Vorwürfe gegen Tolisso
Es wurde von einem zerstrittenen Kader berichtet, als seien dort gegensätzliche Parteien. Vor allem warf man Tolisso vor, er sei abgehoben. "Es fiel mir besonders schwer, damit umzugehen“, gestand Corentin vor einem Jahr in einem Interview bei "Le Parisien“, "Ich habe schon viele Menschen gesehen, die abgehoben sind. Deswegen habe ich mir vorgenommen, immer derselbe zu bleiben“.
Auf die Kritiken antwortete er auf dem Feld: In der Saison 2015/16 absolvierte er alle 38 Spiele der Ligue 1, erzielte fünf Tore und bereitete sechs weitere vor. Ein darauf folgendes Angebot vom SSC Neapel lehnte er ab. Am 28.März 2017 debütierte er im Trikot der "Bleus“ im Freundschaftsspiel gegen Spanien. Für Togo zu spielen kam nie wirklich infrage: "Ich verleugne nicht meine togolesischen Wurzeln, aber ich bin geboren und aufgewachsen in Frankreich“, erklärte er. Die Erfahrung bei der Nationalmannschaft bereitete ihm zunächst ein paar Schwierigkeiten, nicht aber auf dem Feld.
Zwei Probleme: Singen und Pressekonferenzen
Vor dem Spiel musste er nämlich das Aufnahmeritual über sich ergehen lassen. Das bedeutete, vor der ganzen Mannschaft singen zu müssen. "Zum Glück war ich nicht der einzige Neue dabei. Als ich das bei OL allein machen musste, war es noch unangenehmer“. Weiteres Problem: Die Pressekonferenz. Wer Tolisso kennt, weiß, dass er nicht gern öffentlich spricht.
Stéphane Roche, Leiter des OL-Nachwuchszentrums, macht sich darüber Sorgen: „Ich kann mir kaum vorstellen, wie es bei seiner ersten Pressekonferenz in Deutschland laufen wird. Coco hat in der Schule Spanisch gelernt, aber Deutsch…“ Sowohl Carlo Ancelotti als auch die Journalisten können trotzdem ruhig bleiben: Musterschüler Tolisso wird so lange kämpfen, bis er seine Aufgaben bewältigt bekommt – egal, ob im Mittelfeld oder im Sprachkurs.