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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Total unverhältnismäßig" Aktion für autofreie Straße in Wuppertal endet mit Polizeieinsatz
Der Polizeieinsatz bei einer Aktion für eine autofreie Straße in Wuppertal sorgt für Diskussionen. Nun hat die Behörde ihr Vorgehen gerechtfertigt. Das eigentliche Anliegen der Veranstalter geriet dabei in den Hintergrund.
In Wuppertal sind viele Menschen fassungslos über das Vorgehen der Beamten, die eine Aktion zur autofreien Friedrich-Ebert-Straße am Freitag nach gut zweieinhalb Stunden aufgelöst hatten. Zuvor hatten Umweltschutzvereine mit zahlreichen Mitmach- und Musikaktionen friedlich in einem abgesperrten Bereich für eine autofreie Straße geworben.
"Das Verhalten der Polizei war für mich in keinster Weise nachvollziehbar. Wir haben die Abstände eingehalten und Masken getragen", sagt Lorenz Hoffmann-Gaubig, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs Wuppertal (ADFC).
Veranstalter wirft Polizei Rassismus vor
Die Stimmung schlug um, als der Trommler einer Sambagruppe seine Maske nicht korrekt trug und die Polizei einschritt. "Es handelte sich dabei um einen Schwarzen Musiker. Er musste seinen Ausweis zeigen und erhielt eine Anzeige. Darauf warf unser Mitglied Reinhold Weber einer Polizistin Alltagsrassismus vor. Das finde ich auch angemessen", sagt Hoffmann-Gaubig.
Eine Ermahnung für den Trommler hätte gereicht, findet er. Der Polizei reichte es danach auch, via Lautsprecher-Durchsage löste sie die vom ADFC angemeldete Versammlung auf. Kurios: Vor der Laurentiuskirche hatte sich nach Einschätzung von Hoffmann-Gaubig eine Hochzeitsgesellschaft mit zahlreichen Personen eingefunden, die allesamt keine Maske trugen. "Da hat die Polizei erst spät Masken eingefordert", so Hoffmann-Gaubig.
Mutter mit Kinderwagen erhält Anzeige
Auch Katharina Pfeiffer, die sich bei den teilnehmenden Umweltaktivisten von "Extinction Rebellion" engagiert, bezeichnete das Polizeiverhalten als "total unverhältnismäßig". "Nach der Auflösung sollten wir uns schnell einzeln entfernen. In der Luisenstraße standen wir an einer engen Stelle kurz zusammen, um ein durchfahrendes Auto vorbeizulassen. Da bekam eine Mutter mit Kinderwagen eine Anzeige von der Polizei, weil sie nicht schnell genug weiterging", sagt Pfeiffer. Sie spricht auch von schockierten Café-Besuchern am Laurentiusplatz, die die Polizeiaktion nicht nachvollziehen konnten.
Die Polizei begründete die Auflösung laut eines Sprechers mit dem Verstoß mancher Teilnehmer gegen die Corona-Regeln. Es sei nach einer Ermahnung wiederholt zu Missachtungen gekommen, so ein Polizeisprecher. Sieben Anzeigen wurden ausgestellt, darunter gleich zwei gegen den Versammlungsleiter Reinhold Weber wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und übler Nachrede, weil er der Polizei rassistische Motivation vorgeworfen habe, so der Sprecher.
Aktion wollte für autofreie Straße werben
Dass sich das Bündnis mehrerer Umweltschutzvereine ausgerechnet die Friedrich-Ebert-Straße für den Park(ing) Day ausgesucht hatte, war kein Zufall. "Das ist ein signifikanter Punkt, wo viele Menschen vorbeikommen und ein typischer Bereich, wo man Autos heraushalten kann", sagt Hoffmann-Gaubig.
Die Stadt sei zu schade, um sie mit Blech vollzuparken. Die Leute hätten es genossen, im Café zu sitzen, ohne dass Autos vorbeigerauscht wären, so der ADFC-Vorsitzende. Auch Pfeiffer spricht von "schönen Gesprächen" mit Passanten, die offen für eine autofreie Straße seien. "Viele wünschen sich hier vor allem mehr Bänke und mehr Grün", sagt Pfeiffer. Oder schlichtweg mehr Raum. Damit Kinder zum Beispiel Radfahren lernen.
"Innenstädte müssen frei von Autos sein"
"Es ist ganz klar, dass die Innenstädte in Zukunft frei von Autos sein müssen. Es geht um bessere Luft und weniger Lärm für Passanten und Anwohner und eine Attraktivitätssteigerung im Viertel", so Pfeiffer.
Allerdings ist nach Informationen von t-online nicht jeder betroffene Einzelhändler von der Idee einer autofreien Friedrich-Ebert-Straße begeistert. "Parkplätze sind für viele Kunden wichtig, die nicht gut zu Fuß sind oder etwas transportieren möchten", sagt eine Händlerin. "Die Gemüter hier im Viertel würden bei einer Diskussion darüber hochkochen", sagt eine andere Geschäftsfrau.
Umdenken im Einzelhandel gefordert
Hoffmann-Gaubig fordert dennoch ein Umdenken und mehr Kreativität vom Einzelhandel. "Es könnte ein zentraler Anlieferungspunkt beispielsweise am Hauptbahnhof geschaffen werden, wo die Händler die gekauften Sachen abliefern, die Kunden sie abholen und dann mit dem ÖPNV nach Hause fahren."
Dass noch dicke Bretter für eine autofreie Innenstadt in Wuppertal gebohrt werden müssten, zeigen auch die Reaktionen aus der Politik. OB-Kandidat Uwe Schneidewind (Grüne/CDU) ist vor der Stichwahl kein klares Bekenntnis zu einer beispielsweise autofreien Friedrich-Ebert-Straße abzuringen. Dies sei eine Diskussion, die mit Ängsten besetzt sei. Man müsse in Ruhe Erfahrungen aus anderen Städten diskutieren und eine Entscheidung nicht mit der Brechstange erzwingen. "Nichts ist schlimmer, als sich mit diesem Thema in Gräben zu verkeilen", so Schneidewind gegenüber t-online.
Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD) äußerte sich nicht gegenüber t-online. Die Meinung der Sozialdemokraten zum Thema ist aber bekannt. So sprach sich Fraktionschef Klaus Jürgen Reese kürzlich noch gegen eine autofreie Innenstadt aus.
Wuppertal ist in Umsetzung "langsam"
Von der scheint Wuppertal also weit entfernt. Daran hat auch das 2017 veröffentlichte Leitbild "Autofreie Innenstadt Wuppertal-Elberfeld" des Wuppertal Instituts nicht allzu viel verändert. Darin heißt es, dass die Innenstadt von Wuppertal Elberfeld im kommenden Jahrzehnt konsequent und Schritt für Schritt zu einem autoverkehrsfreien Stadtteil entwickelt werde. Entstanden ist bislang eine Mobil-Station auf dem Elberfelder Ölberg.
Radfahrer Hoffmann-Gaubig spricht zwar von einem bei dieser Thematik "langsamen Wuppertal", ist aber überzeugt: "In zehn Jahren muss zwangsläufig die Innenstadt autofrei sein. Aber ich wäre enttäuscht, wenn es so lange dauern würde."
- Gespräche mit den im Text Genannten
- Eigene Recherchen