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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bürgermeister kam als Flüchtling "Das führt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft"
Ryyan Alshebl kam als syrischer Flüchtling illegal nach Deutschland und ist seit April Bürgermeister in Ostelsheim. Nun fordert er, dass sich Flüchtlinge stärker in die Gesellschaft einbringen sollten – und erhebt schwere Vorwürfe.
Vor acht Jahren flüchtete Ryyan Alshebl aus seiner Heimat Syrien vor dem Krieg nach Deutschland – illegal. Sein Weg seit 2015 ist ein Paradebeispiel für Integration: Im April wurde der 29-Jährige als einer der jüngsten Bürgermeister in Baden-Württemberg gewählt und ist zugleich der erste Bürgermeister im Südwesten mit syrischer Herkunft.
Als Politiker ist er nun selbst gefordert, in seiner Gemeinde Ostelsheim Flüchtlinge unterzubringen – und blickt heute anders als vor acht Jahren auf illegale Migration, wie er im Gespräch mit t-online am Rande einer Veranstaltung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg erzählt. Von den Ergebnissen des Migrationsgipfels, der am Mittwoch im Kanzleramt stattfand, ist er ziemlich enttäuscht. Würde es nach ihm gehen, müssten sich Flüchtlinge stärker in die Gesellschaft einbringen.
t-online: Herr Alshebl, am Mittwoch fand der Migrationsgipfel im Kanzleramt statt. Sind Sie zufrieden mit den Beschlüssen?
Ryyan Alshebl: Nein. Das sind meiner Meinung nach doch nur Placebo-Beschlüsse ohne Wirkung. Dass man sich einbildet, dass ein Asylbewerber sich umentscheiden würde, nur weil sich der Migrationsgipfel auf Leistungskürzungen verständigt hat, ist doch absurd. Das vermittelt die Botschaft, dass alle Flüchtlinge nur nach Deutschland kommen würden, weil es in ihren Ländern keine Geldleistungen gibt. Die Menschen flüchten oft vor Krieg, wie auch ich im Jahr 2015 aus Syrien. Sicher, durch die Leistungskürzungen wird Geld eingespart. In dieser Hinsicht sind die Beschlüsse ein Erfolg. Die Anziehungskraft Deutschlands für illegale Migration wird dadurch aber nicht geringer.
Waren für Sie nach Ihrer Ankunft in Deutschland seinerzeit die Leistungen wichtig?
Ich habe damals Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz erhalten. Ich wäre sicher nicht da gelandet, wo ich heute bin, wenn ich diese Unterstützung nicht bekommen hätte. Wenn Flüchtlinge keinen Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu den Sozialsystemen erhalten, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie dann zum Beispiel zu Drogenhändlern werden. Aber noch einmal ganz wichtig: Das Geld war nicht der Grund für mich, weshalb ich mein Leben auf einem Schlauchboot riskiert habe, um nach Deutschland zu kommen.
Wenn Sie beim Migrationsgipfel im Kanzleramt Vorschläge hätten machen können, welche wären das gewesen?
Damit weniger Menschen illegal nach Deutschland flüchten, muss man meiner Meinung nach vor allem zwei Sachen machen: Es sollte möglich sein, legal Asylanträge in Herkunftsländern wie Tunesien oder Marokko zu stellen, die dann in Deutschland geprüft werden – eine Idee, die die CDU schon einmal vorgeschlagen hat und die ich gut finde.
Gleichzeitig würde ich die Sozialsysteme in Deutschland so umbauen, dass sie einem Einwanderungsland gerecht werden. Das bedeutet, dass es für Leistungen auch Gegenleistungen geben muss. So könnte man zum Beispiel festlegen, dass alle Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen und arbeitsfähig sind, hier verpflichtend ein soziales Jahr absolvieren müssen, um Geldleistungen zu erhalten – damit würde die Gesellschaft auch etwas zurückbekommen. Das hätte zugleich eine abschreckende Wirkung für Wirtschaftsflüchtlinge. Ich halte so ein Konzept auch moralisch für vertretbar, denn Einwanderung darf keine Einbahnstraße sein.
Seit dem Ausbruch des Kriegs in Israel gibt es fast an jedem Wochenende Pro-Palästina Demos in Deutschland, immer wieder kommt es dabei auch zu gewalttätigen Ausschreitungen. Müsste der Staat stärker einschreiten?
Das ist ein sehr schwieriges Thema. Alle, die sich radikalisieren, gehören aus meiner Sicht sofort abgeschoben. Wenn man etwas genauer hinschaut, stellt man aber fest, dass viele der Palästinenser, die jetzt demonstrieren, in den 1980er-Jahren nach Deutschland kamen. Es gab damals keinerlei Integrationskonzepte. Dass bei uns so viele Hamas-Anhänger leben, kommt also nicht von ungefähr. Darüber redet derzeit nur leider niemand.
Grundsätzlich sehe ich allerdings kein Problem darin, wenn Menschen friedlich für Palästina demonstrieren. Es wird derzeit vieles in einen Topf geworfen. Wenn man für Palästina auf die Straße geht, ist man schon automatisch ein Antisemit.
In der ohnehin derzeit gespaltenen Gesellschaft rumort es trotzdem, so dass die Zustimmungswerte für die AfD steigen. Macht Ihnen das Angst?
Ich habe kein Verständnis dafür, weshalb man die AfD als eine Lösung oder als Protest gegen die Regierung in Betracht zieht. Die AfD kritisiert viel, teilweise zu Recht, bietet aber keinerlei Lösungen oder Konzepte an. Übrigens macht nicht nur die Migration die AfD stark, sondern auch die Inflation. Sollte die AfD aber zum Beispiel in Thüringen an die Macht kommen, muss dies auch erst einmal akzeptiert werden. Es würde dann auch sehr spannend zu sehen sein, ob die AfD tatsächlich Lösungen bringt – vielleicht entzaubert sie sich auch von selbst auf diese Weise.
Im ZDF bei "Markus Lanz" haben Sie jüngst gesagt, dass eine legale Einwanderung nach Deutschland letztlich gar nicht möglich sei. In diesem Zusammenhang haben Sie am Beispiel Syriens schwere Vorwürfe gegen die zuständige Deutsche Botschaft erhoben und diese als korrupt bezeichnet – halten Sie daran fest?
Ja, das ist eine Tatsache. Mein jüngerer Bruder wollte legal ein Visum für Deutschland beantragen, um hier studieren zu können. Für einen Termin bei der Deutschen Botschaft sollte er dann plötzlich 400 Dollar bezahlen. Er hat das Geld zusammengekratzt. Danach bekam er den Termin und sein Antrag wurde abgelehnt. Ihm wurde somit nicht nur die Hoffnung auf eine legale Einwanderung genommen, sondern auch sein Geld.
In der Talkshow waren die anwesenden Politiker bestürzt über diesen Korruptionsvorwurf und wollten der Sache nachgehen – hat sich etwas getan?
Tatsächlich haben sich nach der Sendung die Bundespolizei und das Auswärtige Amt bei mir gemeldet. Die überraschende Nachricht für mich war dabei, dass diese Fälle von Korruption sowohl der Bundespolizei als auch dem Auswärtigen Amt offenbar bereits bekannt waren. Aber es hieß, man könne nichts dagegen machen, weil es sich um private Büros handle. Das ist ein Skandal! Die Botschaft vertritt immerhin die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundespolizei hat zumindest Kontakt mit meinem Bruder aufgenommen und ihn befragt.
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Weshalb wurde der Antrag Ihres Bruders eigentlich abgelehnt?
Weil er zu schlecht oder gar nicht Deutsch spricht.
Aber das galt für Sie damals ja auch und für die meisten Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, oder nicht?
Tja, aber ich kam illegal nach Deutschland, ich bin privilegiert gewesen ... Menschen, die legal hierherkommen wollen, traut man offenbar nicht zu, die Sprache zu erlernen.
Ryyan Alshebl
Der heute 29-Jährige flüchtete im Jahr 2015 aus Syrien vor dem Krieg. Auf einem Schlauchboot, das zu kentern drohte, landete er zunächst in Griechenland und schlug sich dann nach Deutschland durch. Er machte eine Ausbildung in der Verwaltung und war am Ende einer der besten Absolventen der Verwaltungsfachschule. Im April 2023 wurde er mit großer Mehrheit in Ostelsheim im Landkreis Calw zum Bürgermeister gewählt. Seine Eltern gehören der Glaubensgemeinschaft der Drusen an. Er selbst praktiziere keine Religion, wie er sagt. Er gehört der Partei Bündnis 90/Die Grünen an.
Schaffen Sie es in Ostelsheim, die Ihnen zugeteilten Flüchtlinge alle unterzubekommen?
Wir haben sehr überschaubare Kapazitäten. Doch jetzt sagt mir mein Landkreis plötzlich, ich muss 28 Flüchtlinge unterbringen. Das mag nicht enorm klingen, aber in Ostelsheim entspricht das 1,2 Prozent meiner Bevölkerung. Die gute Nachricht ist: Meine Gemeinde wächst, aber die schlechte Nachricht ist, dass ich als Gemeinde selbst Immobilienmakler werden muss, um Wohnungen für diese Menschen zu finden.
Momentan haben wir nur Kapazitäten für 15 der 28 zugeteilten Flüchtlinge. Was mit den anderen 13 passiert, kann ich nicht sagen. Klar, ich kann sie in Turnhallen unterbringen – doch das birgt sozialen Sprengstoff und führt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Für mich sind die Zuteilungs-Mechanismen nicht transparent. Wir haben Gemeinden, die überhaupt keine Flüchtlinge bei sich aufnehmen – wieso, weiß keiner.
Fällt es Ihnen angesichts Ihrer eigenen Fluchtgeschichte schwer, bei solchen Themen objektiv zu bleiben?
Ja, das fällt mir durchaus schwer. Ich weiß, dass ich das große Glück hatte, schon 2015 hierherzukommen. Wäre ich jetzt gekommen, wäre ich aller Voraussicht nach niemals Bürgermeister geworden.
Wieso denken Sie das?
Die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen ist mittlerweile deutlich zurückgegangen. Deutschland ist migrationsmüde geworden. Ich würde heute sicher nicht mehr die Unterstützung aus der Gesellschaft bekommen, die ich von 2015 bis 2023 hatte, um einen erfolgreichen Weg in Deutschland gehen zu können, angefangen von meiner Ausbildung in der Verwaltung bis hin zum Bürgermeisteramt.
Ihre Eltern leben weiterhin in Syrien – was sagen sie zu Ihrer Erfolgsgeschichte?
Sie sind begeistert und beschweren sich, dass ich mich jetzt zu wenig melde. Ich habe Sie zuletzt vor zwei Jahren im Libanon getroffen. Ich hoffe, dass Sie mich auch in Deutschland eines Tages besuchen dürfen.
Herr Alshebl, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Ryyan Alshebl am 9.11.2023 in Nürnberg