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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nervenschlacht im Finale Eiskalt vor der blauen Wand
Zuletzt waren die Fans von Eintracht Frankfurt in der Europa League meist lauter als die des Gegners. Im Finale gegen die Glasgow Rangers war es lange Zeit anders. Bis sich schlagartig alles änderte.
Zehntausende Fans der Rangers aus Glasgow hatten den Großteil des Estadio Ramón Sánchez-Pizjuán in der Farbe ihres Vereins gefärbt. Ihre noch viel größere Leistung war: Sie überstimmten die seit dieser Europa-League-Saison so berühmt-berüchtigten Fans von Eintracht Frankfurt. Wenn es die Schotten wollten, zogen sie den Sangesbrüdern und -schwestern aus Hessen mit links den Stecker. Beim Elfmeterschießen auf der Rangers-Seite wurde jeder Frankfurter Spieler mit einem Pfeifkonzert empfangen.
Doch als Rafael Borrés Elfmeter das Tornetz berührte, kollabierte die imposante blaue Wand vor dem Frankfurter Stürmer.
Ganz Europa hörte Frankfurt
Mit 6:5 nach Elfmeterschießen siegte die SGE gegen den schottischen Rekordmeister und krönte sich so zum Titelträger der Europa League. 42 Jahre nach dem letzten Erfolg in dem Wettbewerb, der einst noch Uefa-Pokal hieß, werden die Fans am Römer wieder eine internationale Trophäe zu bestaunen haben.
Das haben sie vor allem der Unbekümmertheit und dem Mut ihrer Mannschaft zu verdanken. Unbekümmert, weil sie den Gegner über weite Phasen der Partie zwang, das Spiel zu machen, unbekümmert, weil sie auch nach dem 1:0 durch den katastrophalen Bock Tutas weiter ihr Ding – intensives Anlaufen, schnelles Umschaltspiel, Fokus auf die Gefahrenkreation über die Flügel – durchzog.
Mutig, weil die Frankfurter auch nach dem 1:1 durch Borré mit vollem Einsatz auch in Strafraumnähe in die Zweikämpfe gingen, mutig, weil sie sich im Elfmeterschießen der bereits erwähnten blauen Rangers-Wand stellten. In einem offenen Brief schrieb die Mannschaft vor dem Endspiel an ihre Fans, sie spüre ihre Energie. Dass dies keine leere Worthülse war, wurde beim High Noon vom Punkt deutlich. Alle fünf Frankfurter Schützen versenkten den Ball hinter dem ansonsten großartig aufgelegten Rangers-Keeper Allan McGregor. Der eingewechselte Christopher Lenz hatte nach seinem Elfmeter sogar noch die Chuzpe, den Zeigefinger auf den Mund zu legen und die Glasgower um Ruhe zu bitten. Die Provokation des Frankfurters zeigte Wirkung. Die Fans der Rangers antworteten mit Pfiffen, Gesten und Beleidigungen.
Der Moment zeigte aber auch: Die Zeit war gekommen, dass man die SGE in ganz Europa hörte.
Und das tat man auch, spätestens nach Borrés finalem Elfmeter. Die Frankfurter Kurve, ganz in Weiß gehüllt, explodierte. Noch während sich die Hessen in den Armen lagen, leerten sich die Ränge auf der anderen Seite des Spielfelds bereits im Rekordtempo. Die Enttäuschung bei den Rangers-Fans war groß. Seit 60 Jahren wartet der Verein auf einen Europapokalerfolg, über 100.000 aus Schottland mitgereiste Anhänger wollten diese Durststrecke mit ihrer schieren Präsenz knacken. Sie waren nah dran, doch das Zauberstück gelang ihnen schlussendlich doch nicht.
Grund zum Feiern haben nur die Frankfurter. Und das wird man sicher noch den ganzen Donnerstag in Sevilla und den Flughäfen Spaniens vernehmen. Wenn die weiße Wand Überhand nimmt.
- Eigene Beobachtungen vor Ort