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Berti Vogts zur Zukunft der deutschen Nationalmannschaft: Wacht auf!


Meinung
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Die Zukunft der Nationalmannschaft
Eine schlechte Wahl

MeinungEine Kolumne von Berti Vogts

Aktualisiert am 29.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Eine Szene von Thomas Müller aus dem Spiel gegen Israel: Ex-Bundestrainer Berti Vogts war mit der deutschen Leistung nicht einverstanden.Vergrößern des Bildes
Eine Szene von Thomas Müller aus dem Spiel gegen Israel: Ex-Bundestrainer Berti Vogts war mit der deutschen Leistung nicht einverstanden. (Quelle: t-online/imago-images-bilder)

Nach einem blutleeren Auftritt gegen Israel kommt es jetzt zum großen Prestigeduell. Diese Partien sind nicht gut ausgewählt, denn im WM-Jahr bleibt dafür eigentlich keine Zeit.

Es ist kein gutes Zeichen, wenn ich zu Hause auf der Couch sitze und mir während eines Länderspiels unserer deutschen Nationalmannschaft über andere Dinge Gedanken machen muss. Am vergangenen Samstag war das aber leider mal wieder so. Und nach 70 Minuten habe ich dann meine Fernbedienung genommen und ausgeschaltet.

Ja, wir haben 2:0 gegen Israel gewonnen (hier erfahren Sie mehr zur Partie), aber wie haben wir gewonnen: Wo war die Leidenschaft? Wo der unbedingte Wille, auf das dritte Tor zu gehen? Das Spiel plätscherte so vor sich hin. Dabei muss die Nationalmannschaft zum Start in das WM-Jahr 2022 doch vor Spielfreude strotzen. Zumindest habe ich mir das gewünscht. Ich wollte den Spielern am Samstag vor dem TV am liebsten zurufen: Wacht auf! In knapp acht Monaten startet die Weltmeisterschaft in Katar. Viele Möglichkeiten, um euch zu beweisen, habt ihr nicht mehr. Also nutzt die Chance. Immerhin waren ja viele Stammspieler wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka nicht dabei. Was ist nur los? Genau das sind die Augenblicke, in denen du als Reservist oder neuer Spieler zeigen kannst, aus welchem Holz du geschnitzt bist. "Trainer, Trainer, ich will spielen", hätten sie Hansi Flick zurufen sollen, "Trainer, Trainer, ich haue alles rein, siehst du das? Siehst du es?" Diesen Biss verlange ich von all unseren Nationalspielern. Aber die Leistung gegen Israel war blutleer.

Noch ein anderer Punkt ist mir in diesem Zusammenhang wichtig.

Grundsätzlich finde ich es gut, wenn wir auch aufgrund der besonderen historischen Beziehung zwischen Deutschland und Israel regelmäßig Spiele gegeneinander absolvieren. Ich selbst bin damals mit Borussia Mönchengladbach – erstmals 1970 – und dann später auch mit der Jugendnationalmannschaft nach Israel geflogen, um dort zu spielen. Aber im WM-Jahr finde ich diesen Gegner schlecht ausgewählt. Wir müssen uns doch in den wenigen Tests, die wir haben, auf das Turnier vorbereiten. Gerade unsere neuen, jungen Nationalspieler sollten nun Erfahrungen in Testpartien gegen Südamerikaner oder Afrikaner sammeln, um den Spielstil und die Mentalität zu verstehen. Denn auf diese Teams treffen wir bei der WM, nicht aber auf Israel. Wir sind früher als Nationalmannschaft um den halben Globus geflogen, um genau solche Erfahrungen zu sammeln. Das war wichtig und hat uns in den Turnieren extrem geholfen.

Flick macht es genau richtig

Aber ich will auch nicht zu pessimistisch sein. Der neue Bundestrainer Hansi Flick hat acht Partien in Folge gewonnen. Und auch wenn es keine Topmannschaften waren, gegen die gespielt wurde, muss man das erst mal schaffen. Ich bin beeindruckt, mit welcher Leidenschaft Hansi seinen neuen Job angeht. Ich sehe ihn andauernd im TV auf irgendwelchen Tribünen in Bundesliga-Stadien. Mal in München, dann wieder in Dortmund oder Berlin. Ein Bundestrainer muss unterwegs sein, Leute treffen, viele Spiele sehen. Denn das hilft ihm selbst, aber eben auch den Nationalspielern. Sie fühlen sich gesehen.

Stichwort "sehen". Wen wir bei der WM in Katar nicht sehen werden, ist die Nationalmannschaft von Italien. Das Team von Trainer Roberto Mancini ist in den WM-Playoffs gegen Nordmazedonien krachend gescheitert. Und viele Fußballfans freuen sich sogar darüber. Ich aber nicht. Ich bin enttäuscht und traurig. Denn eine WM ohne Italien ist keine WM. Die Italiener gehören unbedingt dazu. Diese Spieler, ihre Hymne, die herrlichen blauen Trikots, ihre Leidenschaft, die Schlitzohrigkeit – all das wird in Katar fehlen. Italien ist vielleicht an der eigenen Überheblichkeit nach dem EM-Sieg gescheitert. Das sollte auch uns Deutschen für die Zukunft eine Warnung sein.

Aber im Augenblick haben wir unsere eigenen Probleme.

Ein Thema, welches ich überhaupt nicht verstehe, ist beispielsweise die Diskussion um Nationalverteidiger Matthias Ginter. Der steht noch bis Saisonende bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag. Aktuell spielt er keinen guten Fußball, und das liegt sicher auch an den Diskussionen über seine Zukunft. Er sagte ja selbst gerade erst gegenüber dem "RND": "Diesen Trubel kannte ich bisher nicht. Diese vielen Baustellen auch abseits des Sportlichen haben sicher nicht dazu beigetragen, dass es auf dem Platz besser lief."

Ginter soll noch mal nachdenken

Und Ginter hat sich wohl immer noch nicht entschieden – was auch eine Chance sein kann. Ich kann ihm empfehlen, noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken. Denn er passt sehr gut zu Gladbach, vielleicht sollte er sich sogar doch noch mal umentscheiden und seinen Vertrag verlängern. Bei Gladbach ist er wichtig, beim FC Bayern – mit dem er immer wieder in Verbindung gebracht wird – wäre er nur einer von vielen. Und ich glaube nicht, dass Ginter dort Stammspieler wäre.

Ich beneide die Fußballer dieser Generation überhaupt nicht. Du hast immer mindestens einen Berater am Ohr sitzen, der dir einflüstert, wie wichtig das Geld ist. Ich weiß nicht genau, wie es bei Ginter ist, aber sollte es auch bei ihm so sein, kann ich nur empfehlen, sich davon zu lösen und lieber komplett auf sich selbst zu hören. Kein Geld der Welt kann die Freude am Fußball ersetzen.

Auch ich hatte als junger Spieler mal ein Angebot vom FC Bayern. Damals wollte mich der Franz Beckenbauer unbedingt nach München holen. Wir kannten uns ja aus der Nationalmannschaft.

Es gab Gespräche im Rahmen eines DFB-Lehrgangs dazu. Trainer der Bayern war damals Dettmar Cramer. Ich fühlte mich geschmeichelt, aber ich machte Beckenbauer und Cramer schnell klar, dass es für mich nur einen Verein gibt: und zwar die Borussia aus Mönchengladbach. Mein Zuhause. Solche klaren Entscheidungen gegen den Strom würde ich mir auch heutzutage häufiger mal von unseren Fußballern wünschen. Geld und Prestige sind doch nicht alles.

Am heutigen Abend nun trifft Ginter mit der deutschen Nationalmannschaft auf die Niederlande. Für beide Seiten ist das die Partie schlechthin. Ich freue mich darauf und hoffe, dass ich dieses Mal nicht nach 70 Minuten gelangweilt den TV ausschalten muss. Und trotzdem ist auch das leider keine Partie, wie ich sie mir in dieser Phase der WM-Vorbereitung wünsche. Gegen die Niederländer geht es um wirklich alles, vor allem um die Ehre. Es wird viel zu wenig Möglichkeiten für Flick geben, um neue Dinge auszutesten. Dabei wäre genau das dringend nötig.

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