Strafprozess "Heute wird geschwiegen": Prozess um Vierfachmord gestartet
Nach dem verheerenden Feuer von Solingen, bei dem eine vierköpfige Familie starb, hat der Prozess gegen einen mutmaßlichen Vierfachmörder begonnen. Der Richter mahnt zur Fairness.
Viele Zuschauer und Nebenkläger im Gerichtsaal tragen schwarze T-Shirts mit dem Foto der ermordeten Familie. "Gerechtigkeit" steht darunter. Es fließen Tränen. In Wuppertal hat am Landgericht der Prozess gegen einen mutmaßlichen Brandstifter und Macheten-Angreifer wegen vierfachen Mordes und zahlreicher Mordversuche begonnen.
Der Vorsitzende Richter Jochen Kötter spricht den zum Teil aus Bulgarien angereisten Angehörigen sein Beileid aus und mahnt "bei aller Emotionalität" zur Fairness. Festzustellen, ob "der, der hier sitzt, es auch wirklich getan hat, ist das Ziel der Hauptverhandlung". Dann sagt er, dass im Fall einer Verurteilung für den 40-jährigen Solinger zusätzlich Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte.
Keine Aussage
Der mutmaßliche Feuerteufel und Macheten-Mann wirkt wie der unscheinbare Nachbar von nebenan. Er trägt einen Anorak mit dunklem Hoodie und einen Seitenscheitel. Die Hoffnung auf sein Teilgeständnis zum Prozessauftakt wird jäh zerstört: "Heute wird geschwiegen", kündigt Verteidiger Marc Françoise an. Die angekündigte Aussage? "Am nächsten Verhandlungstag."
Daraufhin wird der Prozess unterbrochen. Auf dem Gerichtsflur erzählt der Vater, der bei dem Feuer am 25. März vergangenen Jahres in Solingen Sohn, Schwiegertochter und Enkelkinder verlor, dass vor dem Haus während des Feuers das neue Auto der Familie parkte. Zwei Tage zuvor gekauft. In der Brandnacht federte es die lebensrettenden Sprünge der Nachbarn in die Tiefe ab, daher die Beulen im Dach. Seinem Sohn half das nicht: Er wohnte mit seiner Familie im Dachgeschoss, aus dem es kein Entrinnen gab.
Weil das hölzerne Treppenhaus brannte, war der jungen bulgarischen Familie der Fluchtweg versperrt. Das verheerende Feuer, das vier Menschen das Leben kostete und mehrere schwer verletzte, weckte in Solingen fürchterliche Erinnerungen an den Brandanschlag von Neonazis im Jahr 1993. Doch ein Rechtsextremist ist der Angeklagte nicht, sagen die Ermittler.
Streit mit Vermieterin das Motiv?
Vielmehr könnte er das Feuer aus Rache wegen eines Streits mit seiner Vermieterin gelegt haben: Er selbst wohnte im Hinterhaus, bis er die Kündigung bekam. Aufnahmen aus Überwachungskameras brachten die Ermittler auf seine Spur. Er soll der Mann mit dem Rucksack sein, der in der Brandnacht gleich mehrmals von Kameras erfasst wurde. Mehrfach soll er sich dem späteren Brandhaus genähert haben - als einziger in der fraglichen Zeit.
Laut Anklage hatte er bereits im November 2022 versucht, das Haus in Flammen aufgehen zu lassen. Doch anders als im März 2024 konnte die Feuerwehr damals die Flammen löschen, bevor es zur "Durchzündung des hölzernen Treppenhauses kam", wie der Staatsanwalt berichtet.
Die Ermittler hatten bereits einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Verdächtigen beantragt, als sich in Solingen am 8. April ein weiteres grauenhaftes Verbrechen ereignete: Mit einer Machete und zwei wuchtigen Hieben soll der Deutsche versucht haben, einem fünf Jahre älteren Mann die Kopfhaut abzutrennen, ihn also zu skalpieren. Zuvor soll es zwischen ihnen Streit um ein gescheitertes Drogengeschäft gegeben haben. Das Opfer überlebte mit schweren Kopfverletzungen.
"Ihr sucht mich"
Als Polizisten kurz darauf an der Wohnadresse des Verdächtigen vorfuhren, sei der, noch bevor sie klingeln konnten, mit erhobenen Händen aus dem Haus gekommen und habe gesagt: "Ihr sucht mich." Dabei habe er klar und nüchtern gewirkt, sagt einer der Polizisten als erster Zeuge des Prozesses aus.
Dann ergibt ein DNA-Abgleich, dass Spuren des Angeklagten auch noch an einem anderen Brandort gesichert wurden. Auch dort soll er versucht haben, ein bewohntes Haus anzuzünden. Warum, ist völlig unklar. Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt spricht von einem Indizienprozess. Bis Mitte März sind für den Fall zehn Verhandlungstage angesetzt.
- Nachrichtenagentur dpa