Wolfsburg Klimaschützeraktion: VW fühlt sich missverstanden
Binnen weniger Tage haben Umweltaktivisten am Freitag zum zweiten Mal gegen Volkswagen protestiert. Etwa 40 Demonstranten drangen auf eine Baustelle sowie auf das Gelände am konzerneigenen Kraftwerk der Zentrale in Wolfsburg ein. Einige ketteten sich an Schienen und Baggern fest. Damit wollten sie auf die Dringlichkeit einer "konsequenten Mobilitäts- und Energiewende" hinweisen. Der Autohersteller wies Vorwürfe zurück, den Klimawandel nicht entschieden genug mit zu bekämpfen. Auch in der Politik stieß das Vorgehen der Aktivisten teils auf Kritik.
Eine Aktivistin sagte: "Wir rasen unaufhaltsam in die Klimakatastrophe." Seit Jahren sei klar, dass ein anderes Verkehrssystem aufgebaut werden müsse. "Konzernen wie VW ist das egal, sie heizen die Krise lieber weiter an und ziehen daraus auch noch fette Gewinne." Aus Sicht der Demonstrierenden ist das schrittweise Umschwenken auf Elektromobilität keine hinreichende Abhilfe - auch solche Autos würden "die Städte verstopfen". Nötig seien andere Lösungen wie ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr, autofreie fahrradgerechte Städte und der Ausbau des Schienennetzes.
VW-Konzernchef Herbert Diess argumentiert vor allem mit den schon umgesetzten und noch geplanten Investitionen in die E-Mobilität. "Wir sind Treiber der Transformation zu nachhaltiger Mobilität", sagte er der "Braunschweiger Zeitung" (Samstag). Die Kritik der Aktivisten gehe insofern "an die falsche Adresse". Er sei jedoch "dialogbereit, wenn es um echten Dialog geht, zum Beispiel um die Frage, ob VW genug tut gegen den Klimawandel." Sorgen junger Leute seien verständlich.
Ein Sprecher des Autobauers hatte zuvor erklärt, man setze sich aktiv für einen schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien auch in den Produktionsprozessen ein und habe sich als erster Autohersteller zu den Pariser Klimazielen bekannt. Zu der Aktion hieß es: "Wir dulden keine Gesetzesverstöße, die mit derlei Aktionen von den handelnden Personen begangen werden." Rechtliche Möglichkeiten würden geprüft.
Die Wolfsburger stecken in den kommenden Jahren eine hohe zweistellige Milliardensumme in die Erweiterung ihrer Palette an E-Fahrzeugen und Vernetzung. Zudem sollen die Standorte in mehreren Etappen künftig mit Ökostrom versorgt werden. Kritiker monieren allerdings etwa, dass parallel dazu der Absatz von Hybridautos mit ergänzenden Verbrennungsmotoren wächst. Außerdem wird bemängelt, dass der VW-Konzern - anders als manche anderen Autobauer und ganze Länder - kein fixes Zieldatum für den Ausstieg aus fossilen Antrieben nennt.
"Ich bin der Überzeugung, dass wir nicht viel mehr tun können", sagte Diess der "Braunschweiger Zeitung". E-Autos würden sich weiter durchsetzen. Und die Lade-Infrastruktur sei noch lückenhaft, werde sich jedoch verbessern.
Die Mitglieder der Gruppe "Runter vom Gas" meinten, VW halte an klimaschädlicher Mobilität fest. Die Art des Protests aber wollte auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) nicht gutheißen. Es sei legitim, auf Gefahren des Klimawandels hinzuweisen, sagte er. "Aber wo Gesetze gebrochen werden und in das Eigentum anderer eingegriffen wird, muss eine klare Grenze gezogen werden."
Erst vor wenigen Tagen hatten Greenpeace-Mitglieder im Emder Hafen, von wo aus viele Autos verschifft werden, mehrere Hunderte Schlüssel versandfertiger VW-Neuwagen entwendet und auf die Zugspitze in Bayern gebracht. Die Umweltorganisation kritisierte damit abermals, dass VW nach ihrer Meinung zu langsam auf die Elektromobilität umsteigt. Diess reagierte vorerst nur mit einem ironischen Tweet auf die Aktion - bot aber auch an, für ernsthafte Gespräche bereitzustehen.
Insbesondere zwischen Greenpeace und VW gab es schon öfter öffentlich ausgetragene Hakeleien. Mehrfach organisierten Aktivisten Proteste am Stammwerk, wo sie Transparente von Gebäuden herabließen. 2012 kaperten sie eine VW-Hauptversammlung, der damalige Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch nannte sie "Unruhestifter". Vor einigen Jahren verballhornte Greenpeace die Konzernzentrale in einem Internet-Video als "Todesstern" der Star-Wars-Saga - als Gegen-Spot zur TV-Werbung "Die Macht" von VW. Der Konzern reagierte mit einer Mischung aus Verschnupftheit und augenzwinkernder Anerkennung der "Kreativität".
Am Wochenende wollen Demonstranten an mehreren Orten im Norden mit Fahrradkorsos gegen Autobahn-Neubauprojekte protestieren und eine umfassende Verkehrswende fordern. Allein gegen die Verlängerung der Küstenautobahn 20 von Bad Segeberg in Schleswig-Holstein bis nach Westerstede bei Oldenburg sind sechs Veranstaltungen angekündigt. Auch rund um Wolfsburg und Braunschweig soll es Aktionen geben.